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Mir verschlug es den Atem.
Die Aufnahme kam von der großen Halle. Ich konnte den runden Saal sehen, rundherum waren die Säulen. Und in der Mitte befand sich ein Augenpaar. Die Dunkelheit verbarg mir den Rest.
Aber es waren saphirblaue Augen, die in der Dunkelheit leuchteten. So unergründlich wie der Ozean. Sie suchten nach etwas.
Sie suchten nach mir. Ich spürte es.
Da war ein Flüstern. Er rief meinen Namen. Ganz leise. Es war seine Stimme.
Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Ich wollte zu ihm. Ethan. Wie lange war es her, seit ich ihn gesehen hatte?
Ich rannte zur Tür und griff nach der Klinke. Doch ein Gedanke hinderte mich daran, die Tür aufzureißen.
Es war der Gedanke an das schmatzende Messer.
Was, wenn Ethan genauso war wie das Mädchen?
Meine Hand krampfte sich an der Klinke fest. Ich kämpfte innerlich mit mir selbst. Was, wenn er mich auch töten würde? Wenn er nur mit mir gespielt hatte? Vielleicht wollte er zuerst mein Vertrauen gewinnen, bevor er mir ein Messer in die Brust rammte. Oder meinen schlimmsten Albtraum wahr werden ließ. So würde ich nicht nur physisch, sondern auch psychisch leiden. Ich wollte Ethan so sehr vertrauen, aber ich konnte nicht. Nicht, nachdem ich dieses Video gesehen hatte.
Ich ließ die plötzlich ganz kalte Türklinke los und kroch unter einen Tisch, der sich neben der Tür befand. Dann lauschte ich. Mein Atem stockte und ich zitterte am ganzen Leib.
Schritte. Vom Flur erklangen Schritte.
Und sie hörten auf, als sie die Tür erreichten.
Ich presste die Hand auf den Mund, um das Geräusch meines Atems zu dämpfen. Mein Körper presste sich gegen die Wand. Jeder Muskel in mir war angespannt und meine Nackenhaare stellten sich auf. Das einzige Geräusch, welches ich vernahm, war das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.
Die Tür öffnete sich leise.
"Lämmchen?" Die Stimme war heiser und rau.
Ich roch den Duft eines Sommerregens.
Ich hielt meinen Atem an und schloss die Augen.
Bitte, bitte finde mich nicht.
Er betrat den Raum. Machte einen großen Schritt.
Meine Augen hielt ich fest geschlossen, während meine Lungen zu platzen drohten. Geh weg!
Ethan seufzte. Dann schloss er die Tür.
Ich lauschte, bis seine Schritte nicht mehr zu hören waren, und atmete aus. Danach stand ich leise auf und hastete zum Bildschirm.
Die große Halle war leer. Ethan war weg.

"Wo wart ihr alle letzte Nacht?", fragte ich aufgebracht. Ich saß mit Kyra in der Kantine und aß mein Frühstück: Eine Scheibe Brot, belegt mit einer Scheibe Käse und Schinken. Dazu trank ich einen Becher Kaffee.
Kyra sah mich fragend an. "Wovon sprichst du?"
"Letzte Nacht war ein Albträumer hier."
Sie riss die Augen auf. "Im Ernst?"
Ich deutete ihr, leiser zu sprechen, denn ein paar reckten schon ihre Köpfe in unsere Richtung.
"Er war in der großen Halle und hat nach mir gesucht." Ich erzählte ihr ebenfalls von meiner Wunde und die Glasscherben am Boden, die von der Lampe kamen. Kyra's Mund formte ein "O", als sie mich anschaute. "Und wohin bist du gegangen?"
"In den Überwachungsraum."
"Aber Madeline, es ist verboten, dort zu sein!"
"Ich hatte Panik! Und ich musste herausfinden, wer hier war. Das konnte ich nur durch die Kameras."
Ich strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr und seufzte erschöpft. Letzte Nacht konnte ich kein Auge zudrücken. Es war lächerlich zu denken, dass Ethan mich töten würde. Ich kannte ihn ja.
Oder schien ich ihn nur zu kennen?
"Also, wo wart ihr letzte Nacht?", wiederholte ich. Kyra sah an mir vorbei zum Eingang.
"Manche waren am schlafen, manche waren auf Patrouille. Wir nehmen manchmal Risiken auf uns, indem wir Undertown unbewacht lassen."
"Oh." Ich kratzte mich verlegen am Kopf.
"Aber wenn wir das tun", sagte Kyra schnell, "Dann achten wir darauf, die Eingänge gut zu verbarrikadieren. Es ist mir ein Rätsel, wie dieser Albträumer es geschafft hat, hinein- und hinauszukommen ohne eine Spur zu hinterlassen."
Sie runzelte die Stirn. Danach strahlte sie mich wieder an. "Themawechsel. Der Captain sagt, dass wir trainieren müssen. Du sollst lernen, dich selbst zu verteidigen." Ich blinzelte. "Okay."
Sie grinste mich fies an. "Ich werde dich trainieren, aber es wird hart werden." Ich schluckte.

Kyra betrat das Büro des Captains. Er war wieder in seinen Karten von Capital City versunken. Als sie die Tür hinter sich schloss, sah er auf. Die Glut seiner Zigarre wurde für einen Moment hell, danach wieder dunkel. Seine Augen blitzten.
"Und?"
Kyra nickte. Auf ihrem Gesicht machte sich ein Lächeln breit.
"Sie hat den Köder geschluckt."
Der Captain lächelte. "Sehr gut."

Remnants Of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt