Kapitel 3
Es war 9:24 Uhr, als ich das erste Mal am nächsten Morgen auf die Uhr sah. Ich fühlte mich so leer. Als wenn durch den Tod meines Vaters, ein Stück von meinem Herz fehlen würde. Und ich hatte das Gefühl, dass es auch nie wieder ganz gefüllt werden konnte.
Ich stand auf, da ich es nicht aushielt so still und ruhig mit meinen Gedanken alleine im Bett zu liegen. Ich schaute in den Spiegel und merkte, dass ich genauso aussah, wie ich mich fühlte.
Elend. Mies. Leer. Fertig.
Ich ging in die Küche, um zu sehen, ob meine Mutter arbeiten war. Aber sie saß am Küchentisch und trank Kaffee. Sie las die Zeitung und hatte schon wieder Tränen in den Augen. Ich denke mal, sie las einen Artikel über den Unfall gestern Abend.
"Guten Morgen Mama!" Sie schaute hoch. Ihr Blick war leer und traurig, aber sie rang sich ein Lächeln ab. Ich merkte genau, dass sie irgendwo anders war, nur nicht hier in Berlin in der Küche mit mir. Sie dachte bestimmt an alte Zeiten. Ich erwiderte ihr Lächeln und setzte mich zu ihr.
"Ich muss gleich los. Ich habe heute viel zu erledigen...du weißt schon...wegen...deinem Vater." Sie brachte es gerade so über sich mir das zu sagen. "Ich möchte nicht mit", sagte ich prompt, ohne darüber nachzudenken. Ich bereute es sofort, also sagte ich schnell: "Also nur wenn du einverstanden bist....ich kann auch mitkommen, dich ein bisschen unterstützen..." "Nein, ist schon okay..", sagte sie wieder mit dieser hohlen, fremden, abwesenden Stimme. "Weißt du, dass musst du dich nicht alles mitmachen." Sie stand auf. "Ich muss los." Und dann verschwand sie. "Ich bin heute Abend zurück. Ich bringe Pizza mit!", hörte ich sie noch rufen. "Okay, Mama! Ich hab dich lieb." Dann hörte ich die Haustür ins Schloss fallen.
Jetzt war ich alleine. Ich hatte das Gefühl ich musste auch raus, sonst würde ich an dieser elenden Luft ersticken. Ich zog mir nur schnell meine Schuhe an und rannte raus. Ich blieb nicht mehr stehen. Vorbei an verdutzten Nachbarn. An Joggern. An Kindern. Ich wusste nicht wohin, ich wusste nur weit weg. Plötzlich fand ich mich an der Lichtung vom Wald wieder. Ich blieb auf der verlassen, großen Wiese stehen und ließ mich ins hohe Gras fallen. Ich schloss meine Augen, ich hatte das Gefühl alles fing an sich zu drehen.
Ich weiß nicht wie lang ich so da lag, aber auf jeden Fall so lang, dass ich meine komplette Kindheit mit meinem Vater in meinem Kopf nochmal erlebte. Ich erinnerte mich an meinen 4. Geburtstag. Ich bekam ein Fahrrad. Mein Vater brachte mir noch am gleichen Tag das Fahren bei. Er versprach mir mich die ganze Zeit festzuhalten, doch als ich mich umsah, stand er weiter hinten, rief mir zu und applaudierte. Doch ich fiel und schlug mir mein Knie auf, da ich mich umgesehen hatte. Ich erinnerte mich, wie er im Krankenhaus meine Hand hielt, kurz vor meiner ersten Operation. Ich erinnerte mich an meine Einschulung, als er weinte, weil er so gerührt war, als ich mit dem Kinderchor in der Kirche sang. Ich erinnerte mich, als ich ihm erzählte, dass ich mich mit einem Freund treffen wollte und er mich wie eine Zitrone ausquetschte, bis er mich endlich gehen lies, weil es ja ein "gefährlicher" Junge war. M
Als ich meine Augen aufschlug, merkte ich, dass mir schon wieder Tränen über die Wange liefen. Es war schon fast dunkel, also rappelte ich mich auf und lief nach Hause.
Meine Mutter war zum Glück noch nicht zu Hause, so konnte sie sich keine Sorgen machen.
Ich zog mir etwas bequemes an und setzte mich ins Wohnzimmer, um ein wenig fernzusehen. Es war Samstagabend, also lief "Got to Dance". Ich konnte diesmal aber nicht meine ganze Aufmerksamkeit den Tänzern schenken.
Schließlich hörte ich einen Schlüssel im Schlüsselloch. Meine Mutter kam ins Wohnzimmer und der Pizzaduft erfüllte den Raum. "Hey Mama!" Ich lächelte. "Hallo, hast du einen schönen Tag gehabt?" - "Ja, mehr oder weniger. Wie soll der Tag schon verlaufen, nach dem Tod des Vaters." Mist, das hätte ich nicht sagen sollen. Meine Mutter schwieg und lies die Schultern hängen. So stand sie mitten im Raum. "Tschuldigung...", murmelte ich. "Ist schon okay..." Sie versuchte zu Lächeln, aber es misslang ihr.
Sie setzte sich neben mich auf die Couch und gab mir meine Pizza Hawaii. Die beste Pizza, die es gibt. Wir aßen in Schweigen und schauten den Tänzern im Fernseher zu. Bis meine Mutter plötzlich anfing zu sprechen.
"Ich vermisse ihn."
"Das tue ich doch auch, aber wir schaffen das! Er hätte nicht gewollt uns so zu sehen."
"Ja, da hast du wohl Recht. Aber es ist alles so leer..." Sie schaute mich mit leerem Blick an.
"Ja, ich weiß...Erzähl...erzähl mir von eurer Hochzeit..."
"Lamiya..."
"Bitte, das tut bestimmt gut!"
Also erzählte sie mir alles. Von Anfang bis Ende und das erste Mal lachten wir seit gestern, über die lustigen Geschichten mit meinem Vater. Doch dann sagte sie plötzlich:
"Weißt du, was der größte Wunsch von deinem Vater war?"
"Nein, was denn?"
"Das er dich tanzen sieht...und andere Menschen auch...Er hat immer gesagt, er hat im Gefühl, dass du brilliant wärst und Talent hättest." Sie lächelte und staarte in die Leere.
Ich wusste nicht was ich sagen sollte. ICH war daran Schuld, dass sein Wunsch NICHT in Erfüllung ging...und jetzt ist er tot.
"Tut mir Leid, ich wollte nicht...", hörte ich meine Mutter sagen. "Ist okay...", sagte ich abwesend. Aber es war nicht okay. Mich plagte das schlimmste schlechte Gewissen seit langem.
"Mama ich bin müde, ich gehe schlafen. Gute Nacht! Ich hab dich lieb!" Ich gab ihr noch einen schnellen Kuss auf die Wange.
"Okay, bis morgen. Ich dich auch." Und damit verschwand ich in meinem Zimmer.
Ich schrie in mein Kissen, sodass es niemand hörte. ICH WAR SCHULD, DASS DER GRÖSSTE TRAUM VON MEINEM VATER NIE IN ERFÜLLUNG GING. Aber ich wollte das Tanzen immernoch nicht teilen. Warum hatte meine Mutter mir das erzählt?
Ich fiel langsam in einen unruhigen Schlaf und wusste nicht, was ich tun sollte.
Wie gefällt es euch bis jetzt? :)
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Tanzen ist Träumen mit den Füßen
Teen FictionTanzen war ihr Leben, doch niemand wusste davon. Bis zu dem Tod ihres Vaters hatte sie niemand tanzen gesehen. Doch mit dem Tod und dem ehemaligen Traum ihres Vaters änderte sich ihr komplettes Leben. Doch als sie James traf, drohte ihr Ziel aus den...