"Aufstehen!!"
Meine Mutter betritt den Raum, zieht die Gardinen auf und öffnet die Fenster. Die Kälte kriecht unter meine Decke und da ich generell nur in Unterwäsche schlafe, zucke ich leicht zusammen, da mich dieser kalte Hauch kitzelt. Ich friere nicht.
"Heute ist dein großer Tag!", schreit sie immer noch herum, reißt mir die Decke vom Leib und schmeißt mir Unterwäsche und ein Handtuch ins Gesicht. Ich stöhne.
"Mensch, Mama! Beruhig dich doch.. Es ist ja noch alle Zeit der Welt, kuck mal, draußen ist sogar noch dunkel."
Sie sieht mich skeptisch an und ich verstehe. Mama widerspricht man lieber nicht, sonst bekommt man das Jahre später vorgeworfen, dass man das ja nicht zu der Schwiegermutter sagen dürfe, und wie man nur könne. Typisch, das übliche eben. Ich begebe mich schweren Schrittes ins Bad und tippe auf mein Handy. Besim hatte mir vor 20 Minuten geschrieben. Ich grinse. Anscheinend ist er genauso aufgeregt, wie meine Mutter.
"Moin, moin. Aufstehen. Verrücktes Huhn."
Mehr nicht.
Ich beschließe ihm nach dem Duschen zu schreiben und begebe mich hinein. Langsam spüre ich das eisig kalte Wasser meinen Körper herabrinnen und ich genieße es. Obwohl Tränen meine Wangen hinunter strömen, obwohl die Erinnerungen zu stark sind. Obwohl ich Ardit vermisse. Obwohl ich zittere und schluchze genieße ich es. Es ist ein Abschied. Ein Abschied zwischen mir und meiner Vergangenheit.
Als ich mein Zimmer betrete, wird mir mein Handtuch weggezogen. Eine Frau zupft an meinen Haaren, meine Mama zieht mir mein Kleid an. Ich habe keine Zeit zu realisieren, was passiert. Ich bemerke nur vom Augenwinkel meine Schwester, die an der Tür lehnt. Ihr Blick ist leer. Ich Blick ist vielsagend. Plötzlich dreht sie sich um und verlässt den Raum.
Meine kleine Schwester ist wie mein Kind. Ich habe sie groß gezogen, da meine Mutter und mein Vater viel arbeiteten mein großer Bruder ein Arschloch ist. Ja kann man so sagen. Ihn interessierten nur seine Interessen. Der Rest war ihm egal. Und mein anderer Bruder? Der ist ständig unterwegs, zwar jünger als ich, dennoch viel beschäftigt. Er organisiert politische Projekte an seiner Schule und das macht mich etwas stolz. Trotzdem, eine emotionale Bindung zu ihm habe ich nicht. Nur zu meiner Schwester, sie ist die jüngste und mein Küken. Mein trauriges, leeres Küken, das ich zurücklassen muss.
Stunden später sind die Frau und meine Mutter fertig. Ich sehe mich im Spiegel an und merke, dass ich älter aussehe. Meine Augen haben Falten, meine Augenringe sind nicht gut verdeckt. Dennoch sehe ich besser aus, als sonst. Meine Haare haben endlich Form und Struktur und meine Lippen endlich Fülle und Farbe.
"Du siehst toll aus!", kreischt meine Mutter und ich säufze.
"Ja?"
"Definitiv."
Ich hätte mir gewünscht, dass sie mich in den Arm nimmt. Mir sagt, wie stolz sie doch ist. Mich drückt und einfach nur lieb hat. Stattdessen verlässt sie das Zimmer, voller Stress und Eifer und lässt mich zurück.
Ich nehme mein Handy und schreibe Besim.
"Guten Morgen! Ich bin schon fertig angezogen, warte nun auf den Moment der Momente. Bin etwas traurig. Und aufgeregt."
Ich wundere mich über meine Ehrlichkeit, schicke dennoch ab. Es dauert nicht lange und er antwortet.
"Ich auch. Aufgeregt. Traurig nicht, dazu freue ich mich zu sehr auf dich. Bis dann!"
Ich grinse und habe dieses Gefühl in mir. Kennt ihr es? Dieses Stechen, tief in der Brust, das so stark weh tut, dennoch angenehm ist und mich süchtig danach werden lässt. Ich lege mein Handy weg und begebe mich ins Wohnzimmer. Dort ist alles vorbereitet, meine Tante ist gekommen, um zu helfen.
"Mashallah, sie dich an! Wie hübsch du bist! Du musst aufpassen, nicht dass dein Verlobter den Verstand verliert."
Alle lachen. Ich sage nichts dazu, grinse nur leicht und merke meinen Herzschlag schneller werden. Es ist also soweit. Ich brauche Beruhigung!
Langsam tappe ich ins Badezimmer und hole mir meine Tabletten. Beruhigungsmittel, die mir helfen, das Ganze zu kontrollieren. Ich nehme eine, schlucke sie hinunter und fühle sofort ein wohliges Gefühl. Danke.Als es an der Tür klingelt, bin ich entspannt. Meine Mama hastet hin und her, ist gestresst, dennoch als die Tür aufgemacht wird, ist sie die Ruhe in Person. Tolle Schauspielerin. Meine Schwiegereltern, ein anderer Mann und ein Mädchen werden von meinem Bruder und meinem Vater begrüßt. Hinter ihnen geht Besim. Er sieht gut aus. Seine Haare sind nach hinten gekämmt, sein Bart gestutzt und gepflegt, sein Anzug sitzt perfekt. Und dann sieht er, während er seine Schuhe auszieht hoch, sieht um sich, bis er mich erblickt. Wir schauen uns in die Augen und er grinst. Diesmal verliere ich den Kampf und schaue Weg.
Nachdem alle im Wohnzimmer sitzen, begrüßen sich alle nocheinmal. Ich muss diesmal auch. Ich betrete den Raum, alle Blicke auf mich gerichtet. Ich fühle mich unwohl, gebe meinem Schwiegervater die Hand. Dieser nimmt mich in den Arm und sagt: "meine Tochter. Willkommen." Ich sage nichts. Dann kommt meine Schwiegermutter dran. Diese umarmt mich auch leicht und hängt mir eine goldene Kette um den Hals. Wieder bin ich still. Dann kommt der andere Mann.
"Hallo, ich bin Besims Bruder, Afrim. Willkommen in unserer Familie." Ich reiche ihm die Hand und grinse. Er sieht Besim kein bisschen ähnlich. Dann komme ich zum Mädchen.
"Hallo, ich bin Afrims verlobte. Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen!" Sie ist hübsch, schlank aber nicht dünn, hat große, blaue Augen und scheint glücklich zu sein. Ich grinse.
Dann nehme ich gegenüber von allen Platz, Besim begrüße ich nicht. Das gehört sich nicht, habe meine Eltern gesagt. Er grinst durchgehend und hält die ganze Zeit über sein Handy in der Hand. Mit wem er wohl schreibt?Nachdem alle gegessen und getrunken haben, steht Besim auf und kommt zu mir. Ich muss sehr vernebelt gewesen sein, denn ich habe nichts mitbekommen, was denn jetzt anstehen würde.
"Ihr könnt euch die Ringe tauschen, dann ist es offiziell. In ein paar Minuten sollte auch der Imam kommen." Ich blicke verwirrt.
"Alles ok?", flüstert Besim. "Brauchst du etwas?"
Ich schüttle meinen Kopf und er grinst, nimmt meine Hand und steckt den Ring in meinen Finger. "Willkommen in meinem Leben.", haucht er. Ich tu es ihm gleich und Hauche: "Willkommen in meinem Chaos." Er grinst.
Wenige Momente später kommt der Imam. Ich muss mir ein Kopftuch überziehen und Besim lacht, als er mich sieht. Er scheint wohl nicht so gläubig zu sein.Nach der Zeremonie, sind wir auch islamisch verlobt, weshalb er mich nun offiziell auch küssen darf. Nachdem der Imam geht, steht auch Besims Familie auf, um zu gehen und wir verabschieden Sie bis zur Tür. Besim reicht mir die Hand, sieht mir tief in die Augen, sieht dann wieder zu Boden und grinst.
Als er weg ist, fangen alle an zu lachen, mich zu umarmen und mir alles Gute zu wünschen. Von allen Seiten bekomme ich Sätze zu hören, wie: "Endlich ein guter!" Oder "Guter Fang! Endlich kein Junkie." Ich muss mich übergeben, die Worte zerren an meinen Kräften. Klar, Ardit hatte seine Probleme. Aber deshalb war er nicht minderwertig. Ich stoße alle von mir, gehe ein paar Schritte zurück und atme unkontrolliert. Diese Menschen ersticken mich! Ich schreie. "Ihr habt keine Ahnung ok? Keiner von euch! Fickt euch alle!" Ich renne hinauf in mein Zimmer, schließe die Tür ab und fange an mich umzuziehen. Ich brauch Abstand. Ich brauch Ruhe. Und vor allem brauche ich Zeit. Zeit, um Abschied zu nehmen und ein neues Kapitel meines Lebens zu beginnen. Zeit, um Ardit hinter mir zu lassen und mich nun auf das eine zu Konzentrieren. Auf Kapitel Eins mit Besim an meiner Seite. Fertig umgezogen, abgeschminkt und Haare zusammengebunden, öffne ich die Tür und höre Stimmen aus dem Wohnzimmer.
"Sie wird es schon merken. Sie ist nur verwirrt, wegen dem kranken von früher." Mein Bruder spricht.
"Sie ist noch ein Kind, sie realisiert nicht, was das Leben ausmacht. Sie ist so unreif, wie immer!" Ich möchte nicht weiter zuhören, wie mein Bruder über mich ablästert, packe mein Handy und schleiche mich aus der Wohnung. Ich muss zu Steffi!
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Mein Lichtblick
Lãng mạn"Klar. Ich lebe. Vielleicht ist ja das der Sinn. Einfach Leben, ohne großartige Gedanken zu verschwenden, wieso wir denn genau das tun sollten, was man von uns verlangt. Wieso wir denn jetzt genau so leben, wie es uns vorgelebt wird. Oder doch vorge...