Wenn er wüsste

32. Qualifying

Die Strecke ist überfüllt und alle scheinen mehr Plan zu haben, als ich. Wie ein kleines Kind laufe ich Eva und Alexandra hinterher. Nach wenigen Minuten habe ich absolut die Orientierung verloren. Eva und ich haben bereits unsere Outfits an, damit wir nicht mit einer riesigen Tasche über das Gelände laufen müssen, denn wir haben noch ein paar Stunden bis zu unserem Auftritt. Alexandra erklärt uns an einem kleinen Café, wie das Qualifying abläuft und was der Sinn dahinter ist. Charles hat scheinbar gut abgeschnitten und startet das Rennen auf 'P3'. Die gesamte Aufstellung zeigt sie uns auf ihrem Handy und zeigt dabei mit dem Zeigefinger auf mich. "Dein Lando startet hinter Charles, das wird also sehr Spannend!"

Ich hebe die Augenbrauen überrascht. "Er ist nicht mein Lando." versuche ich mich zu verteidigen, aber ich bin mittellos. Im Augenwinkel sehe ich Eva grinsen und Alexandra wirft ihr einen kurzen Blick zu, der aber so Auffällig ist, dass ich ihn bemerke. "Moment mal.." denke ich laut und sehe beide abwechselnd an, "Was führt ihr im Schilde?" Ich werde von ihrem Grinsen angesteckt. Natürlich verraten mir beide nicht, warum sie sich so angesehen haben. Evas Akzent kommt wieder hervor, als sie mich seitlich in den Arm nimmt. "Lass dich doch mal überraschen, süße!" Jetzt lachen beide noch mehr und plötzlich finde ich die Situation garnicht mehr so lustig. Der Gedanke, dass scheinbar alle bescheid wissen, außer ich, nervt mich. Mein Lächeln sinkt und ich sehe nach unten. Ich kann grade kaum erwarten im Flugzeug zu sitzen..

----

Das Qualifying, was für mich aussieht wie das Rennen selbst, neigt sich dem Ende zu. Für Eva und mich bedeutet dass, das unser Auftritt immer näher kommt. Alexandra hat uns netterweise zu unserem Treffpunkt begleitet, welcher etwas abseits, hinter der Ferrari Garage liegt. Der schmale Gang ist etwas überfüllt, also müssen wir uns an ein paar Leuten vorbeiquetschen. Eva bleibt vor mir abrupt stehen und versteift sich direkt. Ich verstehe erst nicht warum, aber bei einem Blick an ihr vorbei erkenne ich Lorenzo vor uns stehen. Er sieht genau so angespannt aus, denn überraschender weise, ist er nicht alleine. Mein Blick wandert an seiner Hand herunter. Fest ineinander verschlungen hält er eine Frau an der Hand. Fuck.. Das Eva nichts über die Nacht nach dem Club erzählt hat, ist nicht sonderlich unüblich, aber ich habe direkt das Gefühl, dass sie das nicht wusste. Lorenzo begrüßt Alexandra als erste, denn an ihr kann er nicht einfach vorbeigehen und so tun als wäre nie etwas passiert. Ich sehe, dass Eva nicht richtig weis, wie sie reagieren soll, daher nehme ich sie seitlich an die Hüfte, so, dass sie es bei mir auch macht. Damit kann Lorenzo ihr nicht zu nah kommen, aber wir haben die Möglichkeit ihm mit Worten zu begrüßen. Während er und seine Begleitung ein paar Worte mit Alexandra reden, dreht sich Eva zu meinem Ohr. "Wir schreiben täglich.. ich wusste nicht das er eine Partnerin.." flüstert sie abgekürzt denn Alexandra dreht sich so, dass sie uns ins Gespräch einbinden möchte und ich weis direkt, was Eva meint. Was ein Arsch.. Nach ein paar gespielten und Aufgesetzten Worten zieht er mir seiner Begleitung weiter. Alexandra dreht sich direkt zu Eva um. "Oh Gott, was war das denn?"

"Wusstest du, dass er eine Partnerin hat?" fragt Eva Alexandra aber diese schüttelt den Kopf. "Nein, das hätte ich dich auch wissen lassen.." sie wirkt so, als würde ihr der Abend im Club durch den Kopf gehen. "Ich hätte niemals..., wenn ich das gewusst hätte..." Eva wirkt geschockt.

Um die Stimmung etwas aufzuheitern und um mich für eben etwas zu rechen hebe ich spielerisch den Zeigefinger. "Na immerhin fliegen wir beide ohne positives Erlebnis nach Hause!" Ich bin froh, das beide meinen Sarkasmus verstehen und mit mir darüber Lachen können, obwohl ich am liebsten jetzt schon zurück fliegen würde, denn das Gefühl zu haben, dass er hier irgendwo ist, zerreisst mich langsam und qualvoll.

----

"So ihr Lieben, noch zehn Minuten, dann sind wir dran!" ruft die Trainerin über unsere Gespräche hinweg. In einem freien Raum haben wir alle die Tische und Stühle zur Seite geschoben, um uns ein bisschen platz zum aufwärmen zu schaffen. Zusammen mit Sam und Eva stehe ich in einem kleinen Kreis und wir dehnen uns. Wenigstens hat dieses Wochenende ein positives.. Sam kann wieder befreit mit mir reden, und hält sich nicht mehr zurück wie in den letzten Tagen. Ob sich Lando auch bei ihm entschuldigt hat?

„Wir müssen! Los geht's!" wieder übertönt uns die Laute Stimme, aber anders als eben bekomme ich Herzklopfen. Ich habe zwar viel Erfahrung und der Auftritt macht mir an sich keine Probleme, aber das Gefühl zu wissen, das Lando irgendwo in der Masse steckt, macht mir Angst.
Keine Ahnung warum mein Körper so reagiert, vermutlich werde ich ihn nichtmal richtig wahrnehmen. Als wir Richtung Bühne gehen, ist die Gasse wie leer gefegt. Alle haben sich auf der Startseite der Rennstrecke gestellt. Abgetrennt durch einen Zaun und Security, stehen vor diesem Zaun alle Fahrer. Vor ihnen stehen kleine Kinder und sehen begeistert die Fahrer an. Die Spanische Königsfamilie steht etwas abseits am Rand und unterhalten sich noch ausgiebig. Vor lauter Eindrücken, sehe ich Lando erst zum Schluss am Ende der Fahrerschlange stehen, als wir rechts abbiegen und auf die Bühne gehen. Die Leute rufen Wild durcheinander und erst nach einigen Minuten wird es stiller. Bevor wir starten können, sagt ein Sprecher die Nationalhymne an.

Da die Bühne genau parallel vor den Fahrern steht, kann ich Lando genau ansehen. Er sieht für einige Momente das Junge Mädchen vor ihm an, bevor er die Arme hinter den Rücken nimmt und seinen Kopf hebt.