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Ich atmete erleichtert auf, als ich die Wohnungstür hinter mir schloss. Der Polizist ließ mich mit einem mulmigen Gefühl gehen und widmete sich wieder der armen Mrs. Shepherd zu, die nicht aufhören konnte zu schluchzen. Ich fragte mich, wie die beiden Hudsons aussahen, doch dann protestierte mein Magen.
Meine Tasche fiel auf den Boden und ich zog mir meine klitschnasse Jacke aus. Als ich einen Bügel gefunden habe, hing ich sie auf. Anschließend ging ich zum Fenster, denn von dort konnte man gut auf die anderen Wohnungen und das Treppenhaus sehen. In der Wohnung von Mrs. Hudson brannte noch Licht. Die Polizisten befanden sich nicht mehr vor dem Eingang zum Treppenhaus. Nicht einmal Mrs. Shepherd war zu sehen.

Ich grübelte. Wie konnte das denn nur passieren? Mrs. Hudson war um die dreissig gewesen, und ihre Tochter etwa sieben.

Nur mit Mühe konnte ich in der Nacht einschlafen. Ich musste immer wieder an das heutige Geschehnis denken. Doch kaum nickte ich ein, klingelte auch schon mein Wecker. Seufzend stand ich auf und suchte meine Klamotten zusammen, die ich gestern im Zimmer herumgeworfen und liegen gelassen hatte, als ich mein Pyjama anzog. Nachdem ich sie gefunden hatte, zog ich mich schnell um und schaute auf die Uhr.
Oh Mann, ich habe schon wieder verschlafen! Und ich merkte das erst jetzt?
Ich kramte noch nach den letzten Sachen, die meine Hände greifen konnten, und packte sie in meine Schultasche. Danach rannte ich nach draußen und war mir sofort sicher, dass ich etwa die Hälfte der Bücher, die ich heute brauchte, Zuhause vergessen hatte.
Ich beachtete die Ampel wieder nicht und konnte gerade noch einem wütenden Autofahrer entwischen, der wie verrückt herumhupte. Doch seine Schimpfwörter kümmerten mich nicht, denn ich rannte einfach weiter.
Die ersten Regentropfen fielen auf den Boden und ich drohte, auf dem schlammigen Boden auszurutschen. Ich hielt mich noch im Gleichgewicht und stolperte nun weiter. Dort vorne, da war die Schule!
Ich stellte fest, dass noch ein paar Schüler vor dem Eingang standen und eine Zigarette rauchten. Ich war also noch nicht zu spät. Erleichtert atmete ich auf, doch dann passierte es.
Ich rutschte auf dem Schlamm aus und der Boden schmatzte, als ich hinfiel. Der Schlamm war kalt und ich spürte ihn an der Wange. Meine Klamotten sogen sich voll mit dem glitschigen Schlick. Als ich aufstand, schaute ich an mir herab. Meine ganze Hose war dreckig und sogar mein heller Pullover hatte dunkle Flecken. Ich sah dann wieder auf und realisierte, dass niemand mehr vor der Schule stand.

Ich riss die Türe auf und wurde von vielen grinsenden Köpfen angestarrt. Ich ignorierte ihre Blicke und starrte unseren Lehrer an. Es war ein kleiner, alter Mann und sogar er schmunzelte.
Meine Wangen wurden vor Scham rot.
Ich entschuldigte mich und eilte zu meinem Platz, der ganz vorne war. Die Köpfe drehten sich mit, sahen mich noch immer belustigt an. Ich wich ihren Blicken noch immer aus. Da entdeckte ich einen neuen Kopf.
Es war ein blonder Kopf. Fast weiß, genauer gesagt. Es waren zerzauste Haare, ich fragte mich, wie weich sie waren. Seine zwei blauen Augen nahmen mir die volle Aufmerksamkeit. Meine Beine wurden auf Knopfdruck wie Gummi, mein Atem stockte. Der Junge grinste, das brachte seine Augen zum Leuchten und mich zum Schmelzen. Die Hitze schoss mir ins Gesicht, mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Meine Güte, so etwas hatte ich noch nie erlebt.
Ich blickte auf seine Lippen, die praktisch zum Küssen einluden. Sie sahen so weich aus, so..
Ich wurde prompt von meinen Gedanken gerissen, als der Junge anfing zu sprechen.
Seine Stimme hatte etwas melodisches, sie war hell und klar. Und trotzdem trafen mich die Worte, die er aussprach: "Du hast da noch etwas Schlamm im Gesicht."

Alle prusteten los. Der Lehrer sagte nichts, war ja klar. Der Junge wandte den Blick von mir ab und sah die Wandtafel an, doch das Grinsen war noch immer in seinem Gesicht geschrieben.
Mit einem heißen Gesicht setzte ich mich auf meinen Platz. Ich wischte mir über die Wange und nahm mit zitternden Händen meine Stifte hervor. Ich starrte auf die vielen Zahlen, die auf der Wandtafel standen und tat so, als würde mich die Aktion vorhin nicht stören.
Doch das tat sie. Und wie sie es tat.

Ich war den ganzen Tag lang stinksauer. Mittlerweile hatte ich erfahren, dass der Neue Jay hiess und frisch hierhergezogen war. Komischerweise hatte er mich oft angestarrt, sagte Lori. Wahrscheinlich suchte er wieder nach einem Fehler, den er mir vor die Nase reiben konnte. Vielleicht wollte er mich auch ärgern. Doch da würde ich nicht mitmachen.
Nach der Schule machte ich mich auf den Weg nach Hause. Draußen wehte mir ein kühler Wind entgegen.
"Hey, Madeline!"
Jays Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich war noch immer wütend auf ihn. Ich blieb stehen, drehte mich aber nicht um.
"Was?", fragte ich genervt und seufzte.
Er schwieg eine Weile, bis er mich überraschte.
"Tut mir Leid, falls ich dich heute Morgen verletzt habe. Das war nicht meine Absicht."
Nun drehte ich mich zu ihm um und starrte ihn an. Sein Blick war schuldbewusst. Seine saphirblauen Augen fokussierten mich und erwarteten eine Antwort.
Oh.
Er sah gut aus.
Ich spürte, dass meine Wangen wieder heiß wurden. Auch Jay schien das nicht zu entgehen. Er lächelte kurz, bevor er sich räusperte.
"Ich wollte dich etwas fragen", sagte er.
"Hättest du Lust, mir die Stadt zu zeigen? Ich bin ja erst seit kurzem hier und kenne mich in dieser Gegend kaum aus."
Ich sah ihn verwundert an. Warum ich? Warum sollte ich ihm die Stadt zeigen? Es gab sicherlich schon Leute, die sich mit ihm angefreundet hatten.
"Du fragst dich sicherlich, warum ich dich frage", fügte Jay hinzu und hatte wieder das Grinsen im Gesicht. Ich nickte.
"Naja, ich wollte einfach dich fragen", gestand er.
"Ich hoffe du hast kein Problem damit?"
Ich räusperte mich.

Remnants Of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt