Erstes Kapitel - im Ernst, ist das dein Ernst?

412 18 5
                                    

Vorsichtig hebe ich meinen Kopf, als ich das Lautwerden meiner Umgebung war nehme. Die Vorlesung scheint wohl vorbei zu sein, viel habe ich leider nicht mitbekommen, muss wohl eingenickt sein. Genervt packe ich meine Tasche zusammen, ziehe mich hastig an und verlasse den Saal, der schon ziemlich leer ist. Müde gähne ich, Blicke in den Gang, der Links und rechts Plätze zum Sitzen bietet, in der Hoffnung einen solchen zu finden. Müde schlendere ich zu einem freien Platz und mache es mir dort bequem, breite meine Lernunterlagen aus und versuche etwas Ordnung in mein chaotisches Leben zu bringen. Seit zwei Jahren studierte ich schon, noch zwei weitere Jahre und mein Bachelor würde sitzen! Das Soziologie Studium war jetzt nicht so besonders umfangreich und schwer, trotzdem musste ich viel Zeit in Vorbereitungen stecken. Blatt für Blatt sortiere ich also meine Notizen, als ich einen Anruf auf meinem Handy wahrnehme. Es ist meine Mama, um die Uhrzeit hat sie immer Dienstschluss im Krankenhaus und ruft mich an, um zu fragen, was es denn neues gäbe.
›Hi mein Sonnenschein, na alles klar?‹
›Hallo Mama, alles gut soweit, habe gerade Pause und versuche etwas meine Unterlagen zu ordnen, bei dir?‹
›Das ist schön! Ja bei mir alles gut, es gibt Neuigkeiten! Aber davon erzähle ich dir erst, wenn du zuhause bist, in der Öffentlichkeit zu reden kommt mir etwas komisch vor. Bis dann!‹
Und ich höre das Tuten, sie hat aufgelegt. Ihre fröhliche Stimme hallt aber dennoch immer noch in meinem Ohr. Was es denn wohl so neues und tolles zu erfahren gäben würde. Ich mache mir nichts daraus, denn die Ordnung in der Uni ist mir wichtiger. Also fange ich an die Mitschriften nach Datum zu sortieren, die Skripten zu unterteilen und mir einen Lernplan zu erstellen.

Ein paar Stunden später merke ich, dass der Gang leer ist und ich die einzige bin, die noch hier zu sitzen scheint. Muss wohl sehr vertieft gewesen sein! Ich packe mein Handy und merke, dass es kurz nach 20 Uhr ist, was bedeutet, dass ich mich beeilen muss. Ich packe meine Sachen schnell in meine Tasche, Streife mir diese über und binde mir meinen Schal um. Da wir Anfang November haben, prallt mit die Kälte in mein Gesicht, während ich die Tür zum Verlassen der Uni öffne. Ich genieße die frische Luft, und mache mich auf den Weg nachhause. Dort sollte mich eine Überraschung erwarten, hatte jedenfalls Mama gesagt.

Die Fahrt kommt mir unendlich lang vor, da ich von Natur aus auch ein neugieriger Mensch bin. Schon als Kind wollte ich immer als erste erfahren, wann denn Oma und Opa uns besuchen würden, was Tante mir mitgebracht hatte aus der Schweiz oder warum alle weinten, als wir eines Tages in den Kosovo fuhren und Opa nicht mehr da war. Ich verstand vieles nicht, als Kind ist das denke ich normal. Jetzt, als 22 Jährige Erwachsene Person, ist das, denke ich etwas komisch. Oder doch nicht? Jedenfalls stecke ich mit zittrigen Händen den Schlüssel ins Schloss und bemerke, dass es sehr ruhig ist. Überraschung! Peng? Hallo? Nichts. Ich schleiche ins Wohnzimmer, wo meine Eltern zusammen sitzen, auf dem Wohnzimmertisch liegt ein Bild. Ich frage ob alles ok ist, als Antwort bekomme ich schweigen. Was ist denn hier los?

Ich schleiche in mein Zimmer, wo ich meine jüngere Schwester treffe. ›Arlinda, was ist los, wieso ziehen die so ein Gesicht?‹ Mit meiner Hand deute ich auf das Wohnzimmer, in dem immer noch meine Eltern regungslos sitzen. ›Ich denke, sie sollen dir das selbst sagen, frag sie doch einfach!›, zwinkert mir meine Schwester zu und ich gehe zurück ins Wohnzimmer. Meine Mama grinst, mein Vater schaut Ernst in den Fernseher. Was ist hier los?
›Elma, wir haben Neuigkeiten für dich! Siehst du diesen Jungen auf dem Bild? Er heißt Besim, ist aus der selben Stadt wie wir und er hat um deine Hand angehalten. Jetzt liegt es an dir, sagst du ja, so ist die Sache erledigt! Krejt na kan livdu, se shum djali mir! Mendohu mir!(alle haben nur Gutes gesprochen, dass er ein guter Junge sei! Überlege gut!)‹, strahlt meine Mutter.

Moment mal! Halt! Stopp! Es sind ein paar Dinge im Raum, die mich stören. Erstens, warum um Himmels Willen freut sie sich? Zweitens, wer ist dieser Junge? Drittens, im Ernst, ist das euer Ernst? Ich soll mich anhand eines Bildes entscheiden? Ich schweige.

›Schau ihn dir doch an er ist wirklich ganz attraktiv! Und außerdem hat er ein Auto, ein Haus, Geld. Er wird gut für dich sorgen können!‹ Das war also die Überraschung? Ich nehme das Bild und schaue mir den Jungen an: braune Haare, braune Augen, leichter Bart, Tiefe Stirn, was bei Albanern ne Seltenheit ist, ich spreche aus Erfahrung! Guter Körperbau. Mehr kann ich aus dem Bild nicht heraus sehen. Egal wie oft ich mir dieses Bild auch anschaue, ich sehe nicht, wie er tickt. Ob er zu mir passt. Ob er lustig ist, extrovertiert oder eher zurückhaltend und introvertiert. Ist er eher seriös oder locker? Ich kann mir mit einem einfachen Bild diese Fragen nicht beantworten. Klar der Junge sieht gut aus, keine Frage, emotional binden kann ich mich an ihn nicht, durch das Foto. Also reiße ich es in zwei, dann in vier, dann in acht und zu guter Letzt in sechzehn Teile und lege diese auf den Tisch. Meine Mama beginnt zu schreien: ›Bei Allah, so wirst du niemals heiraten! Du wirst sterben als einsame Jungfrau oder noch schlimmer, wirst jemanden heiraten der bereits Kinder hat! Einen Witwer! Du bist so eine miese Tochter, womit habe ich dich verdient?‹

Trotz ihrer Worte, schleiche ich mich in die Küche, packe mir eine Weinflasche, eine Packung Zigaretten und ziehe meine Jacke und Schuhe an, schließe die Tür hinter mir zu, die die Schreie meiner Mama abdämpft und gehe. Wohin ist noch unklar aber ich gehe, mein erstes Ziel ist der nächstgelegene Wald, bei meinem stillen Ort. Ich lasse mich nieder, zünde mein Lagerfeuer an und anschließend auch eine Zigarette. Die Wärme, die vom Lagerfeuer kommt lässt mein Gesicht auftauen, der Rauch, den ich einziehe lässt meine Brust brennen. Oder ist es der Schmerz? Langsam öffne ich die Weinflasche und ich tu es wieder. Fuck, ich tu es wieder, ich fange an mich zu betrinken.

Stunden vergehen, mein Handy habe ich zuhause gelassen. Ich will alleine sein. Der Wein tut mir gut, ich weiß, ich sollte es nicht tun, aber ich fühle mich besser. Ich stelle die fast leere Flasche neben dem Feuer und halte meine Hände gegen die rot-gelbe Flamme. Sie blendet mich, ich fühle mich so, als würde ich schweben. Und ich fliege, weit weit weg, ich schwebe davon. Und unter mir sehe ich die Flamme, wie sie immer kleiner wird und letztlich ganz erlischt. Und mir ist heiß, obwohl ich zittere ist mir heiß, ich scheine zu kochen. Tief in meiner Brust fühle ich dieses Kochen, denn es brennt, es brodelt. Und dann, nehme ich mir eine Zigarette, die letzte in dieser Packung, ignoriere das Stechen in meiner Brust und rauche mir erneut einen Glimmstängel an. Schimpfend schmeiße ich die leere Packung in die Asche und sehe zu, wie sie verbrennt, genau wie ich, in grün-gelben Feuer. Und dann? Dann kommen wieder die Tränen, die strömen wie in Strömen und ich schluchze nicht oder so, nein. Ich sitze still da, ziehe an meiner Zigarette, ja sie ist mein Freund, merke, wie meine Brust sich einzieht, aber es ist mir egal. Ich ziehe und er tut in einer gewissen Weise gut, der Schmerz.

Es dämmert. Die Sonne küsst mich wach, und ich merke, dass ich auf dem sehr unangenehmen, nassen Waldboden eingeschlafen sein muss. Die Asche des Feuers ist schon erloschen und mein ganzer Körper ist eisig kalt. Außerdem bin ich nass. Hat es geregnet? Uneingeschüchtert stehe ich dennoch mühevoll auf, klopfe mir den Dreck vom Körper und merke: mir tut alles weh! Meine Lunge fiept wenn ich ein und ausatme und meine Gelenke fühlen sich an wie Stein. Ich packe meinen Schlüssel und mache mich auf den Weg zurück nachhause, wo sicher ein Theater auf mich wartet. Der Kater kann beginnen!

Mein LichtblickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt