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"Was für ein Idiot!"
Lori kaute an ihrer Pizza herum, als ich von Jay berichtete. Es war Freitagabend, eine Woche nachdem Jay in unsere Schule kam, und ich saß mit meiner besten Freundin im Esplanade, meinem Lieblingsrestaurant. Es war das beliebteste Restaurant von Capital City, deshalb war es auch so voll.
Lori schluckte ihre Nahrung runter. "Hm, also ich weiß nicht", sagte sie und griff schon nach dem nächsten Stück ihrer Pepperoni-Pizza. "Vielleicht mag er es einfach, dich zu hänseln? Manche Jungs ärgern die Mädchen, die sie mögen." Sie rückte ihre Brille zurück, die ihr runterrutschte. "Ich will aber nichts mit ihm zu tun haben", erwiderte ich und blickte aus dem Fenster. "Solche Jungs bedeuten Ärger. Und ich habe überhaupt keine Lust, in Irgendetwas hineinzuraten."
Lori sah mich fragend an, während sie am kauen war. "Woher solltest du das wissen, dass er Probleme anzieht? Komm, gib dir 'nen Ruck! Ich bin mir sicher, dass ihr euch gut verstehen werdet."
Ich wollte etwas erwidern, als ich sah, wer gerade durch den Eingang kam. Mein Mund wurde plötzlich trocken und mein Atem stockte, als Jay mich entdeckte. Lori sah mich fragend an, doch nach einem Augenblick wusste sie, was hier abging. Sie grinste und ihre Augenbrauen wackelten. Jay kam genau auf uns zu und blieb vor unserem Tisch stehen. "Hey Lori!" Er grinste sie an und Lori grinste zurück. Als sie jedoch meinen geschockten Gesichtsausdruck entdeckte, zog sie sich zurück, indem sie aufstand. "Tut mir Leid, ich muss los", sagte sie und zwinkerte mir zu, bevor sie das Restaurant verließ.
Ich hätte ihr am liebsten den Kopf abgerissen.
"Mann, hat sie es eilig." Jay machte es sich gegenüber von mir bequem. "Na, wie gehts dir? Steht unser Angebot noch wegen-" Er wurde von mir unterbrochen. "Was machst du hier?", fragte ich ihn entgeistert. Er sah mich an. "Ich war auf dem Weg nach Hause und habe euch durch das Fenster gesehen. Da dachte ich mir, dass ich euch besuchen komme."
"Wie nett", sagte ich nur. Dann stand ich auf. Er tat es genauso.
"Also gut, bringen wir es hinter uns", murmelte ich und zog meine Fischerjacke an.
Jay grinste wieder. "War deine Jacke schon immer so schön gelb?", neckte er mich.
Ich verdrehte die Augen und verließ dann mit Jay das Esplanade. Draußen war es dunkel und kühl. Wir setzten uns in Bewegung.
Ich zeigte Jay die Bibliothek, das Stadttheater, welches ich immer gern besuchte, den Hafen und den Park. Dabei erklärte ich ihm, wann die Gebäude gebaut wurden, was das Spezielle an den ihnen war und warum ich sie so sehr mochte.
Auf den Straßen war viel los. Capital City schlief ja auch nie. Es fand immer etwas statt, egal um welche Uhrzeit.
Irgendwie war es gar nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Keine Bemerkungen, keine Witze über mich oder sonst jemand Anderes, nicht einmal ein Grinsen war auf seinem Gesicht zu sehen. Er hörte mir interessiert zu, als ich ihm die Verbindungen der Metro erklärte. Mal plauderten wir beide über die Schule, mal liefen wir schweigend nebeneinander, auch wenn das nicht lange dauerte. Aber die Stille war nicht peinlich, ganz und gar nicht. Sie war angenehm.

Ich wollte ihm gerade den Bahnhof zeigen, als eine Passantin mich aufmerksam machte. Sie saß zusammengekauert auf dem Boden und wimmerte vor sich hin. Die Leute, die an ihr vorbeiliefen, würdigten sie keines Blickes.

"Sie sind überall. Überall sind sie. Wenn ich mich nicht bewege, dann falle ich nicht auf." Ihre Stimme krächzte und sie stockte.

Ich machte einen Schritt nach vorn. "Madeline", sagte Jay leise.
"Pass auf." Er wollte mich zurückhalten
Ich hörte nicht auf seine Warnung. Langsam ging ich auf die Dame zu. "Äh, entschuldigung? Ist bei Ihnen alles in.." Die Frau sah plötzlich auf. Ihre braunen, weit aufgerissenen Augen sahen mich direkt an. Das Wimmern war verschwunden und die Zeit schien stillzustehen. Ich wollte etwas sagen, da verzog sie sofort das Gesicht zu einer Fratze, sprang auf und stürzte sich kreischend auf mich. Ich fiel zu Boden und spürte starke, kalte Hände um meinen Hals.
Sie versuchte mich zu erwürgen!
Ich hörte, wie Jay etwas brüllte.
Ich konnte nicht mehr atmen. Meine Lungen würden bald explodieren. Weiße Punkte tanzten vor meinen Augen. Ich werde sterben, dachte ich.
Das wars. Ich bin tot.

Plötzlich löste sich der Griff. Mein Hals war endlich wieder frei und meine Lungen füllten sich gierig mit Luft. Ich hustete und würgte. Ich hörte, wie die junge Frau herumschrie und sah sie an.
"Du Monster!", schrie sie. Sie wiederholte sich und sagte nichts anderes. Wir zogen die ganze Aufmerksamkeit auf uns.
Ein Polizist hatte sie gepackt und hatte ihr Handschellen angelegt. Sie fing an zu weinen.

"Hey, alles in Ordnung?", fragte Jay besorgt. Sein Gesicht blickte mir entgegen. Ich nickte langsam. Nichts tat mir weh. Langsam stand ich auf. Ich sah gerade noch, wie die Frau in einem Polizeiwagen davonfuhr. "Komm, gehen wir", sagte Jay und ich nickte wieder.
Diesmal schwiegen wir sehr lange.

"Hier wohnst du also?", fragte Jay. Er hatte darauf bestanden, mich nach Hause zu begleiten. "Nicht, dass dich noch ein anderer Passant angreift."
Das war seine Ausrede. Wir standen nun vor dem Treppenhaus und ich nickte.
Er grinste schief.
"Sieht so aus, als wären wir dann Nachbarn", sagte Jay. Ich sah ihn verwirrt an. Er nahm aus seinem Kapuzenpulli einen Schlüssel hervor und schnwenkte ihn hin und her. Der Schlüssel klimperte. "Den habe ich heute bekommen. Ist ja echt ein Zufall, dass wir in der selben Nachbarschaft wohnen."
Irgendetwas stimmte nicht.
Bevor ich etwas sagen konnte, kam mir Jay entgegen.
"Danke für den Tag heute." Seine saphirblauen Augen blickten mich an und raubten mir den Atem. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass sich unsere Körper fast berührten.
"Keine Ursache", stotterte ich. Jay lachte leise. "Du bist niedlich", sagte er grinsend.
Dann trat er einen Schritt zurück. Er verabschiedete sich von mir und machte sich auf den Weg zum Treppenhaus gegenüber.
Mit zitternden Beinen betrat ich meine Wohnung. Meine Fischerjacke warf ich auf den Boden und ich ging ins Wohnzimmer. Ich fand mein Buch auf dem Kaffeetisch und wollte mich gerade auf das Sofa setzen, als ich nach draußen sah.
In einer der Wohnungen gegenüber von meiner brannte Licht. Es war die Wohnung von den Hudsons.

Remnants Of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt