Fünftes Kapitel - Wahnsinnig

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Gestern war ich bei ihr gewesen. Wir hatten gefrühstückt und sie hatte mich wieder so angeschaut. Mit diesem Blick, den ich nicht deuten kann. Sie ist so unfassbar, so unergründlich, scheint zerbrechlich wie Porzellan, und doch so stark!
Ich weiß auch garnicht, was sie von mir will! Ich hatte meinen Eltern gesagt, sobald jemand mir ein Mädchen vorstellt und ich noch Single bin, kann und werde ich zu ihr nicht nein sagen. Aus Respekt, kann ich das nicht. Außer natürlich sie sagt nein. Aber was hat Elma dazu gebracht ja zu mir zu sagen? Und wieso ist sie so komisch, so ruhig und doch vielsagend. Ihre Stille ist voll von Bedeutung und ihre Blicke machen mich nachdenklich. Ich werde sie heiraten, werde ich sie lieben?

Gestern war ich bei ihr gewesen. Während ich die Brötchen und Aufstriche holte, spürte ich ihre Blicke auf mir. Sie beobachtete mich, sie war interessiert. Und als ich sie ansah, fühlte sie sich ertappt, errötete und ich musste grinsen. Fand ich irgendwie süß.
Und jetzt? Jetzt sitze ich da, in meinem Zimmer, während im Hintergrund Musik läuft und vor mir mein Boxsack hin und her schwingt. Ich schlage immer wieder leicht drauf und Blicke kurz zum Tisch. Auf ihm liegen zwei Ringe, meiner und Elmas. Ihrer ist viel kleiner, ihre Finger sind doch zierlich. Genau, wie ihr Körper. Ich hatte sie gesehen, nackt. Zwar nur ihren Rücken aber immerhin. Wieso machte es mir etwas aus? Ich habe viele Frauen nackt gesehen, bei ihnen war es mir egal. Wieso wurde ich bei Elma so ... unruhig? Was machte sie mit mir?
Meine Mutter öffnet die Tür und gibt mir Bescheid, dass sie einkaufen fährt. Ich nicke und sie schließt die Tür. Meine Chance, nun bin ich alleine. Ich wähle Elmas Nummer. Es tutet. Und ich freue mich.

Auch nach dem zweiten Mal anrufen hebt sie nicht ab. Was ist los? Geht es ihr gut? Ich packe meine Autoschlüssel und beschließe zu ihr zu fahren. Ich mache mir Sorgen, irgendwie mag ich sie doch, auch wenn sie fremd ist.
Nach einer halben Stunde Fahrt bin ich auch schon da. Ich gehe schnellen Schrittes zu ihrem Zimmer und bleibe vor ihrer Tür stehen. Langsam klopfe ich und da nichts zu hören ist, trete ich ein. Ihr Zimmer ist leer. Wo ist sie?
"Kann ich Ihnen helfen?"
Ich schrecke auf.
"Ja.. Ehm.. Meine Verlobte, Elma Asani... Sie war hier, wo ist sie denn?", meine Stimme klingt schwach, irgendwie besorgt.
"Ach, ja, genau. Frau Asani ging es letzte Nacht nicht so gut, Bronchitis hat sich verschlechtert. Durch eine COPD* hatte sie Atemnot, weshalb sie heute noch in der Intensivstation betreut wird.."
"Kann ich da hin?", unterbreche ich die Krankenschwester. Elma, meiner Frau, ging es nicht gut, und ich? Ich war so ein Vollidiot und war nicht einmal bei ihr.
"Klar, folgen Sie mir!"
"Danke." Und ich folge ihr. Auf dem Weg sehe ich viele Patienten mit Schläuchen und Geräten die Gänge herum gehend. Es sind alte aber auch junge. Was wird aus Elma? Sie muss mit dem Rauchen aufhören.
"Bitte, da wären wir. Zimmer 38, bitte ziehen Sie die Schutzkleidung und den Mundschutz an, und geben Sie Ihrer Verlobten keinen Kuss.", grinst die Krankenschwester und ich will einfach zu ihr.
Sie liegt da, wie an Tag eins. Sie schläft so friedlich. So unschuldig und frei. Ich möchte sie beschützen, jedoch fällt es mir so unglaublich schwer. Ich liebe sie nicht, das ist das Problem. Langsam nehme ich auf dem Stuhl neben ihrem Bett Platz. Ich lehne mich vor und betrachte ihr Gesicht. Sie hat eine breite Gesichtsform, hohe Wangenknochen und eine schmale Nase. Ihre Wimpern sind lang und geschwungen und sie hat einen Schlauch in ihren Nasenflügeln. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich, mein Blick schweift zu ihrer Hand, in der eine Infusion steckt. An ihrem Finger steckt ein Gerät, das ihren  Puls misst, der genauso regelmäßig geht, wie ihr Atem. Ihre Haare sind rot-Braun-blond, war anscheinend ein Fehlversuch zu färben. Und dann bleibt mein Blick an ihren Lippen hängen. Sie sehen trocken aus, dennoch voll und bleich. Sie sieht echt schön aus. Krank, aber schön. Sie bewegt sich und ich schaue nicht weg, nein. Stattdessen Blicke ich ihr direkt in die Augen und diese braunen Augen mit den gelben Flecken in ihnen sind wunderschön, sie leiten mich. Und entgegen den Anweisungen der Krankenschwester nehme ich meinen Mundschutz ab, nähere mich ihrem Gesicht und platziere sanft meine Lippen auf ihre. Nicht lange, nur kurz, um sie zu schmecken und sie grinst. Sie schmeckt bitter, aber dennoch leicht süß, ihre Lippen fühlen sich rau an, aber dennoch weich, ihr Atem riecht nach Zimt und ihre Zähne sind schneeweiß.
"Hi.", krächzt sie und ich grinse zurück: "Hi, du verrücktes Huhn."
Was tu ich hier eigentlich. Ich blinzle ein paar Mal und entferne mich von ihrem Gesicht. Was war das eben?
"Tut mir leid... Das war.. Unüberlegt. Das hätte ich nicht tun sollen.", ich merke, wie ich anfange blöd zu stottern. Besim, Reiß dich doch zusammen! Ihr sanfter Blick verschwindet und sie schließt ihre Augen.
"Stimmt. War ein Unfall. Hätte dir nicht passieren dürfen. Was machst du hier?", jetzt sieht sie mich wieder an.
"Das selbe könnte ich dich auch fragen! Wieso rauchst du, wenn du weißt, dass du dann hier landest? Warum?", meine Stimme hebt sich, jedoch bleibe ich ruhig. Sie grinst.
"Soll ich ehrlich sein?" Ich nicke. "Tja, weil ich hoffe, bald elendig zu verrecken." Sie bleibt so emotionslos, ihr Blick trifft meinen und ich starre sie an. Sie grinst und richtet sich auf. "Aber leider klappt es nicht.", sagt sie zu guter letzt, bevor ich von der Visite gebeten werde, den Raum zu verlassen. Und ich gehe mein Blick weicht nicht von ihr. Was ist ihr passiert, dass sie so denkt? Wer ist dieses wahnsinnige Mädchen? Ich lehne mich an die Wand und versuche ruhig zu atmen, was mir nur sehr schwer gelingt. Ich muss herausfinden wer sie ist. Ich muss Sie kennen lernen.

Mein LichtblickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt