HARRY
"I would have stayed up with you all night, had I known how to save a life"- The Fray
15. Juli 2016
Ein Geräusch dröhnte in meinem Kopf. Ein hoher, schriller Ton, der mein Gehirn bei jeder Wiederholung fast zum Platzen brachte. Nach längerer Zeit, in der ich nur meine leere Wand anstarrte, realisierte ich, dass das Geräusch keineswegs aus meinem Kopf stammte, sondern dass es meine Türklingel war, die unentwegt schrillte. Ich dachte gar nicht daran an die Tür zu gehen. Was brachte es schon mit jemandem zu reden?
Alles was ich brauchte, waren die zwei Flaschen Tequila, die leer neben meinem Bett standen und die Kopfschmerztabletten, die auf meinem Nachttisch lagen. Denn nur sie konnten mir helfen, zu vergesse, dass Louis... ich brachte das Wort nicht einmal in meinen Gedanken über die Lippen. Es war zehn Tage her und der Schmerz wurde jeden Tag schlimmer. Auf die Fassungslosigkeit, folgte der stechende Schmerz, der mit der Konfrontation der Tatsachen einherging.
Louis war auf einer der Landstraßen, außerhalb von Manchester in einen Unfall verwickelt worden. Er war mit einem anderen Auto zusammengekracht und offenbar, wurde irgendetwas so demoliert, dass das Auto kurze Zeit später in die Luft flog. Ich hätte gern dem entegegenfahrenden Autofahrer die Fresse poliert, aber der war auch.... Wieder sträubte sich mein gesamter Körper dieses grausame, unleugbare Wort auch nur zu denken. Auch das andere Auto war wenig später explodiert. Offenbar hatte das Feuer von Louis Mercedes, auf das andere übergegriffen und hatte dort den Öltank erreicht. Der Mitbeteiligte konnte immer noch nicht identifiziert werden, was Liam mir mit belegter Stimme bei der Gedenkfeier mitteilte. Als ob mich das irgendwie interessieren würde. Wir waren schließlich bei Louis Gedenkfeier. Fuck, nicht mal ne Scheißbeerdigung konnte es geben, weil es keine Leiche gab.
Tief in meinem Innern wusste ich dass meine Hasstirade unbegründet war, da Louis, wie Liam mir versuchte so schonend wie möglich beizubringen, viel zu schnell gefahren sei und das bei nasser Fahrbahn. Das war der Moment, in dem ich Liam eine reingehauen hätte, wären nicht Niall und Steve dazwischen gegangen, die mich in einen anderen Raum brachten.
Das unerträgliche Ringen meiner Klingel folterte wieder meinen Kopf und ich robbte zu Nachttisch um mir eine Tablette zu nehmen. Ich schluckte sie ohne Wasser und ließ mich wieder in mein Bett fallen. Meine Wut auf alle und jeden war mittlerweile verflogen, genauso wie meine Frage, warum es geschehen war. Wen interessiert das Warum. Es gab nichts, was man noch tun konnte, außer sich die Frage zu stellen, wozu man morgens überhaupt noch aufstand. Der dumpfe Schmerz, dem alles andere gewichen war, war viel zu mächtig, als dass man ihn niederringen konnte. Ich streckte mich und griff in mein Regal neben meinem Bett, um eine neue Flasche Tequila zu öffnen. Das nervtötende Geräusch war mittlerweile verstummt und erleichtert darüber, nahm ich einen tiefen Schluck aus der Flasche. Es brannte schmerzhaft, aber das war gut. Körperlicher Schmerz war gut. Er erstickte den Seelischen, wenigstens für ein paar Sekunden.
„Mein Güte Harry, so kann das doch nicht weitergehen!" Eine rothaarige Person rauschte durch den Raum und griff nach meiner Tequilaflasche. Kurz rangelten wir beide um die Flasche, doch schließlich gab ich auf. „Was willst'n du hier?", fragte ich Ed und bemerkte wie schwach und rau meine Stimme klang, nachdem ich sie so lange nicht mehr benutzt hatte.
„Dir kräftig in den Arsch treten. Das kannst du doch nicht machen, Harry."
Ich starrte ihn eine Weile an, ohne den Sinn seiner Worte zu verstehen.
„Was mach ich denn?", fragte ich trotzig. „Du versinkst in Depressionen, Harry. Du verlierst dich und das wirst du nicht tun, klar? Du bewegst jetzt deinen Hintern in Richtung Dusche und dann wirst du runterkommen und ein Frühstück essen, was dich nicht blau werden lässt, verstanden?" Ich brummte etwas Unverständliches und Ed verließ mit einem lauten „Beweg dich!" den Raum. Mit dem Tequila. Stöhnend schlug ich die Decke zurück und machte mich in Schneckentempo auf den Weg zum Bad. Ich musste Ed nur ein, zwei Stunden ertragen, dann konnte ich mich wieder meiner Vergessenstherapie widmen.
Als ich die Treppe runterschlich, sah ich Ed am Herd stehen, was eine Premiere war, da ich Ed bisher immer nur mit Essen, was man bestellen oder in den Ofen schieben konnte, gesehen hatte. Ich setzte mich an den Küchentisch und schwieg beharrlich in der Hoffnung, dann würde Ed vielleicht früher verschwinden. Er knallte mir das Rührei vor die Nase, setzte mich mir gegenüber und sagte nur „Iss!". Aber mit einem Blick, der mich dazu brachte die Gabel in die Hand zu nehmen und das Rührei aufzuspießen. Während ich aß, erzählte mir Ed, was ich so verpasst hatte und ich tat so als würde es mich ansatzweise interessieren. Liam war mit Sophia ans Meer gefahren und Niall zu seiner Familie nach Irland. Wo Zayn war, wusste keiner so genau, aber was ausgerechnet er trieb, interessierte mich am allerwenigsten. Er hatte seit einem Jahr vielleicht zwei Worte mit Louis gewechselt, was nicht viel mehr war wie zu uns anderen.
„Ich hab deine Post reingeholt", sagte Ed irgendwann nach einer längeren Pause der Stille. „Willst du sie nicht aufmachen?", fragte er mich, da ich keinerlei Reaktion gezeigt hatte. „Wozu? Beileidsbekundungen von Leuten, die ich nicht kenne? Was bringt mir das?" Ed schaute mich weiter eindringlich an.
Also nahm ich die erste Karte von dem Stapel. „Oh, Hannah Dellano ist tief erschüttert? Kenn ich nicht. Michelle Williams bekundet ihr Beileid? Wen interessierts? Sam Smith will mir zur Seite stehen? Wie nett von ihm.", las ich die Karten nacheinander vor und schmiss sie dabei hinter mich zu Boden. Ich wollte schon nach der nächsten Karte greifen und mein spöttisches Kommentar dazu abgeben, doch ich stockte.
Es war keine Karte, es war ein grüner Brief. Doch das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern die Anschrift. Besser gesagt die Schrift, die... „Das ist Louis Handschrift.", sprach ich tonlos aus und Ed verschluckte sich an seinem Kaffe. „Was?", keuchte Ed und wollte nach dem Brief greifen, doch ich zog ihn schnell zurück. Ungeduldig riss ich den ihn auf und mir fiel ein kleines beschriebenes Blatt in den Schoss. Ich fing an zu lesen und mit jeder Zeile wurde mir schlechter und der stechende Schmerz kam zurück und überrollte mich mit voller Wucht.
Harry,
ich wünschte ich hätte es besser machen können. Aber das war der einzige Ausweg, den ich gesehen habe. Ich entschuldige mich für all den Schmerz, den ich dir zufügen werde.
Aber denk immer dran: es ist, was es ist.
Machs gut.
Louis
Verzweifelt drehte ich den Zettel mehrmals auf der Suche nach erklärenden Worten, doch alles was ich fand war eine Adresse, die Louis auf die Rückseite gekritzelt hatte.
Ed hielt derweil den Umschlag in der Hand. „Der Poststempel ist vom 3. Juli. Heißt das, dass er....?" „Ja.", sagte ich, während ich den Zettel anstarrte und spürte, wie die Wellen des Schmerzes mich überrollten. Hatte ich gesagt, dass ich nicht mehr leiden konnte, als ich es in der letzten Woche getan hatte? Dann lass es mich korrigieren, es geht immer schlimmer. Jetzt gerade war schlimmer. Ich spürte wie mein Kopf letztendlich doch explodierte, während ich die Worte aussprach, die etwas in mir aufschnitten und blutende Wunden hinterließen.
„Louis hat Selbstmord begangen."
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BROKEN SCENE / H. S.
FanfictionDo not pity the dead, Harry. Pity the living and above all those, who live without love. - Albus Dumbledore. Louis ist am Ende. Voll von Enttäuschung, Erschöpfung und Abweisung. All dies sieht er auch in Harrys Gesicht wieder gespiegelt und so trif...