Kapitel 32 - Youth National Grand Prix for Ballet ~ Part 3

869 47 3
                                    

Kapitel 32

"Steh endlich, Lamiya!" stöhnte meine Mama.
"Ich will nicht. Ich bekomme das Stipendium eh nicht!!"
"Wo kommt denn bitte auf einmal diese Stimmugsschwankung?"
"James..." grunzte ich.
"Du wirst dir niemals verzeihen, wenn du dir diese Chance durch einen Jungen versauen lässt. Lass dir das gesagt sein." mahnte meine Mama und zog mir die Decke weg.
Ich stöhnte. "Ich weiß, du Besserwisserin."

*****
Eine halbe Stunde später Stand ich mit gepackter Tasche und Schmetterlingen im Bauch im Flur und wartete.
"Mama!"
"Ich komm ja schon." hörte ich sie irgendwo von oben rufen.
Ich war so nervös ich fühlte mich krank. Nur noch 5 Stunden bis zu meinem zweiten Auftritt.

Mittlerweile kam mir das Gebäude vertrauter vor. Ich kannte meine Garderobe, die langen, hohen Gänge und die Bühne. Ich kannte die Betreuer und Jury. Es war alles nicht mehr so einschüchternd wie gestern und das war ein gutes Gefühl.
Ich ging also in meine Garderobe nachdem ich Mark und Luca begrüßt hatte. Heute würde ich außerdem nur mein Solo haben und nicht noch eine Gruppen-Audition.
Ich setzte mich vor den Spiegel, der mit großen Glühbirnen umrandet war und fing an, mein Make-up aus der Tasche herauszukramen.
Ich strich mir eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich an. Ich sah müde aus. Müde und geschafft. Man konnte mir den Stress ansehen, als wäre er in blinkenden Buchstaben auf mein Gesicht geschrieben.
Kein Wunder. Ich hatte kaum geschlafen, mir das Hirn zermahlen und nur getanzt. Egal, beschloss ich. Nur noch heute. Das musste ich mir einfach immer wieder sagen. "Nur noch einmal deinen Vater stolz machen und du kannst mit dir selber zufrieden sein."

Ich verteilte das Makeup auf meinem Gesicht, trug Lidschatten, Eyeliner und Mascara auf und puderte mich zuletzt ein wenig ab. Ich betrachte mich im Spiegel und war ganz zufrieden mit dem Ergebnis, also fing ich an meinen Hoodie und meine Jogginghose auszuziehen und mich in Strumpfhose und Kleid reinzuquetschen. Es war ein eisblaues Kleid, das mir zu der Hälfte meiner Oberschenkel reichte. Es hatte kleine silberne Details an den Trägern und am Rock. Es fiel locker und flatterte bei jeder Bewegung.
Zuletzt fuchtelte ich meine Haare aus dem Haargummi und ließ mir meine Locken locker über die Schulter fallen. Jetzt, wo ich fertig war, musste ich auf Mark warten, bis er mich zum Aufwärmen abholen würde, also ging ich meine Choreo noch 23567 Mal im Kopf durch. Eigentlich war das ein Witz, weil ich die Choreographie im Schlaf konnte.

Kurze Zeit später kam Mark dann auch und erlöste mich, indem es endlich losgehen würde.
Wir gingen in den dafür vorgesehenen Raum und er fing an mich im Kreis laufen zu lassen, zu springen und in den Spagat rutschen zu lassen.
Nach gut einer halben Stunde waren wir auch damit fertig und ein Ordner teilte uns mit, dass ich mich hinter die Bühne begeben sollte. Also gingen wir die langen, dunklen Gänge zur Bühne. Zum Glück kamen sie mir nicht mehr so imposant und angsteinflößend vor wie gestern, das würde meiner Aufregung nicht helfen.

Ich stemmte meine Hände in die Hüfte, schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Ich drückte meinen Spann raus und hörte wie Mark noch irgendwas faselte, aber ich konnte nichts in mich aufnehmen.
Dann aber hörte ich auf einmal die Ansage. "Lamiya Bel Kahla, 16 Jahre, National School for Ballet, Berlin"
Das war das Zeichen. Es geht los. Das letzte Mal. Und alles was ich dachte war: "Reiß dich zusammen. Ein letztes Mal. Für Papa."
Ich rannte lächelnd auf die Bühne und tanzte. Und tanzte. Und tanzte mir die Seele aus dem Leib.
Der Tanz war zu Ende und ich fühlte mich gut. Ich war zufrieden mit mir selber und das Publikum applaudierte für mich.
Ich verschwand von der Bühne und umarmte Mark. "Gut gemacht." murmelte der.

Wir verließen den Bühnenbereich und nun hieß es auf die Endscheidung zu warten...

*****
Also saßen ich, meine Mum und Luca und Luca's Eltern und Mark im Wartebereich, aßen etwas und schlugen uns die Zeit um die Ohren.
"Mhm" murmelte Mark mit vollem Mund. "Es wurde etwas geändert."
"Was?" fragte ich erstaunt.
"Jede Schule bestimmt zusätzlich jeweils einen Jungen und ein Mädchen, die einen Monat bei ihnen unterrichtet werden." erklärte Mark.
"Wie? Verstehe ich nicht. Zusätzlich zu den Stipendien?" Ich war verwundert.
"Ja, ganz genau."
"Wirklich jede Schule?" fragte ich nochmals.
"Ja."
"Aber warum?"
"Sie sagten, sie wollen sich gerne auch um die Vorbereitung auf eine Kompanie kümmern. Das hab ich jedenfalls gehört. Deswegen wählen sie auch nur zwei, wo sie denken, dass sie potenzial haben, auch wenn sie noch nicht so weit sind."
"Ohh..."

*****
"Noch 5 Minuten. Alle Tänzer bitte hinter die Bühne." ertönte die monotone Lautsprecherstimme.
Luka griff nach meiner Hand und mit den anderen Tänzern gingen wir hinter die Bühne.
Dann wurden wir nach Ballettschule jeweils aufgerufen.
Es war ein gutes Gefühl. Ich meine auf die Bühne zu gehen, ohne zu tanzen, ohne sich beweisen zu müssen und trotzdem wurde für einen applaudiert.
Luka und ich gingen Hand in Hand auf die Bühne und strahlten bis zu beiden Ohren. Endlich hatte man das Gefühl die Arbeit hatte sich bezahlt gemacht. Ich wünschte das Gefühl würde nie aufhören.

Es wurden bereits eine Menge Stipendien an jetzt weinende und sich in den Armen liegende Tänzer vergeben und es waren nur noch drei Kompanien übrig. Sydney, London und Hamburg. Weder Luka noch ich wurden bis jetzt genannt. Wenigstens Luka sollte eins bekommen. Ich wünschte mir es so sehr, denn er hatte es so verdient.
"Wir machen weiter mit London." Luka drückte meine Hand. "Die Stipendien gehen an Alexa Young und Tom Neumann, herzlichen Glückwunsch!" Ja, ich war enttäuscht, aber ich applaudierte und lächelte sie an. "Einen Monat an das Royal Ballet dürfen außerdem Lamiya Bel Kahla und John Kunis, auch an euch einen herzlichen Glückwunsch."
Was? Was? WAS?! Meine Sicht wurde ganz verschwommen und ich merkte nur noch wie ich irgendwie nach vorne torkelte und mein Zertifikat entgegen nahm. Mir war total schlecht und ich glaubte es war Luka, der mich in den Arm nahm und feste drückte.
"Du hast geschafft, verdammt nochmal!" schrie er. Und da realisierte ich es. Ich würde nach London gehen. Nicht in die Kompanie, aber ans Royal Ballet. Oh! Mein! Gott!
Was mich ungefähr genauso freute war, dass Luka ein Stipendium für Sydney bekam! Für Sydney!!! Ein verdammtes Stipendium!!! Ich war so stolz auf uns und ich konnte es einfach nicht fassen.

Ich würde nach London gehen.

*****

Nachträglich frohe Weihnachten und ein frohes neues Jahr! 💜💙💫

Tanzen ist Träumen mit den FüßenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt