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Das Ereignis nahm schon seinen Lauf, als ich in der Schule ankam.
"Oh mein Gott", sagte Lori immer wieder. "Ich kann einfach nicht fassen, dass du fast getötet wurdest!" Sie umarmte mich fest und ich keuchte, weil mein Hals wehtat. Ich hatte Blutergüsse auf dem Hals und mein Rücken schmerzte vom harten Aufprall auch.
Ich zuckte nur die Schultern.
Das war meine einzige Reaktion, wenn mich jemand nach der Attacke ausquetschen wollte. Ich tat dies so lange, bis sie aufgaben und mich in Ruhe ließen.
Jay tat dies aber von Anfang an. Als würde er wissen, was ich zu verarbeiten hatte, hatte er sich zurückgezogen und ist mir seitdem nicht in der Schule begegnet.
Lori und ich betraten das Klassenzimmer. Nun war Biologie an der Reihe, mein Lieblingsfach. Ich war immer Klassenbeste und auch bei anderen Fächern stark. Doch heute starrten mich nicht alle Schüler an, weil ich als einzige die Frage verstand, sondern wegen der Attacke des Mädchens. Ich hatte einen Schal angezogen, um meine Blutergüsse am Hals zu verdecken, doch mein Husten erinnerte immer daran. Auch tat dies meine kratzige, raue Stimme.

Der Unterricht war vorbei und Lori lief mit mir nach Hause. Ich hatte sie zu einem Mittagessen eingeladen und sie sagte nicht Nein. Das rührte mich, denn sie wusste, wie sehr ich das Kochen verabscheute und ich war ganz und gar nicht gut darin.
"Ich habe Jay heute eigentlich gar nicht gesehen", bemerkte Lori und ich dachte nach. "Vielleicht ist er krank?", überlegte ich laut.
Da fiel mir noch Etwas ein. "Ich muss ihm noch seine Hausaufgaben bringen, die mir heute aufgetischt wurden", sagte ich. Dann sah ich Lori an und versuchte, meinen Hundeblick einzusetzen. "Könntest du bitte weiterkochen?"
Lori lachte. "Hör auf, so eine Grimasse zu schneiden! Das macht mir Angst!"
Ich grinste. Dann nahm ich meine Schultasche. "Weisst du denn überhaupt, wo er wohnt?", fragte Lori von der Küche. Ich zog mir meine Schuhe an, während ich sagte: "Ja. Er wohnt überraschend nahe." Den letzten Satz murmelte ich vor mir hin, Lori hörte ihn allerdings nicht.

Ich musterte die verschiedenen Namen, die aufgezeigt waren. Hudson war weg, stattdessen stand dort Andersson. Ich drückte auf die Klingel und hoffte, dass Jay die Tür öffnen würde. Nichts.

Vielleicht hatte er mich ja gar nicht gehört? Ich drückte drei Mal hintereinander auf Klingel. Wieder nichts.

Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich klingelte bei einem anderen Namen. "Ja?", meldete sich eine krächzende, gereizte Stimme. Es war die Stimme von einem Mann. Ich las den Nachnamen. Steiner.
"Äh, entschuldigung", sagte ich in den Lautsprecher.
"Ich habe mich ausversehen aus meiner Wohnung ausgeschlossen und meinen Schlüssel vergessen. Könnten sie mir bitte die Türe öffnen? Ich habe einen Ersatzschlüssel in der Fussmatte versteckt."
Für eine Weile war es still.
Dann hörte man, wie der Mann etwas von der heutigen Jugend murmelte und die Eingangstür öffnete sich surrend. Ich betrat das Treppenhaus und fand schließlich die Tür zu Jays Wohnung. Ich versuchte noch einmal zu klingeln.

Nichts. Die Türe war abgeschlossen.

Ich schnaubte und zog eine Haarnadel aus meinen Haaren. Ich bückte mich und musterte das Schloss.
Ein Kinderspiel. Ich hatte solche Sachen schon früher als Kind oft gemacht.
Ich steckte die Haarnadel ins Schloss und drehte sie herum. Nach ein paar Sekunden hörte man ein Klick! und ich öffnete die Tür. Die Luft in der Wohnung war stickig, anscheinend wurde hier seit Tagen nicht mehr gelüftet.
Ich sah mich um und war überrascht. Hier waren absolut keine Möbel. Alles was ich fand, war ein Gartenstuhl und eine Matratze in einem Zimmer. Eine Decke war schön darauf ausgebreitet und ein Kissen war auch auf der Matratze. Schlief Jay etwa darauf? Ich konnte mir das schwer vorstellen.
Ein Zimmer blieb übrig. Es war das dunkelste von allen.
Langsam betrat ich den Raum und es verschlug mir den Atem, als ich ihn sah.

Remnants Of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt