Kapitel 1 - Beginn eines neuen Lebens?

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Kapitel 1

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Hallo, ich bin Lamiya. Ja richtig, Lamiya. Ich komme ursprünglich aus Tunesien, also wundert euch nicht. Ich bin 16 Jahre alt und meine Haut hat die Farbe von Milchkaffee. Ich habe lange, schwarze, lockige Haare. Ich bin ganz zufrieden mit meinem Aussehen, aber an so etwas hänge ich mich, im Gegensatz zu vielen anderen Mädchen in meinem Alter, nicht auf. Ich bin ein Mauerblümchen. So könnte man es nennen. Ich lebe mein Leben unauffällig vor mich hin. Natürlich habe ich hin und wieder ein paar Freunde, aber keine Freundin fürs Leben oder wie ihr es auch immer nennen wollt. Andere würden sich in meiner Situation bestimmt ritzen oder so. Aber ich bin nicht wie die anderen. Ich tanze. Ich habe das Tanzen und das kann mir keiner nehmen. Mir hat noch nie jemand gesagt, ob ich gut tanzen kann, da ich nicht in der Öffentlichkeit tanze, ich schließe mich nach der Schule lieber auf dem Dachboden ein, wo ich mir einen kleinen, hübschen Tanzsaal einrichten durfte. Dort lasse ich meiner Fantasie freien Lauf. Ich vergesse einfach alles. Meine Familie, mein geliebtes Kaninchen Rose, den ganzen Schulstress...einfach alles. Meine Eltern wissen zwar, dass ich tanze, haben mich aber noch nie dabei gesehen. Ich will es auch nicht. Ich habe Angst, dass sie sich in irgendeiner Weise einmischen. Das Tanzen ist alleine meins und ich will es nicht teilen oder gar verlieren. Ich nehme keinen Tanzunterricht und habe es auch nicht vor. Ich komme auch ohne welchen klar und hole mir neue Übungen aus Büchern oder dem Internet. Mama und Papa kriegen nur gelegentlich etwas mit wenn ich mir neue Dinge kaufe, wie Spitzenschuhe oder Schläppchen. Ich gaube ich tue ihnen damit weh, dass ich ihnen keinen Einblick in mein Hobby gewähre, aber ich bringe es einfach nicht über mich. Jeden Samstagabend schaue ich mir "Got to Dance" an, eine Fernsehshow. Ich bewundere die Mädchen und Jungen, die der ganzen Fernsehwelt ihr Herz öffnen und ihr Leben präsentieren. Zumindest heißt das Tanzen für mich. Mich würden keine 10 Pferden dahin kriegen. Ich werde das Tanzen nicht teilen.

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Es war Dienstagnachmittag. Eigentlich sollte ich meinem Chemielehrer zuhören aber ich saß da, in der Schule, und beobachtete den Uhrzeiger, wie er im Schneckentempo über das Zifferblatt kroch. Er zeigte 15:29 Uhr. In einer Minute hatte ich Schulschluss. "Lamiya, kannst du mir diese Frage beantworten?" fragte mich Herr Green mit einem verschmitzten Lächeln. Er und ich standen auf Kriegsfuß miteinander. "Nein.", lächelte ich gekünstelt freundlich zurück, "Ich habe jetzt Schulschluß." Genau in dem Moment klingelte es zum Stundenende und ich stürmte aus der Klasse. Ich wollte endlich auf den Dachboden. "Lamiya, ich beend...", hörte ich Herrn Green noch rufen.  

Ich rannte zu den Fahrradparkplätzen und fuhr in Rekordzeit nach Hause. Am Dienstag arbeiteten meine Eltern beide lange, also war ich alleine. Ich aß nichts zu Mittag, da ich lieber meine Tanzsachen anzog und die Treppe hoch im Tanzsaal verschwand. Es war mittlerweile 15:54 Uhr. Ich drehte die Musik auf und fing an mich aufzuwärmen. Dienstag ist schon immer mein Tag für Modern Dance gewesen. Montags Videoclipdancing, Mittwochs Ballett und dann immer so in der Reihenfolge weiter. Ich machte Listen von Beyoncé an und übte die Choreographie, die ich bei YouTube gefunden hatte. Ich hörte erst auf, als meine Beine zitterten und meine Füße so weh taten, sodass ich fast nicht mehr laufen konnte.

Es war 19:30 Uhr als ich den Raum wieder das erstemal verließ. Meine Eltern waren bereits da, das hatte ich jedoch nicht mitgekriegt. Ich sagte ihnen beiden kurz Hallo und gab ihnen eine Kuss auf die Wange. "Na mein Engel, warst du Tanzen?" fragte meine Mutter. "Ja", sagte ich. "Aber ich muss jetzt wieder hoch Duschen und Hausaufgaben machen." "Ist gut!", hörte ich beide sagen, als ich schon wieder auf meinem Weg nach oben war. Ich nahm eine lange, entspannte Dusche und widmete mich danach noch den wichtigsten Hausaufgaben. Ich schaute mir schließlich noch ein paar Tänze von Deutschen Meisterschaften an und legte mich schließlich ziemlich erschöpft in mein Bett.

Ich wurde am nächsten Morgen um 6:30 Uhr von One Directions Little Things geweckt. Ich fühlte mich wieder erholt von dem Schlaf und ging erstmal ins Badezimmer um mir die Zähne zu putzen und meine Haare zu kämmen. In meinen Gedanken tanzte ich schon wieder Listen von Beyoncé und freute mich jetzt schon wieder auf Nachmittags. Ich hatte schließlich auch nichts in der Schule, worauf ich mich hätte freuen können. Die 'Freunde', die ich hatte, konnten genauso gut auf mich verzichten, wie ich auf sie. Ich gab keinem die Chance mich zu verletzen, da ich mich niemandem gegenüber öffnete. Ich war schließlich fertig im Badezimmer und suchte in dem unordentlichsten Kleiderschrank auf der Welt etwas zum anziehen. Ich fand schließlich etwas, das mir bequem genug erschien. Ich wollte mich in der Schule nicht schön machen. Dann würden die Lehrer nur denken "Oh Gott! nicht noch so eine blonde, hohle Barbie!", wie ich sie genügend in meiner Klasse hatte. Warum färben sich Mädchen in meinem Alter alle die Haare wasserstoffblond? Ich meine, dass macht sie nicht schöner und klüger lässt es sie auch nicht aussehen. Na ja, nachdem ich meinen morgendlichen Gedanken freien Lauf gelassen hatte, ging ich runter in die Küche um ein bisschen was zu frühstücken.  

"Guten Morgen Mama, guten Morgen Papa!", lächelte ich. "Morgen Lami!", sagten beide komplett synchron zurück. Ich bin Einzelkind und habe deswegen ein sehr, sehr gutes Verhältnis mit ihnen. Doch manchmal habe ich das Gefühl sie nehmen mir die Entscheidung mit dem Tanzen immer noch übel, aber ich versuche es zu ignorieren.  

Mein Vater war anscheinend schon Brötchen holen, da frische Brezel und gut duftende Brötchen und Croissants auf dem Tisch lagen. Ich langte ordentlich zu. Das gestern fehlende Mittag- und Abendessen machte sich bemerkbar.  

Nachdem ich in Ruhe grfühstückt hatte, schaute ich auf die Uhr: 7:42 Uhr. Wenn ich mich beeilte, würde ich noch pünktlich kommen. Ich schnappte mir schnell meine ganzen Sachen, gab meinen Eltern noch schnell einen Kuss auf die Wange, bevor ich aus dem Haus stürmte und zu meinem Fahrrad rannte, um schnell zur Schule zu fahren. Ich verbrachte meine Pausen alleine, aber daran war ich gewöhnt. Es ist nicht so, dass ich die Ruhe über alles liebte, ich liebte auch den Trubel und die Hektik und das Zusammensitzen, aber ich war so in meine Rolle als unsichtbares, schüchternes Mauerblümchen reingwachsen, dass ich nicht wusste wie ich da überhaupt rauskommen sollte. Ich hörte in jeder Pause Musik und ging im Kopf Choreographien durch, die ich bei anderen gesehen hatte. Ich hatte mich bis jetzt noch nie getraut eine eigene Choreographie zu entwickeln und ich dachte das würde auch erstmal so bleiben. Ich schrieb Gedichte und wartete, dass ich nach Hause konnte und meine Trauer beim Tanzen verarbeiten und verdrängen konnte. In der Schule tat ich es, als wäre ich tough und nichts könnte mich zerbrechen und bei meinen Eltern ließ ich mir auch nichts anmerken. Doch tief innen drinnen zerfraß es mich langsam.

In den nächsten 2 Monaten und 5 Tage änderte sich nichts. Ich blieb die gleiche in der Schule, nur dass sich meine Noten verschlechterten. Ich trainierte jeden Tag härter, weil ich es brauchte. Ich brauchte Ablenkung und etwas, an das ich mich klammern konnte. Und es tat gut den Erfolg zu sehen.

Doch dann kam Freitag, der 12. Juni 2013, der mein Leben verändern sollte.

Ich hoffe es hat euch gefallen :) Love you :-*

Tanzen ist Träumen mit den FüßenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt