Die Kiste

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Lange Zeit war es still und wir starrten uns alle nur an. Seine Großeltern schauten mich überrascht an und Noah wirkte verwirrt. Doch dann bewegte sich die Frau ganz langsam auf mich zu und legte ihre Hand auf meine Wange:" Du siehst ihm so ähnlich..." Es kam ganz leise und trotzdem verstand ich es ganz deutlich, als hätte man es in eine Höhle gerufen und es käme als lautes Echo zurück. Ich wusste sofort wen sie meinte. Meinen Vater. Aber woher kannten sie ihn? Ich beschloss dieses unangenehme und fast grusselige Schweigen zu brechen und das Ehepaar aus dem Krankenhaus damals einfach zu fragen:" Herr und Frau Edinger, richtig?" Die Frau nickte und setzte sich neben mich. Ihre Hand hatte sie inzwischen weg genommen. Auch der Mann setzte sich mir gegenüber:" Ich bin Ernst und das ist meine Frau Berta." Noah schaute einfach nur gespannt zwischen uns hin- und her bis er sich entschloss sich auch hinzusetzen:"Kann mir mal einer erklären was hier los ist?" Doch keiner antwortete ihm. Wir waren zu sehr mit uns beschäftigt:"Woher kennt ihr meinen Vater?" Ich entschied mich es gerade raus zu fragen, bevor mich der Mut verließ. Sonst würde ich es nie erfahren. Und das wollte ich unbedingt. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Ehepaar seit Jahren ein Geheimnis in ihren Herzen trugen und es endlich Zeit wäre es ihnen abzunehmen. Berta fing langsam an zu weinen, doch wir saßen weiter regungslos da, bis Ernst das Wort ergriff:"Als dein Vater noch ein kleiner Junge war, wohnte er in unserer Straße. Seine Eltern waren viel unterwegs und eines Tages landete sein Ball in unserem Garten. Als er kam um ihn zu holen habe ich gefragt ob wir spielen sollen. Da wurden seine Augen ganz groß und er nickte. Er strahlte. Ab da an kam er jeden Tag. Im Winter um Schlitten zu fahren und im Sommer um ein Eis und süße Erdbeeren in unserem Garten zu essen. Seine Eltern waren oft auf Geschäftsreise oder einfach im Büro arbeiten und so waren wir sozusagen seine Ersatzeltern." Das hat er mir nie erzählt. Ich kannte meinen Opa nie, weil er sich früh das Leben nahm und meine Oma kannte ich erst als Rentnerin. Ernst war anscheinend noch nicht fertig, denn er begann erneut zu reden:" Als Matthias, dein Großvater, sich dann das Leben nahm, brach für deinen Vater eine Welt zusammen. Er war zwar selten da gewesen und hatte wenig Zeit für ihn gehabt. Trotzdem war es sein Vater und er hatte ihn geliebt, wie ein Sohn seinen Vater nur lieben kann. Tief in meinem Inneren denke ich, dass sein Vater trotz all den Tiefen in ihrer Beziehung immer sein Vorbild war. Egal was er getan hat und dass kann man ihm nicht verübeln. Ich glaube auch, dass es vielleicht gerade diese Liebe war, die deinen Großvater umbrachte. Matthias war ein starker und ehrgeiziger Mann und das hatte er seinem Sohn vererbt. Trotzdem kam er nicht damit klar, dass sein Sohn ihn liebte und er diese Liebe nicht spürbar zurück geben konnte. Für ihn schien eine Welt ohne ihn besser für seinen Jungen zu sein, als mit ihm. Doch da sollte er sich täuschen. Dein Vater sah das völlig anders. Er verkroch sich. Er lies keinen mehr an sich ran. Trotzdem kam er jeden Tag. Doch er setzte sich nur in den Garten und sagte nichts, tat nichts, trank höchstens was. Saß still da und starte in den Himmel und ich könnte wetten, er suchte seinen Vater. Ein kleines Zeichen, dass ihm gezeigt hätte, dass sein Vater immer noch da ist. Doch ob er das je gefunden hat, kann ich nicht sagen. Irgendwann wurde er krank..." Ernst machte eine Pause. Ich musste das erstmal verdauen. Das war so viel neues, was ich nicht wusste. Ich wusste es einfach nicht. Ich dachte mein Vater hätte mir alles erzählt. Doch das ist so viel, was ich nie erfahren habe. Ich kann verstehen, dass er mich nicht damit belasten wollte, aber er hätte mit mir reden sollen. Ich hätte ihn fragen sollen:" Was? Mein Vater war krank? Was hatte er denn?" Plötzlich wurde der blick von Ernst trauriger und er blickte zu seiner Frau. Diese blickte zurück und es wirkte als würden die beiden mit Blicken reden. Die Zeit stand still und ich spürte mein Herz gegen meine Brust hämmern. Es war so still, dass ich alle anwesenden atmen hören konnte. Und plötzlich stieg mein verlangen, einfach wegzurennen. Ich hatte genug gehört. Ich wollte nicht noch mehr erfahren, was mein Vater alles durchmachen musste. Dann stand Berta auf und schaute mich an:" Komm mit mein Kind." Verwirrt stand ich auf und folgte ihr ins Wohnzimmer. Wollten sie mir nicht erzählen, was mein Vater hatte? Ich setzte mich aufs Sofa und sie verschwand kurz hinter der nächsten Tür. Doch schon bald kam sie mit einer Kiste wieder. Sie überreichte sie mir und setzte sich ebenfalls aufs Sofa. Ich schaute einmal zu ihr und dann auf die Kiste. Es war eine braune Holzkiste mit eingeritzten Mustern. Sie wirkte wie eine Schatzkiste. Man konnte sie aufklappen und auf dem Deckel waren die Buchstaben J und O eingraviert. „Die Kiste habe ich mit ihm gebaut". Ich blickte zum Türrahmen, wo Ernst stand und uns beobachtete. Natürlich: J für Johannes und O für O'Hare. Johannes O'Hare. Mein Vater. Ich strich mit meinem Finger langsam darüber und schon kullerte die erste Träne meine Wange runter, doch ich wischte sie schnell weg. Berta nahm meine Hand in ihre und schloss sie. Dann nahm sie ihre Hand wieder weg und als ich meine Hand wieder öffnete, befand sich dort ein Schlüssel, welcher an einer Kette hing:"Ich habe ihn immer bei mir getragen. In der Hoffnung, dass dieser Tag kommen würde." Zuerst war ich verwirrt, doch dann entdeckte ich das Schloss an der Kiste. Ich wollte gerade die Kiste aufschließen, als Berta mich aufhielt:" Nimm sie lieber mit und öffne sie in Ruhe." Ich nickte. Wahrscheinlich hatte sie recht. Die Kette mit dem Schlüssel hing ich mir um den Hals. Dann stand ich auf und nahm Berta in die Arme. Sie drückte mich und löste sich dann von mir:" Melde dich wieder." Ich nickte nur.Ich bekam einfach kein Wort raus. Ich war zu geschockt, um irgendetwas zu sagen. Eigentlich wusste ich gar nicht, wie ich mich fühlte. War ich überrascht? Geschockt? Vielleicht verärgert? Ich verabschiedete mich auch von Ernst und Noah:" Es tut mir leid. So hatte ich es nicht geplant. Ich wusste auch nichts davon." Ich schaute Noah überrascht an:"Alles gut. Wir sehen uns Montag." Mit diesen Worten klemmte ich die Kiste unter meinen Arm und lief auf schnellstem Weg nach Hause. Zuhause angekommen, suchte ich sofort meine Mutter:" Muum?", schrie ich durchs ganze Haus. Ich hörte Schritte und dann kam sie aus dem Garten, schloss die Tür und sah mich fragend an. Ich setzte mich aufs Sofa und fing an zu reden:" Ich habe heute Herr und Frau Edinger kennengelernt und sie haben mir diese Kiste gegeben von Dad. Ich würde sie gerne mit dir zusammen öffnen. Meine Mutter blickte mich überrascht an und nickte dann aber. Sie setzte sich auf das andere Sofa und hörte mir zu. Ich nahm den Schlüssel von meinem Hals und öffnete die Kiste. Voller Erwartung was sich darin befand. Das Schloss klemmte einwenig, da es etwas älter war, aber ich schaffte es. Das erste was ich sah, war eine Brosche, mit einem Zettel dran. Ich brauchte den Zettel gar nicht lesen, denn als ich die Brosche herausholte und meine Mum sie sah, zog sie scharf die Luft ein. Aus neugier las ich die Nachricht trotzdem:"Meine geliebte Frau. Ich weiß du dachtest du hättest sie verloren. Sie lag im Auto unter einem Sitz." Meine Mum musst leicht lächeln. Dann gab ich ihr die Brosche und sah wieder in die Kiste, als nächstes befand sich dort ein Brief. Ich schaute zu meiner Mum und sie nickte. Also machte ich ihn auf und begann zu lesen...

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Schöne Ferien💕

Das Mädchen ohne LachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt