Es ist einfach eine Hassliebe. Auf der einen Seite liebe ich das Gefühl des Adrenalins in meinem Körper vor jedem Auftritt im Maisons. Ich liebe es, fertig gemacht auf hohen Schuhen den Raum zu betreten und in meine Rolle als "Sunny" zu schlüpfen. Ich liebe meine Mädels, die mittlerweile schon zu einer kleinen Familie geworden ist. Ich liebe die Blicke der Männer und Frauen in ihren Gesichtern, wenn ich mich auf dem kleinen Bühnenstück neben dem DJ Pult zur Musik bewege. Das Maisons ist ein sehr bekannter Nachtclub in Miami, wo sich hauptsächlich Prominente aufhalten. Oder eben Menschen die sich für Prominente halten und genügend Geld zur Verfügung haben. Genau deswegen liebe ich auch das tägliche Trinkgeld der Gäste. Die meisten sind ab einem gewissen Punkt so betrunken, dass ich schnell mehrere hundert Dollar an einem Abend verdienen kann.
Die negative Seite ist meine Moral. Ich weis genau, dass ich eigentlich so viel mehr erreichen könnte. Anders als die Gäste, habe ich nur nicht so viel Geld zu Verfügung um mir meinen Traum der großen Bühnen zu erkaufen. Eine Tour mit Justin Bieber schwebt mir bereits seit Kindheitstagen durch den Kopf. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als fest an die "vom-Tellerwäscher-zum-Millionär" Methode zu glauben. Ganz abwegig ist die Methode nicht, denn den Arbeitsplatz im Maisons habe ich mir auch durch einen guten Zufall erarbeitet.
Vor ungefähr zwei Jahren war ich als Gasttänzerin im Maisons, da Eva, meine beste Freundin, sich den Abend zuvor den Magen verdorben hat. Der Chef des Ladens war glücklicherweise an diesem Abend da und bot mir eine Festanstellung an. Seitdem machen Eva und ich eigentlich immer die gleichen Schichten. Insgesamt sind wir sechs Mädels und wir sind immer zu zweit Eingeteilt. Somit ist der Arbeitstag immer in drei Schichten aufgeteilt.
Auch an diesem Sonntagabend tanze ich mit Eva zusammen. Im Keller des Clubs haben wir einen eigenen Raum, wo jede Tänzerin einen Spint zur Verfügung hat. Direkt neben der Tür ist eine große Spiegelfront mit zwei Schminktischen. Ein kleiner Lautsprecher schallt die Songs aus dem Club zu uns in den Raum und Eva hebt zwei Outfits hoch.
"Bailey, welches sollen wir heute tragen?" fragt Eva mich mit einem polnischen Akzent. Sie steht hinter mir und zeigt mir die Outfits durch den Spiegel. Ich lege meinen Pinsel auf den Tisch und drehe mich auf dem Stuhl zu ihr um. Wir haben relativ viel Freiheit was unsere Outfits oder unsere Show angeht, seit wir als das "erfolgreiche Duo des Maisons" hervorgehen.
Ich ziehe meinen rechten Mundwinkel zwischen die Zähne und begutachte beide Outfits. Das eine ist ein kurzes schwarzes Leder-top mit einem passenden Rock, das andere ein knappes Glitzerkleid. "Auf keinen Fall das Glitzer-ding!" sage ich bestimmend, "Das hat mir letzte Woche so die Oberarme aufgescheuert, durch die Pailletten." Eva lacht und nickt zustimmend. Ich drehe mich wieder zum Spiegel, um mich fertig zu schminken.
Ich trage Privat am liebsten ein schlichtes Makeup, aber als "Sunny" übertreibe ich es gerne um meiner Rolle gerecht zu werden. Mit ruhiger Hand ziehe ich mir einen Eyeliner und klebe mir Fake-Lashes auf. Ein stoß der Vernunft trifft mich, als ich meine Haare glätte. Die Frage "Was mache ich hier überhaupt?" stelle ich mir mindestens einmal jeden Abend. Ich meine theoretisch ist an meinem Beruf nichts verwerfliches. Ich tanze, mehr nicht. Jegliche körperliche Handlung mit Gästen ist uns sogar untersagt, dennoch fühlt sich es manchmal so an, als würde ich mich und meinen Körper verkaufen. Vielleicht versuche ich auch deswegen so viele unterschiede zwischen mir und "Sunny" zu schaffen. Nur die Mitarbeiter kennen meinen echten Namen und ich habe mit meiner Kunstfigur stehts die Macht über mein echtes Leben.
Ich stehe mit Eva vor dem Spiegel und wir machen ein paar Selfies, da wir zu früh fertig sind und nur noch auf unseren Schichtwechsel mit Amber und Chloe warten müssen. Eva und ich könnten nicht unterschiedlicher sein.. zumindest was das Aussehen betrifft. Sie ist eine waschechte Polin und vor einigen Jahren nach Amerika ausgewandert. Ihre Hautfarbe ist hell und sie hat einen zierlichen Körperbau. Ihre hellbraunen kurzen Haare gehen ihr nur bis zum Kinn und sind akkurat auf eine Länge angeschnitten. Ich hingegen bin hier in Miami geboren und aufgewachsen. Meine Hautfarbe ist durch die Sonne braun gebrannt und meine Haare sind dunkelbraun und gehen mir bis zum Ellenbogen. Anders als Eva habe ich eine kurvige Figur. Eigentlich ergänzen wir uns somit perfekt. Gedanklich sind wir immer auf einer Wellenlänge und verstehen uns immer gut. Wir sind beide 24 Jahre alt und wohnen auch in einem kleinen Apartment zusammen.
Es klopft an der schweren Tür zum Flur des Kellers und die Person Hinter der Tür wartet auf ein Zeichen von uns, bevor er die Tür öffnet. Nicolas drückt sie auf, mein Lieblingstürsteher. Jede Tänzerin hat einen, natürlich wissen die Männer das nicht, aber so machen wir uns immer einen kleinen Spaß daraus. Die Türsteher und Securetys sind für uns wichtige Bestandteile der Arbeit. Neben der Sicherheit im Club für die Gäste, sorgen sie auch für unsere Sicherheit. Sie begleiten uns zur Bühne und auch wieder zurück. Versorgen uns mit Wasser und schauen nach unserem Wohlempfinden während des Abends.
"Guten Abend die Damen," beginnt er breit grinsend und mustert uns schelmisch. Nicolas ist 20 und verdient sich hier im Maisons neben seinem Studium etwas Geld hinzu. "könnt ihr jetzt schon hochkommen? Gegen neun kommen wohl einige Sportler, angeblich um irgendwas zu feiern?" Er stellt seine Aussage in Form einer Frage, da er wahrscheinlich nur ein paar Rand Informationen bekommen hat.
"Natürlich." sagt Eva direkt und geht an Nicolas vorbei. Sie dreht sich kurz um und zwinkert mir zu, als sie mich mit ihm alleine lässt. Während ich mein Fuß auf einen Stuhl stelle, um meinen Highheel zu verschließen schaue ich über meine Schulter zu Nicolas. "Warum sollen wir früher hoch?" will ich wissen und ziehe meine Augenbrauen zusammen.
"Keine Ahnung, diese "Sportler" währen wohl sehr wichtig." er setzt das Wort Sportler in angedeutete Gänsefüßchen und lehnt sich an den Türrahmen. Sein Blick haftet auf mir und ich genieße das kleine flirtige Spiel zwischen uns. Nicolas ist vier Jahre jünger als ich, versucht aber immer wieder mich zu beeindrucken. Seine braunen Augen ziehen mich zugegebenermaßen in den bann, aber ich fühle mich wie seine große Schwester. Ich glaube wir wissen beide, dass ich ihm nie eine Chance geben kann, trotzdem besteht unsere Kommunikation immer aus Anspielungen. Vielleicht ist er auch deswegen mein Lieblingstürsteher. Er hat immer in Auge auf mich.
In seinen Arm eingeharkt gehen wir zusammen die Treppe zum Club hoch. Schon bei der Mitte erahne ich anhand der Lautstärke, wie voll es oben sein muss.
DU LIEST GERADE
Wenn er wüsste
FanfictionIhre Welten könnten nicht unterschiedlicher sein. Er- lebt ein leben in der Öffentlichkeit, ein erfolgreicher Rennfahrer in der F1 auf dem direkten weg die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Sie- lebt ein leben in der Dunkelheit, aufsteigende Nachtclub...