Noch etwas durch den Wind setze ich mich im Bus neben Lena, die überraschenderweise nicht neben Jule Platz genommen hat. „Wo warst du denn so lange?", fragt diese mich auch gleich und schaut ein wenig verwirrt, wenn Laura kurz nachdem ich mich hingesetzt habe an uns vorbeiläuft. Es dauert eine Sekunde bis der Wolfsburgerin ein Licht aufgeht und sie mich mit hochgezogener Augenbraue mustert. „Was ist passiert?", flüstert sie und mir entgeht dabei nicht der leicht vorwurfsvolle Unterton. Wirklich verarbeitet, was gerade passiert ist, habe ich jedoch noch nicht, weshalb ich einfach kurz mit den Schultern zucke. Auch wenn Lena offensichtlich nicht zufrieden mit der Antwort ist, belässt sie es bei der Frage und schaut erstmal aus dem Fenster.
Laura und ich haben uns geküsst. Wie soll ich ihr das nur erklären, wenn ich es selber noch nicht ganz verstanden habe? Eigentlich wollte ich heute doch einfach mal Abstand von ihr nehmen. Einmal nicht an sie, sondern nur an den Fußball denken. Das war mein Ziel und ich bin gnadenlos gescheitert. Gestern wollte die andere doch auch kein Wort mehr mit mir wechseln. Da war sie fest davon überzeugt, dass ich sie die ganze Zeit über angelogen habe. Mit einem tiefen Seufzen lege ich meinen Kopf auf die Schuler von Lena und schaue einfach aus dem Fenster. Wie kann ein einziger Mensch einen Kopf so zum Drehen bringen? Ich sollte jetzt nicht mehr daran denken. Mein Debüt für die deutsche Frauen Nationalmannschaft steht bevor. Ich muss mich jetzt allein darauf konzentrieren und auf nichts anderes.
Mit Kopfhörern in den Ohren vergeht die Busfahrt dann ziemlich schnell und zu meiner Überraschung bin ich einfach nochmal eingeschlafen. Wahrscheinlich hat die letzte Nacht mich doch ein wenig mehr geschlaucht als erwartet. Deswegen zieht auch der Weg ins Stadion und auch zu den Kabinen nur so an mir vorbei. Hellwach werde ich jedoch wieder, wenn Martina den Raum betritt. Sie umgibt einfach eine gewisse Aura, die die Aufmerksamkeit immer vollkommen auf sie zieht. Heute werde ich in ihrer Startaustellung stehen und ich könnte immer noch umherspringen, wie ein kleines Kind. Sie hat mir jedoch auch verkündet, dass ich nicht wie gewohnt auf der rechten Außenverteidigerposition stehe, sondern neben Sara in der Innenverteidigung. Sie wollte Giuli die Möglichkeit für ihr Comeback geben, mich aber trotzdem spielen lassen. Auf der linken Seite spielt dann Feli wie gewohnt. Auch wenn ich diese Position nicht so oft spiele, freue ich mich schon ungemein auf diese Aufgabe.
Mit einem stolzen Lächeln betrachte ich das Trikot, welches an meinem Platz aufgehangen war mit meiner Nummer und meinem Nachnamen. Die Nummer 4 habe ich bekommen, welche ich auch in meinem Verein durchgängig trage. „Du haust sie heute alle um", höre ich plötzlich die Stimme von Lena neben mir, die mir ein aufmunterndes Lächeln schenkt. Ich nicke ihr dankend zu und beginne dann mich umzuziehen. Vollkommen automatisch ziehe ich meine Socke erst über meinen linken und dann über meinen rechten Fuß, bevor ich dann mit meinen Schuhen das Gleiche mache. In der Kabine herrscht wildes Treiben, jeder versucht sich schnell umzuziehen, die Haare richtig zusammen zu machen und sich schon mal über den kommenden Gegner vorzubereiten. Auch ich selbst versuche den perfekten Zopf zu machen und mit genug Haarspray zu befestigen, damit sie nach zwei Minuten auf dem Feld nicht wieder vollkommen wild aussehen. Für einen Moment treffen sich die Blicke von Laura und mir im Spiegel, doch ich versuche dem schnell wieder zu entkommen. Das Spiel steht jetzt an erster Stelle.
Mit den entsprechenden Aufwärmtrikots machen wir uns das erste Mal auf den Weg zum Spielfeld. Schon jetzt sind einige deutschen Fans im Stadion verteilt und drehen ein wenig durch, wenn sie ihre deutschen Stars sehen. Ich merke, wie mich erneut das Gefühl von Stolz durchströmt und folge dann Sara zu den entsprechenden Hütchen, damit wir uns richtig warm machen können. Indem Moment blende ich auch alles um mich herum aus und versuche meine Gedanken einzig und allein auf meine Übungen zu fokussieren. Das funktioniert auch ziemlich gut, weshalb wir auch ziemlich schnell zur letzten Übung dem Torabschluss kommen. Mit einem guten Anlauf wird mir der Ball perfekt in den Lauf gespielt und ich kann mit voller Kraft aufs Tor schießen. Zu meiner Überraschung schlägt der Ball auch in der oberen Ecke des Tores ein. Ich klatsche mit Feli ab, die mir einen anerkennenden Blick zuwirft und will mich wieder in der Reihe hintenanstellen. Dann fällt mein Blick jedoch auf die Tribüne. Ich kann meine Eltern erkennen, wie sie mit verschränkten Armen und mit undurchsichtigem Gesichtsausdruck dasitzen. Xavier, der neben ihnen Platz genommen hat, schaut jedoch vollkommen gelassen und trägt sogar ein Trikot der deutschen Mannschaft.
Ob meine Eltern stolz waren? In dem Moment werde ich jedoch von Obi aus meinen Gedanken gerissen, die mir einen Arm um die Schulter legt. „Vielleicht solltest du ja doch Stürmerin werden", verkündet sie mir mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen und ich kann mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Es ist unfassbar wie schnell mir die andere ans Herz gewachsen ist und sie genau weiß, was sie in welcher Situation zu mir sagen muss. Ich lege für einen kurzen Moment meinen Kopf auf ihre Schulter und genieße für einen kurzen Moment in den Armen einer sehr guten Freundin zu liegen. „Vielleicht sollte ich das, aber wer hält uns dann hinten die Abwehrkette zusammen?", frage ich sie gespielt übereheblich und höre von Sara, die nicht weit entfernt von uns steht, ein kurzes ey. Wir stimmen in ein gemeinsames Gelächter ein und in dem Moment verschwinden auch die Gedanken an meine Familie. Fußball spielen. Das ist alles, worauf es jetzt ankommt.
Kurz darauf machen wir uns auch schon wieder auf den Weg in Richtung Kabine. Alle ziehen noch das entsprechende Trikot an oder auch Jacke und Leibchen. Dann kommt Martina in den Raum und es wird sofort ruhig. Sie beginnt nochmal mit einer Ansage, doch die bekomme ich gar nicht richtig mit. In dem Moment steigt mein Adrenalinspiegel ins Unermessliche und ich blende alles heraus, was um mich herum passiert. Erst wenn alle laut anfangen zu klatschen, kehre ich in die Realität zurück. In dem Moment trifft mein Blick auf den von einer gewissen Blondine, die mir mit einem schiefen Grinsen zuzwinkert. Jetzt kann eigentlich nichts mehr schief gehen.
Zusammen machen wir uns auf den Weg zum Spielertunnel. Diesmal redet keiner ein Wort, befinden sich alle im vollen Fokus. Auch ich. Alles, was ich jetzt vor mir sehe, ist das Spielfeld. Das grüne Gras mit den weißen Linien und den großen Toren. Mein wahres Zuhause. Kein Haus. Nicht meine Eltern. Auch nicht Xavier war mein Zuhause. Sondern der Fußballplatz. Ich greife nach der Hand des kleinen Mädchens neben mir und schenke ihr ein Lächeln, welches sie augenblicklich erwidert. Und schon laufen wir nach draußen und ich versuche alles so gut es geht in mich einzusaugen. Dieses Gefühl, die Atmosphäre, der Geruch von frisch gemähtem Gras und meinem Haarspray.
Mein erstes Spiel für die Nationalmannschaft.
So endlich wieder ein neuer Teil. Wir gehen in die letzte Phase über. Was denkt ihr, wie es weiter gehen wird? Wie wird ihr erstes Spiel laufen und auch das Gespräch mit Laura? Werden ihre Eltern wieder dazwischen funken? Freue mich sehr wenn ihr wieder einen Kommentar da lasst. Schönes Wochende :)
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2018 // laura freigang
FanfictionEs kommt eine Zeit in deinem Leben, in der du dich entscheiden musst, ob du die Seite umblättern, ein neues Buch schreiben oder es einfach schließen willst. Maeve sind eigene Entscheidungen immer sehr schwer gefallen. Sie hat immer jemanden anderen...