eighteen

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Tief durchatmen. Gleichmäßig ein und wieder aus. Puls senken. Es sind nur deine Eltern, sie werden dir nicht den Kopf abreißen. Okay, aber gerade weil es meine Eltern sind, werden sie es machen. Tief durchatmen. Ein und aus.

Damit klopfe ich schließlich an die große weiße Tür, hinter der ich leises Gemurmel wahrnehmen kann. Mit meinem Klopfen verstummt es jedoch sofort und weicht einem kurzen „Herein". An der tiefen Stimme erkenne ich sofort meinen Vater. Innerlich zähle ich noch mal bis drei, bevor ich die schwere Klinke nach unten drücke und den Raum betrete. Sofort erkenne ich meinen Vater mit seiner Zeitung am Tisch sitzen, die er auf seinen Beinen abgelegt hat. Obwohl er sich in seinen eigenen vier Wänden befindet, sind seine Haare wieder perfekt gestylt und sein Jackett ist ebenfalls zugeknöpft. Meine Mutter suche ich noch einen Moment länger, sie hat sich zwischen den Regalen unserer Bücherei zurückgezogen. „Maeve, was gibts?", fragte mich schließlich mein Vater und brachte mich wieder ein wenig in die Realität zurück.

Ja, was will ich eigentlich hier? Ich hatte mir vorher alles zurechtgelegt. Wie ich anfangen soll und was ich sage, wenn sie das Gesicht verziehen. Ich hatte es mir sogar auf einen Zettel geschrieben und auswendig gelernt. Doch wie vor einer wichtigen Klausur ist das alles mittlerweile verschwunden. In meinem Kopf herrscht vollkommene Leere. Meine Mutter ist mittlerweile ebenfalls zu uns gekommen und stellt sich neben meinen Vater. Ihre Haare zu einem strengen Zopf gebunden und die Arme vor der Brust verschränkt, verleihen ihr sofort eine Ausstrahlung, die mich drei Zentimeter kleiner schrumpfen lassen. Ich schüttelte kurz meinen Kopf und setzte mich schließlich an den Tisch. „Ich muss euch etwas fragen", beginne ich schließlich und werde sofort verunsichert, wenn ich sehe, wie meine Mutter nur die Augenbraue nach oben hebt. Dieses Gespräch wird deutlich schwerer, als ich es vor wenigen Minuten noch gedacht habe, doch mit dem Gesicht meiner Freundin vor Augen, traue ich mich, die nächsten Worte auszusprechen.

„Ich würde gerne mit Laura nach Deutschland", erkläre ich kurz und knapp und meine Eltern scheinen für einen Augenblick sprachlos. Keiner sagt ein Wort, keiner bewegt sich oder macht auch nur Anstalten mit der Wimper zu zucken. Die Stille beginnt mich immer mehr zu erdrücken und ich will schon ansetzen zu erklären warum, da erhebt meine Mutter auch schon die Stimme. „Wie kommst du auf solch eine absurde Idee?", wirft sie mir vor und lässt mich meinen Mund sofort wieder zuklappen. „Wie kommst du darauf, jetzt so kurz vor deinem Abschluss alle Möglichkeiten, die wir dir hier bieten können, wegzuschmeißen und abzuhauen?", führt sie noch weiter fort und ich beiße mir auf die Zunge. Die Möglichkeiten, die sie mir bieten können. Diese Möglichkeiten haben nicht im geringsten damit zu tun, was ich mir wirklich für meine Zukunft vorstelle. Zumindest nicht mehr. Durch Laura habe ich gelernt, dass die Vorstellungen meiner Eltern gar nicht mehr mit meinen eigenen übereinstimmen. Eigentlich haben sie nicht gepasst, aber ich wollte es mir einfach nicht eingestehen. Ich habe jemanden gebraucht, der mich an die Hand nimmt und den richtigen Weg zeigt.

„Ich habe auch in Deutschland viele Möglichkeiten", erwidere ich mit einem ziemlich schwachen Argument. Auch wenn mir schon klar war, dass es zu dieser Diskussion kommen würde, fällt es mir schwer, das zu sagen, was ich wirklich denke. Ich hatte mir vorher eine ganze Tabelle mit Vor- und Nachteilen ausgearbeitet, aber wie der Rest ist sie aus meinem Gedächtnis verschwunden. „Ach ja, welche denn?", fragt meine Mutter sofort und stützt sich mit beiden Armen auf den Tisch ab. Es war keine gute Idee, mich an den Tisch zu setzen, so habe ich ihr indirekt die Möglichkeit gegeben, die Oberhand zu übernehmen. „Ich könnte dort ein Studium beginnen und nebenbei vielleicht ...", ich stocke. Schon jetzt weiß ich, dass meiner Mutter auf keinen Fall gefallen wird, was ich ihr jetzt vorschlagen werde. „Was könntest du vielleicht?", hackt sie auch sofort weiter und ich atme nochmal tief durch. „Ich könnte dort vielleicht in der Bundesliga spielen", spreche ich das aus, was meine Mutter wahrscheinlich am wenigsten von mir hören möchte. Ich wende auch sofort meinen Blick ab, um nicht zu sehen, wie sie darauf reagiert.

2018 // laura freigangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt