Kapitel 33

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Er geht leicht humpelt vier Schritte nach vorne, dreht sich auf seinen Absatz um und macht wieder vier Schritte in die andere Richtung. Die Gummisohlen auf dem Betonboden erzeugen keine lauten Geräusche, nur ein wiederholendes tap tap ist bei jedem Schritt zu hören. Viele Stunden hat er so verbracht, von der Tür zum Fenster, ein Ausblick in den Himmel, der unterteilt ist, durch Gitterstäbe. Philipp verbrachte so Monate in Untersuchungshaft, ohne die Möglichkeit rauszukommen. Das alles verdankte er Maximilian von Altenburg, dieses verdammte Arschloch. Er hätte es fast geschafft, mit Ava für immer zusammen sein zu können, aber dieses kleine Biest von Chiara wollte einfach nicht aufgeben und Ava nicht loslassen. Bei diesen Gedanken verzieht sich sein Gesicht zu einer grausamen Maske aus tiefstem Hass. Sie werden es noch alle bereuen, sich gegen ihn und seine Zukunft gestellt zu haben.

Selbst zwei Tage nach dem Zusammentreffen mit Ina macht sich Ava innerlich immer noch Vorwürfe über ihre Reaktion. Noch nie zuvor hat jemand sie so gereizt, dass sie ihre Contenance verloren hat. Was hätte sie getan, wenn Chiara nicht eingegriffen hätte, dieser Gedanke macht ihr unglaubliche Angst. Sie ist nicht mehr nur für sich und ihre Handlungen verantwortlich, sondern muss auch an Chiara und das kleine Wesen in ihr denken. Das kleine etwas dort in ihrem Bauch ist jetzt das wichtigste und muss beschützt werden.

Erschreckend schnell ist der Sommer ins Land gezogen und angenehme Temperaturen animieren zu leichter Kleidung. Durch ihre dunkel getönte Sonnenbrille beobachtet Ava eine kleine Spinne, die ihr Netz zwischen Geländer und Sonnenschirmstange spinnt, was etwas hypothetisch auf sie wirkt. In Shorts und mit Bikini-Oberteil liegt sie auf dem Balkon, um etwas Sonne zu tanken. Durch die Wärme haben sich winzige Schweißperlen gebildet, die sich langsam einen Weg hinab ins Dekolleté bahnen. Sie streichelt zärtlich über ihren kleinen Babybauch, seit kurzem ist er schon erkennbar. In letzter Zeit ist sie häufig müde, wie auch heute, nach einer vollen Arbeitswoche ist einfach die Energie erschöpft. Die sonst so voller Power strotzenden Frau hat sich im vergangenen ersten Trimester ihrer  Schwangerschaft verändert. Die erste Zeit mit der Übelkeit war wenig schön, aber die jetzigen Stimmungsschwankungen und die Erschöpfung machen ihr zu schaffen. Abwechselnd kam noch dazu, dass Ava sich niedergeschlagen, gereizt, voller Vorfreude oder den Tränen nahe fühlte. Alle abwechselnd emotionale Befindlichkeiten bekommt Chiara ab und sie lässt sich nichts anmerken, dass es sie hin und wieder verrückt macht. Stattdessen nimmt sie es mit so viel Gelassenheit und Rücksicht auf Ava hin und ist für ihre Frau da. Nach dem turbulenten Abend, als sie die Schwangerschaft feiern wollten, haben sie zum Glück gut verarbeitet und haben sich dann nur noch auf die Schwangerschaft und die Arbeit konzentriert. Doktor Hugendubel, die behandelnde Ärztin bei der Insemination, begleitet Ava nun auch über ihre Schwangerschaft. Die erste Ultraschall-Sitzung war fast magisch für die Grothes. Voller Staunen sahen beide Frauen auf dem Bildschirm, wo nur Nebel zu erkennen war und Dr. Hugendubel gezielt auf einen Punkt zeigte und mitteilte, dass das ihr Baby ist. Es wirkte wie eine winzige Seifenblase mitten in einem Schneegestöber. Das erste Bild wurde von Chiara sofort in das Babybuch geklebt und mit Datum versehen. Sie hatten beschlossen, bald allen die frohe Botschaft zu verkünden. Der einzige, den sie bisher eingeweiht hatten, war Yannick und er wollte schweigen, bis Ava und Chiara es offiziell machen wollten. Der junge Sanitäter freute sich so mit den beiden über diese wunderbare Nachricht, dass er sich kaum am Telefon beruhigen konnte. Dieses Wochenende sollte es nach Essen gehen und merkwürdigerweise war Chiara sogar aufgeregter als Ava, schlimmer als jedes Kind zum Heiligen Abend. Als sich Ava nun an Chiaras Gesichtsausdruck erinnert, als sie ihre Süße damit aufgezogen hatte, musste sie etwas vor sich hin schmunzeln. “Du sieht aber zufrieden aus, an was hast du gerade gedacht?” fragt Chiara, die gerade durch die Balkontür tritt und einen Teller mit Melonenstücken auf das Tischchen stellt. “Mir ist nur etwas lustiges durch den Kopf gegangen.” antwortet die Große und greift nach einem Stück der Wassermelone. Mit einer schnellen Bewegung schlägt Chiara die Hand ihrer Frau weg. “Das ist meine Melone, die habe ich mir extra fertig gemacht.” “Die kleine Blase und ich haben aber auch Hunger." sagt die Schwangere etwas ungehalten. Chiara nimmt langsam auf den Beinen von Ava Platz, streicht sanft über das Bäuchlein und senkt ihren Kopf runter, um zu horchen. “Also unsere Blase hat große Lust auf etwas Melone? Dann muss ich dem Verlangen ja nachkommen.” Sie nimmt ein Stück und hält es Ava vor die Nase und dabei tropft etwas Saft auf die Haut und läuft ins Dekolleté. “Upps.” kommt es von der Kleinen. Mit ihrer Zunge leckt Chiara genüsslich die Tropfen von der leicht gebräunten warmen Haut ihrer Frau. "Mmmh, sehr köstlich, so herrlich süß.” Statt in das Melonenstück zu beißen, greift Ava nach Chiaras Gesicht und küsst sie leidenschaftlich. “Du schmeckst auch verdammt süß und ich will mehr auf der Stelle!” macht Ava klar. Beide verschwinden sehr schnell in die Wohnung und hinterlassen alle paar Meter Kleidungsstücke und huschen ins Schlafzimmer und Vergnügen sich den Rest des sonnigen Nachmittags ausgiebig im Bett.

Chiara konnte es kaum erwarten, wieder in Essen zu sein und Familie und Freunde wieder in die Arme zu schließen. So sehr sie das Leben mit Ava in München liebte, dennoch gab es immer wieder Momente, da sie die Menschen, die ihr sehr viel bedeutenden, fehlten. Heute stand der Flug an, Taschen waren schon gepackt, damit alles zügig und reibungslos läuft. Mit einer schwungvollen Drehung des Lenkrads biegt das Taxi in die Einfahrt und beide Frauen steigen vollkommen entspannt und gut gelaunt aus dem Wagen. In der Villa trafen sie nur Frau Scholz an und daher machten sie sich weiter auf den Weg zum Zentrum. Etwas abwesend schaut Ava aus dem Fenster und sieht dem Verkehr zu, der an ihrem Taxi vorbei rauscht und streicht dabei automatisch über ihren Bauch. Chiara beobachtet ihre Frau, legt ihre Hand auf die von Ava, die auf dem Babybauch ruht und fragt:” Schatz, was geht dir durch den Kopf?" “Ich mache mir Gedanken, wie Isabelle es aufnehmen wird, dass ich nun von Yannick schwanger bin." Begeistert war sie nun wirklich nicht. "Ich möchte auf keinen Fall der Grund sein für Probleme ihrer Beziehung.” “Sag doch sowas nicht, Yannick und Isabelle haben es doch geklärt und zwischen ihnen ist alles gut." "Jetzt werden wir alle andere mal so richtig überraschen und alle werden sich für uns freuen.” sagt Chiara freudig. “Du hast wie immer recht und das macht mich manchmal ganz verrückt. Aber auch dafür liebe ich dich.” antwortet Ava und gibt der Kleinen einen sanften Kuss. Wie so oft stehen Justus, Simone, Richard und Lucie konspirativ vor dem Eingang zum Zentrum und besprechen ihre nächsten Schritte für Steinkamp Sport und Wellness, als das Taxi vor Ihnen anhält. Langsam gleitet das elektronische Fenster herunter und gibt das strahlende Gesicht von Chiara frei und fragt in die Runde:"Wen von euch muss ich bestechen, um mal wieder aufs Eis zu kommen.” “CHIARA!” rufen Lucy und Simone fast gleichzeitig überrascht aus. Unter lautem Kreischen steigt die Eis Diva aus und nimmt Simone, Lucie und Richard herzlich in den Arm, bei Justus bleibt sie weiterhin verhalten, was die Begrüßung betrifft. “Was machst du denn hier, wir wussten gar nicht, dass du kommen wolltest.” fragt Simone.
“Wir wollten uns einfach mal wieder in Essen blicken lassen.” kommt es von Ava, die gerade aus dem Taxi steigt. Alle vier wenden sich nun der Blondine zu und machen große Augen. “Ava, du bist…" wie ist das denn passiert. "Bist du etwa schwanger?” platzt es als erstes aus Lucie. Chiara stellt sich zu ihrer Frau und ruft: "Überraschung, wir bekommen ein Baby!” In diesem Moment passieren zwei Sachen sehr gleichzeitig, alle Frauen johlen laut auf vor Glück und Freude und die beiden Herren halten sich aus Sicherheitsgründen die Ohren zu.
Stolz wie Oskar sagt Richard: “Unsere Familie wird wieder ein Stückchen größer und der Papa wird mal wieder Großvater, also ich meine eher Ersatz-Opa.” Ava lächelte das Oberhaupt der Familie Steinkamp an und erwidert:” Du wirst auf jeden Fall der Opa für unsere kleine Blase, ich meine, unser Baby sein.” Simone und Richard schauen sich gerührt an und nehmen nochmals Ava und Chiara in eine liebe Umarmung. Die ganze Gruppe schreitet ins Zentrum und findet sich an der Theke wieder und lässt sich Champagner einschenken. Ava mit einem riesigen alkoholfreien Cocktail stößt mit allen auf die frohe Botschaft an.“Ich könnte doch nach dem Flip einen Salchow machen, wie findest du die Idee?” fragt Leyla ihren Trainer. Bevor Deniz antwortet, entdeckt er die Gruppe und sieht mitten unter ihnen Chiara und Ava. Leyla wedelt vor Deniz Gesicht und sagt:” Na toll, jetzt hörst du mir nicht mal mehr zu, bitte Konzentration auf die amtierende Deutsche Meisterin."
“Was siehst du denn da…", als Leyla sich umdreht, stoppt sie mitten im Satz und schreit lauthals “Nadolny!” Beide Freundinnen nehmen sich in den Arm. “Du weißt schon, dass es mittlerweile Grothe heißt.” korrigiert Chiara sie mit einem Augenzwinkern. "Na, das nenn ich mal eine Überraschung, was treibt euch denn mal wieder zu uns?” fragt Leyla und wird im selben Moment auf die Schulter getippt. “Hey Leyla, schön dich zu sehen." sagt Ava und nimmt ihre frühere Läuferin in eine Umarmung. "Ava, du lässt es dir aber gut gehen, du hast ja schon einen Wohlstandsbauch bekommen, aber das kann unmöglich an Chiaras Kochkunst liegen." formuliert Leyla etwas unglücklich. “Ey, nicht so frech, dafür bin ich im bestellen unschlagbar." erwidert Chiara etwas pikiert. “Ich bin nicht fett, sondern schwanger.” erklärt die Große Blonde. In diesem Moment bekommt vor Staunen Leyla kein Wort mehr raus. “Schwanger, so richtig schwanger, so wie in ein paar Monaten seid ihr Eltern." "Mensch, wie geil ist das denn!” ruft Leyla begeistert aus. Die Freude über die Schwangerschaft ist allen anzusehen und es wird noch kräftig darauf angestoßen. Die Anspannung von Chiara und Ava ist von ihnen abgefallen und sie sind überglücklich darüber, dass die Familie und Freunde die neue Nachricht so gut aufgenommen haben. Ava beugt sich etwas zu Chiara runter und flüstert ihr zu:” Ich würde es Lucie doch lieber jetzt schon erzählen, dass Yannick unser Spender ist. "Wie denkst du darüber?” “Vermutlich ist das am besten, bevor wir es allen anderen  auch mitteilen." Sie ist schließlich auf gewisse Weise die Tante von unserem Kind. "Wenn sie es von jemandem anderen erfahren sollte, wäre es wahrscheinlich weniger gut.” antwortet Chiara. “Dann sind wir uns wieder einmal einig.” sagt Ava und lächelt ihr schiefes Lächeln. Ein kurzer intensiver Blickkontakt entsteht zwischen den beiden und verfallen sogleich in einen wunderschönen langen liebevollen Kuss.

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