nineteen

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Vollkommen unruhig sitze ich auf meinem Stuhl. Mein Blick wandert andauernd zur ersten Reihe und ich rutsche immer wieder von der einen Seite auf die andere Seite. Lena schenkt mir immer wieder einen verwunderten Blick zu und versucht mir mit den Augen klar zu machen, einfach ruhig sitzen zu bleiben. Das kann ich jedoch nicht und auch das Zuhören fällt mir zunehmend schwer. Mir geht einfach nicht das Gespräch vor wenigen Minuten aus dem Kopf. Zum einen das mit meinen Eltern, aber noch viel weniger die unterbrochene Unterhaltung mit Laura.

Laura denkt, dass etwas zwischen mir und Xavier läuft. Sie denkt, dass ich sie die ganze Zeit hier verarscht habe. Wie soll ich ihr das erklären? Wie soll ich ihr erklären, was ich versucht habe, die ganzen letzten Jahre zu verdrängen? Wird sie überhaupt mit mir reden wollen? Wahrscheinlich nicht. Ich würde mit mir selber auch nicht sprechen wollen.

Gedankenverloren fahre ich mir über mein Handgelenk, welches mittlerweile eine ziemlich dunkle Farbe angenommen hat. Auch zwei rote Striemen zieren die Verbindung zwischen meiner Hand und meinem Arm. „Hast du starke Schmerzen?", werde ich von der braunhaarigen neben mir aus meinen Gedanken gerissen. Am liebsten würde ich ihr sagen, dass der Schmerz in meinem Handgelenk nicht mit dem in meinem Herzen zu vergleichen ist. Das Pochen in meiner Brust ist kaum aushaltbar, im Gegensatz zu dem Pochen meiner Haut. „Halb so wild", gebe ich wieder und ernte von der Wolfsburgerin nur einen ungläubigen Blick. „Wer war das, da in dem Café?", hackt sie weiter nach und ich versuche ein tiefes Seufzen zu unterdrücken. „Erkläre ich dir ein anderes Mal", flüstere ich ihr zu, bin dabei aber anscheinend nicht leise genug. „Maeve Lena, ich bitte euch zuzuhören. Wir wollen alle das Beste aus dem Spiel herausholen und das geht nur, wenn wir mit einer einheitlichen Taktik spielen."

Martina hat recht. Ich muss mich wenigstens jetzt auf den Fußball konzentrieren. Ich habe in den nächsten Stunden noch genug Zeit, um über das Geschehene nachzudenken. Doch diesmal gelingt es mir nicht so gut wie sonst, mich mit dem Sport abzulenken. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab und mein Blick wandert zur Blondine, einige Reihen von mir entfernt. Zum Glück scheint Martina es nicht noch mal mitzubekommen, denn sie spricht mich nicht noch einmal darauf an. Jedoch bekomme ich gar nicht wirklich mit, dass die Sitzung schon beendet ist und die ersten von ihrem Platz aufstehen. Schneller als ich schauen kann, ist Laura schon aus dem Raum verschwunden, weshalb ich ruckartig von meinem Stuhl aufstehe. Lena schüttelt nur mit dem Kopf.

So schnell ich kann, laufe ich ihr hinterher und rufe ihren Namen. Doch sie scheint mich einfach zu ignorieren. Sie versucht auch einfach in ihr Zimmer zu schlüpfen, aber ich komme gerade noch rechtzeitig an. „Laura, können wir bitte reden?", doch da werde ich auch schon zurückgezogen. Schmerz durchzuckt meinen Arm, hatte sich eine Hand genau um mein Handgelenk gelegt. Lina Magull steht hinter mir und schaut bei meinem Schmerzenslaut leicht erschrocken. Sie erholt sich aber schnell wieder „Alles okay?", fragt sie mich und in dem Moment höre ich das Klicken der Tür hinter mir. Verdammt. „Ja, alles gut. Ich wollte eigentlich nur mit Laura sprechen", erkläre ich ihr und ziehe meine Hand vorsichtig aus ihrem Griff. „Ich glaube es wäre das beste, wenn du sie jetzt erstmal in Ruhe lässt", fordert Lina mich auf, schenkt mir jedoch einen mitleidigen Blick. „Bitte. Sie hat vorhin etwas vollkommen falsch verstanden. Ich will es ihr einfach nur erklären", versuche ich ihr klar zu machen, aber die Bayernspielerin schüttelt mit dem Kopf. „Ihr müsst beide erstmal verarbeiten, was passiert ist. Versuch dich erstmal auch auf das Spiel zu konzentrieren, es wird noch die Möglichkeit geben, dass du dich erklären kannst", fordert sie mich erneut auf und ich kann nicht anders als mich geschlagen geben.

Mit hängenden Schultern laufe ich zu meinem Zimmer, aber immer darauf bedacht, niemanden zu treffen. Ich merke, wie sich ein leichtes Ziehen in meiner Brust ausbreitet und meine Atmung etwas schneller wird. Wasser sammelt sich in meinem Mund und meine Augen beginnen zu brennen. Ich versuche mich auf alles zu konzentrieren, was in mein Sichtfeld kommt, um nicht an die Emotionen in meinem Kopf zu denken. Der Teppichboden, die Bilder an der Wand, die Zimmernummern an den Türen. Mit leicht zitternden Händen halte ich die Schlüsselkarte an das entsprechende Schloss meiner Zimmertür und trete in den Raum. Mein Wunsch, auf niemanden zu treffen, wird sofort wieder zerschlagen, wenn ich Lena und Jule aneinander gekuschelt im Bett liegen sehe.

2018 // laura freigangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt