two

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„Du hast was?" Xavier verzieht keine Miene. „Ja, habe ich", antwortet er trocken und zuckt mit den Schultern, während er seine Jacke an den Hacken hängt. „Bist du verrückt." Frustriert werfe ich meine Tasche härter als gewollt auf die Ablage im Eingangsbereich. „Du hättest sowieso einfach nein gesagt", erwidert er und läuft einfach an mir vorbei direkt ins Wohnzimmer. So gut es geht, versuche ich meine Wut im Zaun zu halten, während ich ihm in den offenen Raum folge. Uninteressiert darüber, dass seine Anzughose vollkommen zerknittert, wirft der Ältere von uns beiden sich auf die Couch und fährt sich durch die sowieso schon verstrubbelten Haare. „Das auch mit gutem Grund. Wenn du schon weißt, dass ich nein sage, warum denkst du dann, dass es eine gute Idee ist trotzdem ja zu sagen?", frage ich ihn und stelle mich direkt vor ihn. Wirklich zu beeindrucken scheint es ihn nicht, ist sein Blick eher auf sein Handy fixiert als auf mich. „Weil ja die richtige Antwort ist, ganz einfach." Ich schaue für einen Moment an die weiße Decke und überlege, was ich jetzt am besten antworten soll, ohne dass er mir wieder ausweicht. Wie konnte er so eine Entscheidung einfach treffen, ohne mich vorher zu fragen? Wie konnte er Martina einfach zusagen, auch wenn ihm sehr wohl klar ist, dass ich abgelehnt hätte?
Schließlich lasse ich mich doch neben ihn fallen und schaue starr gerade aus. Vor uns der etwas zu groß geratene Fernseher, den wir von meinen Eltern zu Weihnachten geschenkt bekommen haben. „Hör zu. Die Nationalmannschaft ist eine unfassbare Chance für dich, auch wenn es nur ein Lehrgang mit Testspiel ist", unterbricht Xavier schließlich die Stille und ich schließe für einen Moment die Augen. „Ja, vielleicht ist es das, aber du weißt genauso gut wie ich, dass es nicht geht", versuche ich ihm meinen Standpunkt klarzumachen, aber er geht darauf gar nicht ein. „Warum geht es denn nicht? Was spricht denn dagegen, mitzufahren?" „Lass mich überlegen. Mein Beruf, durch den ich durchgängig im Büro bin. Der Fakt das ich in Amerika und nicht in Deutschland wohne. Ich für diese Mannschaft noch nie gespielt habe, geschweige denn in einem deutschen Verein", zähle ich auf, aber Xavier schüttelt daraufhin nur mit dem Kopf. „Das sind alles keine Gründe. Du kannst dir sehr wohl Urlaub nehmen. Nur, weil du in Amerika wohnst, hindert dich das nicht nach Portugal zu fliegen. Und außerdem gibt es immer ein erstes Mal, in einem anderen Land zu spielen."
Xavier hatte damit nicht unrecht. Ich hatte mir bisher kaum einen Tag Urlaub genommen, weshalb zwei Wochen kein Problem sein sollten. Nach Portugal konnte ich ebenfalls fliegen, auch wenn ich einen ganz anderen Weg hatte, als die meisten anderen Spielerinnen. Auch mit dem letzten Punkt hatte er recht. Trotz dass ich in Deutschland noch nie gespielt habe, habe ich durch meinen Vater die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich kann also nicht nur für die USA, sondern auch für Deutschland spielen. Dadurch, dass ich auch nie für die Nationalmannschaft der USA gespielt habe, konnte Deutschland mich ganz einfach ohne Probleme nominieren. „Was ist wirklich das Problem?" Xavier schaut mich mit seinem typischen „Ich-weiß-alles-Blick" an, dass ich nur meine Augen verdrehen kann. Diesem Jungen fiel es mittlerweile einfach viel zu leicht mich zu lesen und genau zu wissen, was ich denke. Oft weiß ich nicht, ob ich das jetzt gut oder schlecht finden soll. Ich zucke mit den Schultern und greife nach dem Ring an meinem Finger, um ihn ein wenig von der einen Seite zu anderen Seite zu drehen. Was war eigentlich das Problem? Eigentlich wusste ich es ja, aber wirklich darüber reden, war nochmal etwas ganz anderes. Ich war noch nie wirklich gut darin einfach auszusprechen, was ich denke, es hat bisher auch nicht wirklich viele Leute interessiert. Xavier war anders. Er sprach immer direkt über Dinge, die ihn beschäftigen, die ihn stören, aufregen oder auch gleichgültig sind. Für mich war das nicht ganz so einfach. Vorher hatte ich keinen Freund, wie Xavier, der allein durch meine Stimmlage schon wusste, wenn etwas nicht in Ordnung war. „Ich habe mir einfach nie wirklich vorgestellt für Deutschland zu spielen", erkläre ich ihm kurz und knapp und er nickt verstehend, macht aber noch keine Anstalten etwas dazu zu sagen. „Ich habe immer gedacht, ich würde vielleicht mal für die USA spielen", füge ich noch hinzu. „Das ist auch verständlich, schließlich ist das hier deine Heimat. Aber du liebst Fußball und du hast mir immer erzählt, wie gerne du mal außerhalb der Liga spielen würdest. Dass du dich mal nicht nur hier unter Beweis stellen kannst, sondern auch mal auf einer großen Bühne." Ich ließ mir seine Worte nochmal durch den Kopf gehen. Er hatte damit mehr als nur recht. Es war schon immer mein Traum, für eine Nationalmannschaft zu spielen. So oft habe ich mir vorgestellt, wie ich mit den besten Teams der Welt, um die Weltmeisterschaft kämpfe. Nachdem ich noch nie etwas von den Trainern der USA gehört habe, habe ich mit dem Thema abgeschlossen. Deutschland hatte ich gar nicht erst in Betracht gezogen, war es fast schon unmöglich, dass sie auf mich aufmerksam werden. Es gab die unterschiedlichsten Mannschaften auf der ganzen Welt. Dass eine Trainerin aus Deutschland anscheinend eine Mannschaft aus der USA beobachtet hat, ist schon unwahrscheinlich, aber dann auch noch genau meine? Es grenzt schon an Unmöglichkeit. Außerdem hätte sie nicht einfach irgendein Spiel von mir sehen müssen, sondern eins, dass sie wirklich davon überzeugt hat, dass ich gut genug für die Nationalmannschaft bin. So wirklich glauben konnte ich das noch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie so verzweifelt war, dass sie jede mögliche deutsche Spielerin auf der Welt gesucht hat und nach einer möglichen Nominierung gefragt hat. „Hat Martina gesagt, warum sie ausgerechnet mich will?", versuche ich ein wenig mehr durch meinen besten Freund herauszufinden. „Sie meinte, dass viele ausfallen, weil sie entweder verletzt oder gesundheitlich angeschlagen sind. Vor allem in der Verteidigung scheint sie einige Probleme zu haben", erklärt er mir daraufhin, doch damit stehe ich immer noch vor der Frage, warum sie ausgerechnet mich ausgesucht hat. „Und sie hat niemand anderen in den deutschen Ligen gefunden?", hakte ich noch ein wenig mehr nach. „Naja, sie meinte, dass sie bei diesem Lehrgang, wenn sowieso einige Stammspielerinnen fehlen, ein wenig ausprobieren will und sie sich dadurch mehr umgeschaut hat. Einen Tipp hat sie wohl auch bekommen." Ich nicke auf seine Antwort hin einfach und versinke wieder ein wenig mehr in meinen Gedanken. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Chance bekomme war absolut gering und Xavier hat schon recht, wenn er sagt, dass ich eine absolute Idiotin wäre, wenn ich mir diese entgehen lassen würde. Es war aber auch alles so aus dem Nichts. Mein Fokus lag die ganze Zeit nur auf der Arbeit und darauf, dass ich all die Zeit, die ich noch übrig habe, in meinen Verein investiere. Es war manchmal sehr stressig, aber ich habe mich damit abgefunden, denn ohne Fußball ging es einfach nicht. Trotzdem hatte ich nie darüber nachgedacht, dass der Fußball doch wieder zu etwas werden könnte, dass viel mehr als nur ein Ausgleich für die Arbeit ist. Diese Chance könnte mir, wenn ich mich wirklich anstrenge, so viele neue Türen öffnen. Türen, die ich selber, aber auch andere für mich längst geschlossen haben.

2018 // laura freigangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt