Kapitel 27

482 19 12
                                    

Dieses Kapitel widme ich Idiot4lifeTime.
______________________

Der Winter im Jahre 1922 war kälter als ich dachte. Offensichtlich auch kälter, als Mme Rossini dachte, jedenfalls zeugte die Kleidung, die sie mir dafür herausgelegt hatte eiskalt davon.

Draußen schneite es, in Flocken wie ich sie bisher nur in Filmen sehen durfte. Um dies auszunutzen wollte ich meine Eltern unbedingt mit einem Schneeball bewerfen, wenn ich doch nur Handschuhe hätte. In Leder. Ich hatte es ja auch schon ohne versucht, aber das gelang mir nicht sonderlich gut. Wenn man versucht, soviel Schnee wie möglich mit so wenig Haut wie nunmal möglich zusammenzupressen, bekommt man das kalte Zeug nur selbst ins Gesicht. Wenigstens Nicolas fand dies urkomisch. Und ehrlich, sein Gekicher war doch auch nur zu süß.

„Nochmal Gwenny", meinte der Kleine und leider zog mich das nur wieder von meinem kleinen Ausflug in Richtung guter Laune runter. 'Gwenny', so hatte mich Gideon vor seinem Verschwinden immer genannt. Als einziger. Und daher verbinde ich diesen Spitznamen ebenfalls nur mit ihm. Auch wenn Nicolas mich nicht zum ersten Mal so nannte.

„Nanu", hatte Nicolas dann gesagt, scheinbar wegen meiner Reaktion. Lucy und Paul tauschten einen besorgten Blick und zogen mich dann in ihre Mitte.
Seitdem liefen wir nebeneinander durch die Straßen Londons. Die beiden versuchten mich immer wieder in ein Gespräch zu verwickeln, aber ich ging nicht wirklich darauf ein.
Hoffnungslos.
Lucy seufzte. Doch erstaunlicherweise war es Paul, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte.

„Das hier ist das Geburtshaus von Andrew Lloyd Webber. Zumindest wird es das einmal sein, in ... ähm ..."

„26 Jahren", vollendete ich seinen Satz. Erstaunt sah ich mir das Haus an, vor welchem wir gerade hielten. Soweit ich weiß, wurde der Komponist in Kensington geboren. Sind wir echt schon so weit gelaufen?

„Ist dieser Andy ein Freund von euch?" wollte Nicolas wissen. Ich beugte mich zu ihm runter, „werden wir sehen, vielleicht wird er das einmal sein." Ich nahm ihn auf meinen Arm und schwelgte in Erinnerungen. Andrew Lloyd Webber ist der Komponist von „Memorys", ein Lied einer wundervollen Soirée und aus dem Musical „Cats". Einem Musical, dessen Uraufführung ich mir mit einem wundervollen Menschen angesehen hatte. Einem verschwundenen wundervollen Menschen. Ich spürte, wie so oft in letzter Zeit, einen Stich in meinem Herzen. Vielleicht hat meine Familie recht: Ich sollte mich auf das Wesentliche konzentrieren, nicht immer nur herumflennen -so ausweglos die Situation auch erscheint. Sehr wahrscheinlich hatten sie recht.

Plötzlich war ich voller neuer Energie. Auch solche hatte ich in letzter Zeit sehr oft, aber diesmal war ich davon überzeugt, dass sie lang weilen würde. Bis wir Gideons Verschwinden gelöst haben.

„Wie viel Uhr haben wir? Ich habe noch etwas zu erledigen"

Lucy sah Paul stolz an. „Es ist Zeit uns zu verabschieden. Du wirst es wahrscheinlich nicht rechtzeitig bis nach Temple schaffen, aber der Hyde Park ist nicht weit von hier." Sanft lächelte sie mich an. Und da sah ich es, sie war auch auf mich stolz. Ein Blick zu Paul zeigte mir, dass sie es beide waren. Diese Erkenntnis füllte mich mit noch mehr Motivation.

„Eine Freundin von mir wohnt nicht weit von hier. Ich müsste es noch schaffen, mich dort in der Gegend zu verstecken." Ich freute mich gerade richtig, bei Leslie zu klingeln, sie über Neuigkeiten auszufragen und selbst welche zu entdecken.

„Ähm?" Nicolas zog an meinem Schal. „Du sagst schon 'Tschüss'?"

„Ja, Kleiner. Aber ich komme bald wieder." Kurz zog ich ihn nochmal an mich ran, während ich zusehen durfte, wie Lucy sich bei Paul aufregt, Nicolas das 'Ähm' angewöhnt zu haben. Dann setzte ich ihn ab.

TurmalinschwarzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt