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Weiche Lippen auf meinen. Hände an meinen Hüften, die mich festhalten und an die Wand hinter mir drücken. Es ist als habe ich vollkommen vergessen, wo ich gerade bin. Auch wo oben und unten ist, kann ich nicht mehr sagen. Ich vergrabe meine Hände in ihrem Nacken, der durch ihren Zopf freigelegt ist und ziehe sie ein wenig zu mir nach unten. Genauso wie früher überragt Laura mich um ein paar Zentimeter, weshalb sie sich zu mir hinunterbeugen muss. „Deine Lippen schmecken noch genauso, wie ich sie in Erinnerung habe", flüstert die Frankfurterin, während wir beide etwas Luft schnappen. Erst jetzt wird mir wieder richtig bewusst, wie viel Luft man doch zu atmen braucht. Während sie mich an meiner Hüfte noch ein wenig näher an sich zieht, lege ich meinen Kopf auf ihre Schulter. Ich spüre ihren Herzschlag, der wahrscheinlich genauso schnell ist, wie meiner. Beide genießen wir einfach den Moment. Das Gefühl, uns wieder so nah zu sein. Den Duft des anderen wieder wahrzunehmen, den Atmen des anderen zu spüren und auch einfach das pure Gefühl von Geborgenheit. Das Gefühl und auch meine dadurch entstehende Gelassenheit, verschwindet jedoch schnell wieder. „Oh Gott. Wir müssen nach oben. Die warten bestimmt schon auf uns!", fällt mir plötzlich auf und wir schrecken auseinander. Auch Laura, die normalerweise immer ziemlich entspannt ist, steht die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Sie ist es schließlich auch, die nach meiner Hand greift und mich nach oben zum Dach zieht. Ich muss fast drei Stufen auf einmal nehmen und hätte Laura nicht meine Hand gehalten, wäre ich bestimmt schon nach den ersten beiden hingefallen. Wir kichern beide, wie aufgeregte Teenager und es gibt mir ehrlich gesagt auch einige Flashbacks von damals. Wie wir in der Pause im abgelegenen Gang die Zeit vergessen haben und dann zur nächsten Unterrichtsstunde rennen müssen. Es war nicht nur ein mal vorgekommen.

Draußen angekommen schauen wir uns für einen Moment um, damit wir unseren Gegner ausfindig machen können. Natürlich war das nächste Spiel gegen Lena, die mich mit einem verwunderten Gesichtsausdruck mustert und dann auf meine und Lauras verschränkte Hände schaut. Sofort lasse ich ihre Hand wieder los und laufe auf die Übung zu, die uns jetzt bevorsteht. Den Blick der beiden Mädels ignoriere ich dabei. Ich schaue auf die Karte und lese mir unser nächstes Spiel durch. Es stellt sich jedoch sehr schnell als unnötig heraus, ist der bereitgestellte Tischkicker, der wohl extra auf die Terrasse gebracht wurde, ziemlich eindeutig. Ich überspiele meinen Fehler einfach und reiche sie Lena: „Willst du dir die Regeln lieber noch mal durchlesen? Nicht das es zu Ungereimtheiten, während des Spiels kommt". „Bereitet euch schon mal auf eure nächste Niederlage vor", fordert Lena uns heraus, ohne auf das von mir gesagt einzugehen. Laura und ich beginnen daraufhin nur zu lachen. „Wir haben bisher noch keine Niederlage und das wird sich jetzt auch nicht mehr ändern", erklärt die Frankfurterin der Wolfsburgerin und tritt an den Tisch heran. Während sie den Angriff übernimmt, umgreife ich die Griffe der Abwehrkette und des Torwarts. „Na das wollen wir mal sehen", steigt nun auch Jule mit ein und stellt sich mir gegenüber. Das Spiel ist wirklich spannend, aber Laura und ich als Team sind einfach unschlagbar. Wir verstehen uns fast schon blind, weshalb wir ein Tor nach dem anderen schießen. Die anderen beiden geben sich jedoch nicht geschlagen und kämpfen sich noch mal zurück. Es steht 9 zu 8 für uns und wir versuchen zweifelhaft den letzten Ball ins Tor zu bekommen. Mittlerweile hatten sich auch schon ein paar von den anderen Spielerinnen um den Tisch versammelt und feuern uns an. Es ist fast schon als würden wir im Stadion gefüllt mit Fans stehen. Feli hat sogar die Aufgabe der Kommentatorin übernommen und macht einen echt guten Job. „Lena mit einer unglaublichen Parade und einem direkten Pass zu Jule, die versucht, mit einem Trick an der Torhüterin Maeve vorbeizukommen. Oh, das war knapp. Im letzten Moment springt die Torhüterin noch in die richtige Ecke und verhindert den Ausgleich. Sie legt sich den Ball noch mal zurecht und zieht ab. Torrrrrr. Tor durch die Torhüterin. Das ganze Stadion flippt aus", und das tut es wirklich. Alle beginnen zu Jubeln und springen sich in die Arme. Auch ich lande in den Armen von Laura, die mich für einen Moment vom Boden hochhebt und angrinst. Ich erwidere ihr Lächeln und schmiege mich sogar ein wenig an sie. Der Moment ist jedoch wieder vorbei, wenn die anderen sich auf uns werfen, um mit uns zu feiern.

Nach dem Spiel versammeln sich so langsam wieder alle und die Zettel mit den Spielen werden an die Spielführerinnen Merle und Giulia überreicht. Wir setzten uns wieder an die Tische und Laura wird ziemlich schnell von Lina auf die andere Seite gezogen, während Lena sich zu mir setzt. Mit gehobener Augenbraue schaut sie mich an. „Ich glaube du hast mir etwas zu erklären, oder?", fragt sie mich und ich schaue verlegen auf den Boden. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, was gerade passiert ist und was das zu bedeuten hat. Alles, was ich mir vorgenommen habe, habe ich wieder über den Haufen geworfen. Da es noch eine Weile dauern wird, bis es zur Siegerehrung kommt, wäre es wohl das Beste mir gleich meine Gedanken von der Seele zu sprechen. „Können wir kurz reden?", frage ich sie und nach ihrem Gesichtsausdruck, ist mir die Unsicherheit wohl deutlich anzusehen. „Klar, lass uns kurz runtergehen", fordert sie mich sofort auf und steht wieder von ihrem Platz auf. Ich folge ihr sofort und lasse meinen Kopf zum Boden gerichtet. Auch ohne nach oben zu sehen, weiß ich, dass Laura mir nachschaut. Sie lässt mich jedoch gehen, ist ihr wahrscheinlich nur zu gut bewusst, dass ich jetzt erst mal ein wenig Abstand zum Nachdenken brauche.

Lena öffnet relativ schnell einen der Konferenzräume, die von vorhin noch offen stehen und wartet, bis ich ihr gefolgt bin. „Schieß los. Was ist passiert?", will sie von mir wissen und lässt sich auf einen der Tische nieder, die nebeneinander aufgereiht sind. Ich hingegen lasse mich auf dem Boden fallen und lege meinen Kopf auf meine Knie. „Laura und ich haben uns geküsst", erkläre ich ihr und sehe, wie die Augen der Wolfsburgerin sich ein wenig weiten. Sie sagt jedoch nichts, sondern wartet darauf, dass ich meine Erklärung ausführe. Für einen Moment überlege ich, wie ich weiter sprechen soll. „Es ist einfach passiert. Auf ein mal war wieder alles wie früher", setzte ich fort und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. „Willst du mir vielleicht auch erzählen, was früher passiert ist? Warum wehrst du dich so gegen deine Gefühle", will sie von mir wissen und ich hebe wieder meinen Kopf. „Ich will nicht, dass sie mir noch mal das Herz bricht", mache ich ihr klar und wische mir die erste Träne von der Wange. Eigentlich wollte ich gar nicht weinen, aber ich fühle gerade alles auf ein mal. Es wird mir einfach alles zu viel. Lena steht von ihrem Platz wieder auf und lässt sich neben mir fallen. „Erzähl", fordert sie mich auf und legt mir einen Arm um die Schulter.

Für einen Moment überlege ich, wo ich anfangen soll. Ein wenig hatte ich ihr ja bereits bei unserem ersten Gespräch erzählt. Aber von da aus weiß sie auch nur, dass Laura und ich uns bereits kennengelernt hatten. Was uns aber wirklich verbunden hat, das wusste sie nicht. „Laura und ich sind uns ziemlich schnell näher gekommen. Wir haben uns jeden Tag in der Schule gesehen und teilweise auch am Wochenende", beginne ich meine Erzählung, lass dabei aber bewusst aus, warum die Frankfurterin und ich uns kaum an den Wochenenden und mehr in der Schule gesehen haben. „Naja, später hat sie mich dann gefragt, ob wir zusammen auf den Schulball gehen wollen und hat mich dort auch das erste Mal geküsst", fahre ich fort und Lena nickt verstehend. „Ihr wart zusammen oder", will sie dann von mir wissen und ich bringe nur ein Nicken zustande. Jetzt kommt der schwere Teil. Natürlich könnte ich ihr von all unseren schönen Momenten erzählen. Von denen, wo Laura mich noch behandelt hat wie eine Prinzessin. Doch ich weiß, dass das nicht die Information ist, die Lena interessiert und jetzt auch relevant ist. „Alles lief mehr als perfekt, doch irgendwann war ihr Studium vorbei und sie musste sich entscheiden. Bleibt sie bei mir und spielt weiter in den USA oder geht sie zurück nach Deutschland und kann vielleicht in der Bundesliga und der deutschen Nationalmannschaft spielen", erkläre ich ihr und merke, wie mir wieder die Tränen über die Wange laufen. Wie schon so oft spielt das Gespräch von damals sich vor meinem Auge ab. Wie wir weinend voreinander standen und sie mir offenbart hat, dass sie nicht bleiben wird, wie ich es mir gewünscht habe. „An dem Abend, wo wir draußen auf der Bank gesessen haben. Da hat sie mir gesagt, dass sie die Entscheidung nicht bereut hat", beende ich meine Erzählung und merke, wie die Wolfsburgerin mich noch näher an sich zieht. Dankend lege ich meinen Kopf auf ihre Schulter und versuche dabei nicht ihr Oberteil zu durchnässen. Ich hatte Lena nicht alles erzählt, weil ich einfach zu mehr noch nicht im Stande war. Jetzt geht es sowieso erst mal darum, dass sie einfach versteht, warum der Kuss und ihr Verhalten mich so durcheinander bringen. „Was eine Scheiße. Jetzt verstehe ich, warum du an dem Abend und nach dem Kuss so durcheinander warst".

Für einen Moment ist es still zwischen uns beiden und wir versuchen das von mir Gesagte zu verarbeiten. Neben den Bildern unserer Trennung kommt jetzt aber auch wieder unser Kuss in mein Gedächtnis. Wie ihre Lippen sich angefühlt haben. Es hat sich genauso angefühlt, wie damals. Als wäre keine Zeit vergangen und unsere Trennung nie passiert. „Ehrlich gesagt verstehe ich aber nicht, warum sie dich jetzt küsst, wenn sie ihre Entscheidung nicht bereut hat", schlussfolgert sie schließlich und legt den Kopf ein wenig schief. „Denkst du, ich verstehe sie?", stelle ich ihr die Gegenfrage und wische mir mit der Hand durch mein Gesicht. „Hat sie dir denn gesagt, warum sie es nicht bereut?", will sie dann von mir wissen und ich schaue zu ihr auf. Nein, das hatte sie nicht. Dafür kann sie jedoch nichts, weil ich sie nicht mal habe aussprechen lassen. Ich bin einfach gegangen, ohne mir auch nur eine Erklärung von ihr anzuhören, warum sie es getan hat. Im Nachhinein nicht meine beste Entscheidung. „Ich glaube, ich muss noch mal mit ihr reden", stelle ich schließlich fest und Lena nickt zustimmend.

Wir sitzen dort noch einen Moment zusammen, machen uns dann aber wieder zurück auf den Weg nach oben. Wir haben Glück, denn wir kommen gerade noch rechtzeitig zur Siegerehrung wieder zurück. Die Auswertung von Giulia und Merle scheint wohl einen Augenblick länger gedauert zu haben. Für die Spannung stellen sich wieder alle Teams nebeneinander und warten auf die Verkündung. Ein wenig unsicher stelle ich mich neben Laura, die mir ein leichtes Lächeln schenkt. Irgendwie beruhigt es mich ein wenig mehr, dass auch sie nicht wieder vor Selbstbewusstsein protzt. Sie ist wahrscheinlich genauso unsicher wie ich und kann nicht genau einschätzen, was wohl in den nächsten Tagen, in den wir noch zusammen sind, passieren wird. „So, nachdem wir uns ein paar Mal verrechnet haben, steht das endgültige Ergebnis endlich fest. Auf dem dritten Platz haben wir mit 54 Punkten das Team von Feli und Lea", verkündet Giulia und die beiden klatschen sich glücklich ab. Zusammen laufen sie nach vorne und dürfen auf das extra erbaute Treppchen steigen. Sie bekommen sogar einen kleinen Pokal in Bronze. „Auf dem zweiten Platz mit 56 Punkten, also knapp davor...", beginnt nun Merle und ich merke, dass ich auch ein wenig angespannt werde. Laura hatte ihren Arm um meine Schulter gelegt und schaut ebenfalls nach vorne. Genauso ehrgeizig wie damals. Egal, um was es auch geht. „Lena und Jule", wird nun als nächstes verkündet und ich beginne lauthals für meine Mitbewohnerinnen zu klatschen. Lena verbeugt sich vor mir noch mal, was ich mit einem einfachen Lachen kommentiere. Jetzt wird es jedoch noch mal richtig spannend. Laura und ich haben alles gewonnen, wissen jedoch nicht, ob das bei den anderen, gegen die wir nicht gespielt haben, auch der Fall war. Vielleicht haben sie bei einem Spiel viel mehr Punkte geholt und einfache Siege reichen nicht aus. „Auf dem ersten Platz mit ganzen 70 Punkten, die Siegerinnen des packenden Tischkicker Finales. Laura und Maeve". Es hatte doch gereicht. Laura und ich haben einfach gewonnen. Überrascht quietsche ich auf, wenn meine Füße plötzlich den Boden verlassen. Die blonde Frankfurterin hatte mich einfach erneut in die Luft geworfen und feiert unseren Sieg ausgiebig. Auch wir laufen zum Treppchen und ich verbeuge mich auf dem Weg, genauso wie es die Wolfsburgerin noch vor wenigen Augenblick gemacht hatte. Auf dem Podest wird uns dann der Pokal überreicht und alle klatschen. Laura legt einen Arm um mich und mir steigt ihr bekanntes Parfüm in meine Nase. Augenblicklich fühle ich mich unfassbar wohl bei ihr. Ich muss definitiv mit ihr reden. Und zwar so schnell, wie möglich.

Die Feier hat wieder ein wenig abgeklungen und es ist auch schon ziemlich dunkel draußen geworden. Eigentlich will ich nur in mein Bett, aber trotzdem kann ich nicht verhindern, dass ich unbedingt noch nach Gespräch mit der Frankfurterin suchen möchte. Sie stand ein wenig abseits und unterhält sich gerade mit Lina, die auch schon damit kämpft die Augen offenzuhalten. Ich bin schon auf dem Weg zu ihr, da tippt mir jemand auf die Schulter. Zu meiner Überraschung steht Lena hinter mir. Sie war eigentlich schon in unser Zimmer zum Schlafen gegangen, wofür auch ihre Schlafklamotten sprechen und der etwas unordentliche Dutt, der ihr fast vom Kopf fällt. Fragend schaue ich sie an, sie drückt mir zur Antwort jedoch nur mein Handy in die Hand. „Es hat nicht mehr aufgehört, zu klingeln und zu vibrieren. Da will wohl dringend jemand mit dir sprechen", erklärt sie mir, dreht sich aber nach einem kurzen ‚Gute Nacht' direkt wieder um und verlässt die Terrasse. Verwirrt schalte ich das Display an. Vor lauter Nachrichten und verpassten Anrufen, kann ich meinen Hintergrund, der mich und Xavier im Urlaub zeigt, kaum noch erkenne. Schnell überfliege ich die Nachrichten, die hauptsächlich Uni eben diesen kommen.

>>Es tut mir so leid<<
>>Ich dachte wirklich, sie schauen nicht danach<<
>>Nur, weil diese blöde Kuh wieder petzten, musste<<
>>Hast du schon etwas von ihnen gehört?<<

So wirklich schlau werde ich nicht durch seine Nachrichten, bis ich auf eine Nachricht von einer anderen Person stoße. Eine Nachricht von meiner Mutter, die mir jegliche Farbe aus dem Gesicht treibt.


So ein neues Kapitel. Was denkt ihr, was der Inhalt der Nachricht sein kann? Was hat sie Lena noch nicht erzählt? Lasst mir auch gerne ein kleines Feedback da. Ich freue mich über jede eurer Nachrichten :)

2018 // laura freigangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt