Siebentes Kapitel - Nähe

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Ich spüre ihre Lippen wieder auf meinen, bin überrascht, dennoch zu neugierig, um sie abzuwenden. Also erwidre ich diesen Kuss ohne großartig darüber nachzudenken. Ob sie mich anstecken könnte. Dass ich sie nicht kenne. Sie grinst in den Kuss hinein, was mir zeigt, dass sie sich gut fühlt.

Langsam löse ich mich von Ihren Lippen und merke, dass sie ihre Augen geschlossen hat. Die ganze Zeit über und sie grinst immer noch. Jetzt öffnet sie ihre Augen und ihr Blick verändert sich. Er wird leer und traurig. Sie wirkt gekränkt. Habe ich was falsches gemacht?

"Du riechst wie er."

"Was?"

"Du riechst wie er. Ich mag es, du erinnerst mich an ihn."

"An wen, Elma?"
Ich werde wütend. Was verschweigt mir diese Frau? Wieder wird sie mir so fremd und mir wird bewusst, wie wenig ich von ihr weiß.

"Besim, es tut mir leid."
Sie entfernt sich von mir und ihr Blick senkt sich. Tränen fließen ihre Wangen herab und ich habe Angst etwas falsches zu tun.

"Elma, ich will dir wirklich nicht zu nahe treten oder so..."
Tu ich aber in dem Moment und irgendwie tut es mir leid.
"... aber wenn du jemand anderes liebst, dann sag es mir. Ich möchte es wissen, für alles können wir eine Lösung finden. Wenn du einen anderen liebst, sag es, ich kann dir helfen. Aber bitte, verarsch mich nicht."
Ich klinge wie ein Weichei und sie schaut mich an. Ihre Augen sind gerötet, ihre Nase rinnt.

Sie grinst.

"Tut mir leid, ich hätte das nicht sagen sollen. Guck mal, ich sitze hier, rede mit dir, und fühle mich einfach wohl, sodass ich dich unüberlegt geküsst habe. Keine Ahnung..."

Sie steht auf, mein Blick folgt ihr.

"... wollen wir hinein, dann erzähle ich dir alles in Ruhe."

Langsam gehen wir den Gang entlang und ich blicke sie kein einziges Mal an. Irgendwie kommt es mir so vor als würde sie mich aus Zwang heiraten, ich fühle mich unwohl.

"Setz dich." Ich nehme gegenüber von ihr Platz, sie bietet mir einen Tee an und lässt sich Zeit beim Ausziehen ihrer Jacke und Schuhe. Langsam nimmt sie mir gegenüber Platz.

"Also..."
"Also?" Ich bin verwirrt. Sie lacht. Sie ist doch verrückt!

"Hör mal, Besim.. Ich.. Mir geht es nicht gut. Ich.. Vor einigen Jahren, da hatte ich einen Jungen kennen gelernt.."
Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ich habe Mitleid.
".. und dieser .. Junge, der war mir besonders wichtig. Ich .. denke es war Liebe. Besim.."
Jetzt weint sie, schaut zu mir hoch und ich weiß nicht. Mich überkommt ein Gefühl, sodass ich sie in meine Arme nehme. Sie ist so zerbrechlich und klein. Sie braucht mich.
".. er ist tot. Hat mich alleine gelassen und ist weg. Warum?"
Jetzt sieht sie mich wieder an, schluchzt und mein Herz macht Sprünge, es zerbricht noch ein wenig.
"Hey, Elma. Es reicht.. Du musst nicht weiter erzählen. Es reicht."
Und sie klammert sich an meinem Pullover, der durchnässt von ihren Tränen ist und ich spüre nur ihr Schluchzen und das Schnurren ihrer Lunge.

Nach einigen Minuten richtet sie sich auf. Ich schaue sie an und lächel, ich will sie nicht traurig sehen. Ich habe einfach Mitleid.

"Hast du Bock was zu essen?"
Sie nickt und grinst schief. Das mag ich besonders.
"Na dann, komm doch. Gehen wir hinunter, oder?"
Wieder nickt sie. Ich packe ihre Hand und sie hält meine fest. Mein Schicksal. Ich muss sie retten, ihr helfen, vor ihr selbst.

Am späten Abend sitze ich in meinem Auto, bin auf dem Weg nachhause. Die Gedanken lassen mich nicht in Ruhe. Ich muss ständig daran denken, dass ich eine Frau heiraten werde, die einen anderen liebt. Die bereits in einen anderen verliebt war. Sie ist so verletzt und ich weiß nicht, ob ich das kann. Aber ich kann auch nicht die Verlobung lösen. Das würde sie ganz zerstören. Das würde sie töten. Ich sehe es als mein Schicksal ihr zu helfen, sie aufzubauen und ihr zu zeigen, dass sie es schaffen kann. Dass sie wieder glücklich werden kann, und ein wunderbares Leben haben kann. Mit mir. Gedankenverloren sitze ich im Auto am Parkplatz. Ich lehne mit meinem Kopf gegen das Lenkrad und merke, er glüht. Die Verrückte hat mich angesteckt! Jetzt werde ich auch noch krank. Tolle Sache. Gelohnt hat es sich auf jeden Fall! Grinsend verlasse ich mein Auto und betrete unser Haus, in dem es nach Pite duftet. Mamas Essen ist eben doch das beste! Sie begrüßt mich und gibt mir einen Kuss.
"Du glühst! Ist alles in Ordnung, hat dich etwa deine Frau angesteckt?", sie zwinkert mir zu und ich schüttle meinen Kopf. "Ne, Mama! Ich werd einfach vom ganzen hin und her Fahren müde. Ich leg mich mal hin, morgen sieht die Welt ganz anders aus!"
"Aber das Pite..!"
"Gute Nacht", sage ich schon am oberen Treppensatz und betrete schon mein Zimmer. Müde lasse ich mich auf mein Bett fallen und schlafe binnen weniger Minuten ein. Mein letzter Gedanke ist Elma.

"Mir tut alles weh!!" Entweder Elma wollte sich rächen und hat mich deshalb angesteckt, oder aber Karma hat zugeschlagen. Eines steht fest: ich werde sterben. Mein Kopf dröhnt, mein Hals ist angeschwollen und meine Nase rinnt und verstopft sich im Sekundentakt. Meine Mutter betritt den Raum mit einer Schale Suppe.
"Dein Vater ist schon in der Apotheke und holt dir Medizin. Iss die Suppe, die hilft!" Sie lächelt.
"Ich werde sterben! Mit ist kalt und heiß und alles tut mir weh!", meckere ich und meine Mama lacht.
"Ach, du überlebst das schon."
Sie verlässt den Raum und ich muss an Elma denken. Heute würde sie entlassen werden und ich kann sie nicht abholen. Ich muss ihr schreiben. Schmerzerfüllt, und ich übertreibe nicht, nehme ich mein Handy in die Hand und merke, eine Nachricht von Elma erhalten zu haben.
"Hey du. Na? Ausgeruht? Wahrscheinlich schläfst du schon. (Es war 4 Uhr früh, ja, da muss ich wohl geschlafen haben) ich wollte mich bei dir bedanken. Dafür, dass du keine Fragen gestellt hast. Dafür, dass du mich nicht verurteilst, dass du mich einfach akzeptierst. Es bedeutet mir wirklich viel.
Gute Nacht und bis morgen."
Ich grinse und tippe eine Antwort.
"Hey du verrückte! Ich liege mit Fieber, ich glaube es ist Malaria, anders kann ich mir diese Schmerzen nicht erklären, im Bett und kann dich heute leider nicht beehren! Wünsche dir aber dennoch eine angenehme Entlassung.
Und wegen dem, was du geschrieben hast: keine Ursache, sind doch mittlerweile Freunde? Bis dann."
Ich schicke es ab, lege mein Handy weg und versinke in Taschentüchern und Schmerzen. Das kann ja noch was werden!

Mein LichtblickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt