Sechstes Kapitel - Fremd

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"Guten Morgen, Frau Asani!"
Gardinen werden aufgezogen, Sonnenlicht blendet mich. Ich reibe an meinen Augen und versuche mich aufzurichten.
"Morgen", krächze ich müde.
"Ich habe gute Neuigkeiten für Sie! Heute kommen Sie wieder in die normale Station hinunter, und wenn Sie weiterhin so brav bleiben, dann können Sie bereits morgen früh gehen!", grinst eine Krankenschwester mich an.
"Suppi!", spiele ich euphorisch und schaffe es doch mich aufzusetzen.
"Mehr Fröhlichkeit könnte Ihnen nicht schaden, zumal auch Ihr Verlobter die ganze Nacht bei Ihnen war. Sie haben echt Glück mit dem!", zwinkert sie mir zu.
"Ach, war er das?", frage ich ungläubig. Was will dieser Junge erreichen? Er soll doch einfach sein Leben leben und sich so gut es ihm möglich ist aus meinem Leben raushalten. Oder die Verlobung lösen von mir aus. Aber doch nicht so weiter machen, als würden wir uns kennen. Ich meine, er küsst mich, und ich bin perplex, denke mir, was das soll, rege mich im inneren auf, will, dass er sich entschuldigt und trotzdem aber, dass er es nochmal tut. Möchte ihn noch einmal schmecken. Er schmeckte süß, sein Atem roch nach Gummibärchen und sein Gesicht glich einem perfekt für mein Gesicht geschaffenen Menschen. Werd ich verrückt? Eindeutig, das wird es sein! Die machen mich völlig verrückt in dem Spital.
"Guten Morgen, Elma", grinst er. Wenn man vom Teufel spricht.
"Dann lasse ich euch mal alleine, ja? Frau Asani, denken Sie daran, um 11 Uhr werden Sie hinunter gebracht", verabschiedet sich die Krankenschwester.
Ich grinse Besim an. Er grinst zurück. Sein Gesicht ist kantig, sein Bart gestutzt, seine Zähne gerade, wobei die vorderen Schneidezähne etwas überlappt sind. Seine Nase ist gerade und seine Augen Braun mit grünen Flecken. Ich bleibe an ihnen haften. Gestern hatte er mich auch mit diesem Blick angeschaut. Er hat Mitleid. Ich blicke Weg.
"Hast du Hunger?", bricht er die Stille.
"Nein", antworte ich kurz. Sein Blick ändert sich, es haben sich die letzten Nächte dunkle Augenringe bei ihm gebildet.
"Okay", sagt er nur, nimmt seine Jacke und verlässt das Zimmer. Und ich bleibe alleine zurück.

Im Untergeschoss angekommen fühle ich mich viel wohler. Ich mag es hier, die Wände sind nicht so kahl und ich kann auf dem Bauch schlafen, keine Schläuche hindern mich daran. Ich schnaufe auf, als eine Frau mein Zimmer betritt.
"Guten Tag, Frau Asani. Mein Name ist Frau Reumann. Ich werde Sie ab heute psychologisch betreuen, da Ihre Symptome, die Sie aufweisen, auf ein psychisches Trauma hindeuten und wir zusammen dies angehen werden.", stellt sie sich vor. Ich lache. Begrüße Sie mit einem einfachen Hallo. Sie nimmt gegenüber von mir Platz.

"Wie geht es Ihnen?"
"Beschissen, sonst wär ich ja nicht hier."

Ich mag dieses Spiel nicht.

"Ja das stimmt. Was heißt denn genau beschissen?"
"Ja dreckig, mies, einfach hundeelend. Am liebsten würd ich verrecken."

Ich erschrecke bei dem letzten Satz, sie bleibt jedoch gelassen und macht Notizen.

"Wissen Sie, ich kann Sie verstehen. Ich kann es nachvollziehen, wie Sie sich fühlen."
"Fick dich doch.", denke ich.
"Gibt es denn einen Grund für Ihr Unwohlsein?"
Ich lache.
"Wenn Sie wüssten."
Ich fahre mit über mein Gesicht. Viel zu viel ist passiert, als dass ich das hier und jetzt aussprechen möchte.
"Möchten Sie mir davon erzählen?"
"Nein. Ich möchte es nicht. Und werde es nie wollen. Und wissen Sie auch warum? Weil es keinen Sinn hat. Ich kann es so oft es geht aussprechen, es macht es nicht ungeschehen."
Ich zittere wieder so stark. Wieso muss diese Frau mir genau diese Fragen stellen. Ich will nicht.
"Sie müssen es mir auch nicht erzählen. aber wissen Sie, Dinge zu verarbeiten fängt im Kopf an. Und durch das gemeinsame Durchgehen Ihrer Gedanken, können wir eine Lösung finden, einen Weg, wie Sie besser damit umgehen. Aber Sie müssen sich helfen lassen."
Ich blicke auf den Boden, kratze meine Schulter, mache ich, um Zeit zu gewinnen und schaue dann der Psychotante ins Gesicht. Sie blickt starr, dennoch interessiert. Sie wird bezahlt dafür, eigentlich interessiert es Sie garnicht, was ich will. Oder wer ich bin. Also schweige ich. Sie scheint nicht reden zu wollen und da die Stille mich aufzufressen scheint, breche ich sie.

"Wissen Sie, ich möchte hier einfach raus. Ich möchte ein normales Leben führen können. Ein stinknormales Leben, mich stinknormal verlieben, stinknormal heiraten, stinknormal sex haben. Alles stinknormal. Stattdessen...", ich stocke. Zwangsehen sind in Deutschland verboten. Ich würde meine Eltern in Schwierigkeiten bringen.
"Ja das ist verständlich, das möchten wir doch alle. Warum sollte das bei Ihnen nicht gehen?"
Ich zittere, mein Körper bebt und mein Herz läuft Marathon.
"Ich... Ich kann nicht. Ich..."

Ich heule. Fuck.

"Machen wir eine Pause?", fragt mich die Psychotante, die mich aus unerklärlichen Gründen so verletzlich wie noch nie zu sehen bekommt. Ich nicke und sie lässt mich, auf meinen Wunsch alleine, jedoch während sie den Raum verlässt, betritt Besim diesen. Er nähert sich mir und ich bin verheult und heule noch mehr, als ich ihn sehe. Er breitet ohne Worte seine Arme aus und grinst und ich? Springe in meinem Heulwahn aus meinem Stuhl und finde mich in seiner Brust wieder. Sicher und eng umschlungen in seiner so warmen Umarmung. Er riecht so gut und flickt die zerbrochenen Teile wieder zu einem Ganzen, stellt keine Fragen sondern hält mich fest. Er, der Anker, der mich aus dem Wasser zieht, obwohl ich zu ertrinken drohe. Er hält mich fest.

Nach ein paar Minuten der Stille schiebt er mich aus der Umarmung und sieht mich an. Ich wische mir die Tränen weg und lache dabei.
"Sorry, ich heule wie eine Verrückte und du musst mich trösten, wie ein kleines Kind. Peinlich, peinlich."
"Weißt du noch? Du hast dich als verrückt vorgestellt, und ich als noch verrückter. Also, irgendwie passt das schon."
Ich grinse und er auch und ich vergesse alles. 
"Wollen wir spazieren?"
"Ja."
Meine Nase rinnt, dennoch nehme ich mir meine Jacke, einen Schal und meine Stiefel, und wir gehen, wie sonst auch, in den Garten.

"Geht es dir besser?"
Er scheint besorgt.
"Ja, danke. Keine Ahnung was über mich gekommen ist."
Ich lache, versuche durch das Lachen alles weg zu machen, die Situation vorhin ungeschehen und lächerlich darzustellen und rauche mir eine Zigarette an. Plötzlich packt er meine Zigarette aus dem Mund und tritt drauf.
"Du bringst dich noch um! Lass es."
Er schaut ernst, sein Blick ist aber nicht böse, eher besorgt und mitleidig. 
"Und wenn schon."
Das weinen hat mich müde gemacht, ich lehne an seiner Schulter, die stark, aber auch weich ist.
"Nein, sag so etwas nicht. Deine Familie, deine Geschwister brauchen dich. Und Hey, mittlerweile sind wir doch keine Fremden mehr. Sind doch soetwas, wie Freunde oder?", er schaut in meine Richtung. Ich nicke.
"Ich brauche dich, Elma." Und mein Herz macht Luftsprünge. Ich gebe meinen Kopf, sehe ihn an und dann mache ich etwas, das sehr unüberlegt ist. Ich küsse ihn.  

Mein LichtblickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt