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Als wir wieder am Lagerplatz ankamen, war es Abend. Die Sonne ging unter und hüllte den Himmel in eine orangefarbene Decke ein. Ich hörte das Zirpen von Insekten.
"Danke, dass du mitgekommen bist", sagte ich zu Lynx. "Kein Problem!", lächelte er.
Wir kamen an der Feuerstelle an. Quint war weg. Ich setzte mich auf den Boden und fing an, den Bericht über Capital City zu lesen.
Über eintausend Tote.
Ich schluckte. Ich war einfach so am schlafen, während all das passierte.
Ich spürte Lynx' Blick auf mir ruhen. Ich hob den Kopf und sah in seine gelben Augen. "Hast du hunger?", fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. Mir war praktisch der Appetit vergangen, als ich die Zeitung las.
Ich legte sie weg und zog die Beine an meinen Körper.
"Sag mal... ihr seid doch insgesamt 59, ist der Rest euch in Capital City? Ich weiß, dass sie dafür verantwortlich sind."
Lynx schloss für eine Weile die Augen. Dann sagte er:
"Weißt du eigentlich, warum wir hier sind, außerhalb der Stadt?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Der Rest von den 59 ist hinter dir her."
Mir stockte der Atem. Wie beruhigend.
"Aber warum? Warum ich?", fragte ich verzweifelt. Ich verstand das noch immer nicht.
Lynx sah in den fernen Horizont.
"Das kann ich dir noch nicht sagen. Was du aber wissen solltest, ist, dass du immer sicher bei uns bist. Ethan hat uns nicht vertraut, er dachte, wir würden dich den Anderen ausliefern. Doch eigentlich wollten wir dich vor denen retten.
Wir sind hier, um deine Spuren zu verwischen. Aber bald müssen wir zurück nach Capital City, um dort die Lösung für all das zu finden."
"Für all das? Was meinst du?"
Er sah mich an. In seinen Augen lag etwas Verträumtes.
"Du sollst uns dabei helfen, wieder menschlich zu sein."

Ich saß auf einem Baumstumpf. Meine Augen waren geschlossen und ich hörte das Summen von mindestens einer quadrillionen Insekten. Eine Biene surrte um mich herum und ich saß stocksteif da. Ich hatte Angst vor Bienen, denn ich wusste nicht ob ich allergisch gegen ihre Stiche war oder nicht. Nach einer Weile war die Biene verschwunden und ich seufzte erleichtert auf.
Ich malte mit den Füßen vor mich hin. Plötzlich hörte ich Schritte. Ich drehte mich um. Hinter mir stand Prim. Sie lächelte mich an. "Hey", sagte sie.
"Hi, Prim!"
"Geniesst du die Wärme hier auch so sehr wie ich?", fragte sie.
"Kann sein. Gut möglich."
"Oh, okay."
Wir schwiegen eine Weile. Dann fiel mir etwas ein.
"Sag Mal, wo ist eigentlich Lori?"
Prims Lächeln verschwand. Sie sah nervös zum See. Ich war verwirrt. "Komm mit", sagte sie. Ich folgte ihr zum See.
Wir latschten eine Weile den See entlang.
Dann blieben wir stehen. Ich sah auf das Ufer und entdeckte Lori. Sie lag im Wasser. Die Augen waren geschlossen.
Ich näherte mich ihr langsam.
"Lori?", fragte ich leise.
Meine beste Freundin öffnete die Augen. Darunter waren Augenringe zu erkennen.
"Hallo, Maddie." Ihre Stimme war rau.
"Lori? Es ist schrecklich! Capital City ist-"
"Ich weiß", sagte sie leise.
"Sie haben mich gerettet."
Ich verstand nicht recht. Prim sah mich erwartungsvoll an. Lori räusperte sich.
"Maddie, bitte raste nicht aus. Ich wurde angegriffen, nachdem ich Zuhause ankam. Einer dieser", sie sah Prim an, "äh, Albträumer, war in meinem Wohnzimmer. Er wollte von mir wissen, wo du bist. Ich sagte nichts." Ihre Stimme fing an zu zittern. "Dann... dann hat er..." Ich schwieg. Lori schloss die Augen.
"Er hat mich querschnittgelähmt gemacht. Dann ist er gegangen. Hätten die Anderen mich nicht gefunden, dann wäre ich wahrscheinlich verhungert."
Ich hätte sie am liebsten umarmt. Doch das wäre sinnlos gewesen, denn sie spürte ja nichts mehr.
Ich stand auf und sah Prim an.
"Gibt es keine Lösung, bei ihr den Albtraum zu brechen?", fragte ich sie besorgt. Prim zögerte. "Es gäbe schon einen Weg", sagte sie unsicher. "Und der wäre?", fragte ich sie ungeduldig.
"Rein theoretisch könnten wir ihr den Bann rückgängig machen, aber..."
"Aber was?!"
"Wenn es fehlschlägt, gibt es keine Möglichkeit mehr. Dann wird sie für immer querschnittgelähmt sein."

Lori blieb mit Prim noch am See. Ich kehrte zum Lagerfeuer zurück. Mein Magen knurrte wie ein Raubtier. Lynx wusste, was ich wollte, und hielt mir ein gebratenes Würstchen vor die Nase. Ich nahm es dankend an und wir aßen zusammen.
"Lynx, können wir bitte zurückgehen?"
"Nach Capital City? Ich weiß nicht."
"Ach, komm schon! Ich kann nicht einfach so herumsitzen und Däumchen drehen!" Ich fuchtelte aufgebracht mit meinen Händen. Lynx seufzte. Dann sah er mich an.
"Wenn du das wünschst, können wir sofort aufbrechen", sagte er. Ich scharrte mit den Füßen. "Wir sollten zuerst noch eine Nacht drüber schlafen, bevor wir aufbrechen, sonst sind wir nur müde und laufen denen womöglich in die Arme", gab ich zur Antwort und Lynx nickte verständlich.
"Oh! Und sag Mal, wo ist Quint?"
"Er macht einen Spaziergang. Das macht er jeden Abend, bevor wir schlafen gehen. Er will so nachsehen, ob Feinde in der Nähe sind." "Aha, okay." Das Prasseln des Feuers begleitete unser Schweigen.
"Du hast Lori gesehen, oder?", fragte Lynx.
Ich nickte. "Kann man ihr nicht irgendwie helfen?", fragte ich ihn skeptisch.
Er wandte sich von mir ab.
"Die sicherere Methode wäre, dass Lori ihren Albtraum überwindet. Das würde sie erlösen."
Er rieb sich am Kopf.
"Naja, die andere Methode wäre etwas komplizierter, viel schwieriger als die erste. Jemand von uns müsste bei ihr den Versuch wagen, ihren Albtraum rückgängig zu machen. Aber wie gesagt, das ist nicht ganz einfach."
"Lori kann sich ja entscheiden, welchen Weg sie nimmt oder ob sie es überhaupt versuchen will", sagte ich und Lynx stimmte mir zu.

Remnants Of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt