Kapitel 6: Funken im Dunkeln

4 0 0
                                    

Isabelle atmete tief ein, als Damians Worte wie ein kaltes Messer an ihrem Bewusstsein kratzten. Ihr Blick ruhte weiterhin auf dem gefesselten Mann, dessen zittriger Atem von nackter Angst zeugte. Die Anspannung im Raum war greifbar, als wäre die Dunkelheit selbst lebendig und beobachtete ihre Entscheidung.

„Eine Entscheidung", hatte Damian gesagt.

Und genau das war es. In diesem Moment konnte sie wählen, auf welcher Seite sie stehen wollte. Die strahlende, aber farblose Welt, die Alexander ihr bot – sicher, aber eingeengt in festen moralischen Regeln und Grenzen. Oder die dunkle Freiheit, die Damian verkörperte. Ein Reich aus Chaos und Macht, in dem sie sich selbst neu erschaffen konnte. Eine dunkle Göttin, dachte sie plötzlich, und das Bild faszinierte sie. Sie könnte mit ihm regieren, nicht als dekorative Königin, sondern als jemand, den man fürchten und respektieren würde.

Damian trat hinter sie, seine Präsenz dicht an ihrem Rücken, während sein Atem ihre Haut streifte. „Entscheide dich, Isabelle", flüsterte er und schob ihr die Klinge in die Hand. Das Metall fühlte sich kühl und schwer an, als gehöre es schon immer zu ihr. Sie spürte seinen Blick auf sich, wartend, fordernd. „Willst du diese Macht? Willst du an meiner Seite stehen?"

Ihr Herz raste, ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, doch als sie die Augen des Verräters trafen – weit, flehend und voller unartikuliertem Schrecken – spürte sie, wie die Dunkelheit in ihr aufschrie. Lass los, wisperte eine Stimme in ihr, süß und verlockend. Lass los und sei frei.

„Entscheide dich, Isabelle", wiederholte Damian sanft, aber unnachgiebig, als er ihre zitternde Hand um die Klinge schloss. Sie konnte die Wärme seines Körpers spüren, die Ruhe in seiner Stimme, die wie ein Leuchtturm in einem tobenden Sturm wirkte.

Langsam hob sie das Messer, und die Zeit schien für einen Moment stillzustehen. Alles in ihr war auf diesen Augenblick fokussiert. Die Vernunft schrie in einer fernen Ecke ihres Geistes, doch die Dunkelheit in ihrem Inneren war stärker. Sie sah das Zittern des Mannes, die Panik in seinen Augen, und dann tat sie es – die Klinge drang in seine Brust, tiefer und tiefer, bis sie das Schlagen seines Herzens aufhörte zu spüren.

Ein einzelner, leiser Atemzug entwich ihren Lippen. Für einen Moment war alles still. Die Welt schien den Atem anzuhalten, als die Dunkelheit, die so lange in Isabelle geschlummert hatte, endlich ausbrach.

Dann traf es sie mit der Wucht eines Feuers, das ungebändigt um sich schlug.

Macht durchflutete ihren Körper, ein brennendes Gefühl, das sie sowohl verzehrte als auch stärkte. Es war, als ob jede Faser ihres Wesens von diesem einen Akt transformiert wurde. Ihr Herzschlag, der zuvor noch in Panik raste, wurde langsamer, kräftiger. Die Angst verschwand, stattdessen erfüllte sie eine berauschende Klarheit.

Isabelle zog das Messer zurück, und ihre Finger zitterten nicht mehr. Sie ließ den Körper des Verräters achtlos auf den Boden fallen, ihre Augen leuchteten kalt, doch ihre Lippen verzogen sich zu einem gefährlichen Lächeln.

„Ich habe meine Wahl getroffen", flüsterte sie, während ihr Blick fest auf Damian gerichtet war. „Ich stehe an deiner Seite."

Für einen Herzschlag war Damian regungslos. Dann, fast wie in Zeitlupe, glitt ein Funkeln in seine grünen Augen, und sein Gesicht veränderte sich. Es war kein Triumph, kein gieriges Verlangen, sondern etwas Tieferes, Unerwartetes. Etwas, das Isabelle selbst erschüttern sollte: Respekt.

„Das habe ich mir gedacht", murmelte er und trat näher, bis nur noch Zentimeter sie trennten. Er hob die blutbefleckte Hand, die das Messer hielt, und legte sie an seine Lippen. „Du bist perfekt, Isabelle. Eine Göttin, geschaffen, um über die Schatten zu herrschen." Seine Stimme war weich, fast zärtlich, während sein Blick sie durchdrang. „Die Dunkelheit kleidet dich so gut."

Die Schatten Königin- Between Shadows and Flames Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt