Kapitel 31 - Youth National Grand Prix for Ballet ~ Part 2

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Kapitel 31

Langsam band ich mit zitternden Händen den zweiten Spitzenschuh. Mit wackeligen Knien stand ich auf und lächelte unsicher den Ordner an, der bereits auf mich wartete.

"Okay, bist du fertig?" fragte er. Ich nickte zustimmend. "Na dann, komm!" Erik winkte sich mit mir. Wir gingen durch die abgedunkelten Gänge und holten noch weitere Tänzer auf dem Weg zur Bühne ab. Alle sahen genauso nervös aus, wie ich. Irgendwie beruhigte mich das, weil ich nicht allein war.

Wir standen vor der Bühne, als aufgerufen wurde: "Die Tänzerinnen bitte auf die Bühne! In fünf Minuten geht es los."

Entschlossen, mein Bestes zu geben, ging ich auf die Bühne. Ich sah meine Mutter im Publikum, sie saß in der dritten Reihe. Mit hoch gestreckten Armen zeigte sie mir ihre gedrückten Daumen. Ich musste lächeln. Ich konnte einfach so froh sein, sie als meine Mutter zu haben.

Ich stellte mich bereit an die Stange. Der erste Teil wäre der Gruppenteil. Ihr könnt es euch als Ballettstunde vorstellen, allerdings wird man von verschiedenen Ballettlehrern der verschiedenen Kompanien "unterrichtet". Am Anfang kommen normale Übungen, später dann Drehungen und Abfolgen über die Bühne, die man normalerweise im Unterricht durch den Raum macht. Ich wusste also, was auf mich zukommen würde, aber trotzdem war ich unglaublich aufgeregt. Ich wusste nicht, wie ich mich selbst einschätzen konnte.

Alle Balletttänzerinnen standen nervös an der Stange, Startnummer am Trikot befestigt. "Noch eine Minute!" ertönte der Lautsprecher. Ich dehnte schnell meinen Nacken, testete den Spann in meinen Spitzenschuhen aus und atmete tief durch. Zuerst würde der Leiter aus dem Londoner Ballett kommen, dann New York, dann Los Angeles, dann München, dann Paris, dann Rom und dann vom Bolschoi-Ballett. Eine Reihe der größten Ballettkompanien also, aber auch eine lange, harte, erste Audition.

Eigentlich lief alles gut. Ich gab mein Bestes. Wenn es nicht ausreichen würde, könnte ich dennoch zufrieden mit mir sein. Auch Mark und Luca waren nach den zwei Stunden sehr zufrieden mit meiner Leistung. Die Lehrer durften sich aber natürlich nichts anmerken lassen.

Nun hätte ich drei Stunden bis zur zweiten Audition, dem Solo, Zeit. In der Zeit würde ich aber hinter die Bühne gehen, denn nun war Luca mit dem ersten Teil an der Reihe.

Auch Luca war wirklich gut und ich schätzte seine Chancen auch eigentlich gut ein.

In der letzten halben Stunde bis zum zweiten Teil hatte ich Zeit mein Outfit zu wechseln, mich nachzuschminken und noch einmal alles durchzugehen. Dann wurde ich wieder abgeholt.

Ich sah noch die letzten zwei Teilnehmerinnen vor mir und es half wirklich nicht gegen meine Nervosität. Was wenn ich umknickte? Die Choreographie vergaß? Mich vertanzte? Ich wollte mir es gar nicht erst vorstellen.

Die Zeit ging so verdammt schnell um, dass auf einmal schon mein Name aufgerufen wurde. "Lamiya Bel Kahla, 16 Jahre, National School for Ballet, Berlin"

"Nun ist es soweit" dachte ich, "nun wird über deine Zukunft entschieden und alles hängt von verdammten drei Minuten ab. Mach deinen Vater stolz. Mach deinen Vater ein letztes mal so richtig stolz."

Ich schritt auf die Bühne ins grelle Licht. Es war so hell, dass man nichts sehen konnte. So auch nicht die Lehrer, was vielleicht sehr gut war. Ich setzte ein Lächeln auf und wartete auf die Musik. Sie fing an zu spielen und ich vergaß alles. Sofort war ich in der Choreographie verloren und dachte nur noch Pliée und Spitze, jetzt runter und zwei Schritte, hoch und Arabèske und in die Vierte hoch! Schneller als ich wollte, war alles vorbei und der Applaus brach aus. Ich machte einen Knicks und Schritt von der Bühne. Ich atmete schnell und ungleichmäßig, doch Mark wartete schon mit einer Trinkflasche hinter der Bühne und nahm mich in Empfang. "Du warst echt gut! Hier und da ein bisschen unsauber in der Ausführung, aber mit dem ersten Teil, könnte man drüber hinwegsehen." lächelte er mir aufmunternd zu.

Ich verschwand in der Umkleide, um meine Beinwärmer und Jacke überzuziehen. Nun hatte ich wirklich nur noch morgen über, um für ein Stipendium zu kämpfen. Der Rest war gelaufen. Ich machte mich später wieder auf den Weg zur Bühne, um Luca zu zuschauen. Er war perfekt. Wenn er kein Stipendium bekommen würde, wüsste ich nicht mehr weiter.

Am Ende des ersten Tags wurden wir alle zusammen auf die Bühne gerufen, um uns zu verabschieden. "Vielen Dank für heute und wir sehen uns dann morgen zum zweiten Teil, dem zeitgenössischen Ballett."

Damit waren wir alle entlassen für heute und ich verabschiedete mich noch von Luca und Mark um dann mit Mom nach Hause zu fahren.

Wir machten es uns noch auf der Couch zusammen mit Pizza und einem Film gemütlich.

"Ich bin so stolz auf dich, Lami." sagte Mom und schaute mich von der Seite am. Ich lächelte und rutschte näher an sie ran, um mich an sie zu kuscheln.

"Danke, Mama" antwortete ich verschlafen.

"Weißt du was?" fragte ich. "Ich vermisse James."

"Ich weiß..." murmelte Mom.

"Es ist nur...Das letzte Mal, als ich an einem Wettbewerb teilgenommen habe, war er dabei und jetzt weiß er nichts mal davon."

"Ihr werdet bestimmt noch einmal reden, ich verspreche es dir."

"Okay. Ich bin müde..." murmelte ich und schloss meine Augen.

"Kann ich mir vorstellen, du hast Großartiges heute geleistet und du hättest nichts besser machen können."

"Doch, hätte ich, aber ich bin trotzdem zufrieden mit mir selber. Ich meine, schon alleine bei so einer großen Audition dabei gewesen zu sein, war unglaublich." lächelte ich.

"Das ist das wichtigste aber jetzt, geh ins Bett!" lachte Mom. "Du musst morgen wieder fit sein, damit du das Stipendium ergattern kannst und dein Traum erfüllen kannst, also los!" Sie gab mir ein Klaps auf den Hintern und lachend und erschöpft schlich ich die Treppe zu meinem ersehnten Bett nach oben.

Tanzen ist Träumen mit den FüßenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt