Kapitel 01 ~ Waldlandelb

885 46 7
                                    

Der erste Pfeil traf und brachte den einen Ork zu Fall, der in diesem Moment mit seiner Keule zum Schlag ausholte, um den am Boden liegenden Elb zur Strecke zu bringen. Er sackte in sich zusammen und blieb leblos neben dem blonden Mann liegen. Sofort richteten sich alle Augen auf mich. Regungslos stand ich vor dem Fels, hinter dem ich mich zuvor noch versteckt hatte und starrte in die leeren dumpfen Augen dieser hässlichen Kreaturen. Der zweite Pfeil surrte bereits durch die Luft und traf den Ork, der mir am nächsten stand überraschend zwischen den Augen. Er grunzte, verdrehte die Iris und taumelte wild herumfuchtelnd auf mich zu, doch noch bevor er mich erreicht hatte krümmte er sich und ging vor meinen Füßen zu Boden.

„Das wirst du büßen." , fauchte der übrig gebliebene Ork, wandte sich von dem Elben ab und stapfte auf mich zu. Sein hässliches Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzerrt und aus seinem zerrissenen Mund tropfte der Speichel. Wieder legte ich einen Pfeil an die Sehne meines Bogens und zielte direkt auf den Kopf des Scheusals.

Drei, Zwei ... Ich zählte leise für mich, wartete, dass mein Gegner nahe genug war, damit der Schuss ihn tötete, so wie es mir mein Vater bereits als Kind beigebracht hatte. Ein letzter Atemzug, dann ließ ich los, doch plötzlich hörte ich ein lautes Knirschen und spürte einen harten Schlag auf dem Kopf! Ich schrie, ging zu Boden und versuchte sofort wieder aufzustehen, doch etwas Schweres drückte mein Gesicht in den kalten, feuchten Sand unter mir. Schreckliche Laute wurden getauscht. Schwarze Sprache wurde gesprochen. Mit aller Kraft versuchte ich mich gegen den Druck auf meinem Kopf zu wehren, doch es gelang mir nicht ihn anzuheben, geschweige denn mich umzudrehen, um etwas gegen den hinzugestoßenen Ork ausrichten zu können.

„Die nehmen wir mit." , knurrte das Scheusal über mir. Der andere lachte.

„Endlich mal keine zähes Orkfleisch. Den Elb lassen wir hier. Der schmeckt nicht."

„Welcher Elb?"

Kaum war das letzte Wort gesprochen ließ der Druck auf meinem Kopf nach und etwas ging neben mir zu Boden. Sofort sprang ich taumelnd, aber mit meinem Bogen in der Hand auf und blickte mich gehetzt um.

Auf dem Felsen stand, mit angelegtem Pfeil, der Elb. Ohne mich eines Blickes zu würdigen schoss er den letzten Ork ab, noch bevor ich mich richtig umgesehen hatte.

„Das war sehr leichtsinnig Mädchen." , sagte er von oben herab zu mir und musterte mich. Jetzt erst bemerkte ich das strahlende Blau seiner Augen und das vollkommene Blond seiner Haare, die an den Seiten zu kleinen Zöpfen geflochten waren. Seine Kleidung war zum größten Teil grün und aus Samt. Nur ein kleines Stück silbrig glänzenden Stoffes lukte unter dem Kragen hervor und verriet, dass er keiner der einfachen Waldelben des Düsterwaldes war.

Ein kleines Blutrinnsal lief an seiner Schläfe entlang und unterbrach den nahezu perfekten Anblick, was mich lächeln ließ. Ich mochte Elben nicht besonders, hatte sie noch nie gemocht. Meist waren sie eingebildet, viel zu hübsch und übertrieben freundlich und melodisch. Aber natürlich waren sie mir alle Male lieber als die verdammten Orks!

Noch bevor ich ihm etwas entgegnen konnte, sprang er den Fels herab und landete fast lautlos neben mir. Kurz knickte sein rechtes Bein unter ihm ein, was von einer Verletzung zeugen musste.

„Ich bin Legolas aus dem Waldlandreich. Und ich danke für deine Hilfe." , sagte er und schaffte es tatsächlich zu grinsen. Ich räusperte mich, dann antwortete ich ihm:

„Ich helfe da, wo Hilfe benötigt wird. Mein Name ist Elanor und ich stamme einst aus Minas Tirith."

Legolas' Augen weiteten sich und er sah mich forschend an. „Elanor? Bist du elbischen Blutes?" , fragte er erstaunt.

„Nein. Bloß mein Name ist elbischer Herkunft." , antwortete ich ihm. „Ich lebe in einem Dorf unweit von hier. Wir sind Menschen aus Minas Tirith, die geflohen sind."

Wieder weiteten sich die blauen Augen des Elben. „Weit seid ihr gereist um hier her zu gelangen. Was trieb euch dazu?" , wollte er wissen.

„Das ist eine lange Geschichte, die sich hier nicht erzählen lässt." , sagte ich und wandte meinen Blick zu den herumliegenden Orks, deren Blut langsam im schlammigen Boden versank.

„Dann bring mich in dein Dorf." , forderte Legolas, ohne mit der Wimper zu zucken. Und genau das war einer der Gründe weswegen ich Elben nicht ausstehen konnte. Schon gar nicht die des Düsterwaldes!

„Wir haben nur ungern Gäste." , antwortete ich schnippisch und legte mir meinen Bogen über die Schulter, um ihm zu signalisieren, dass ich gehen wollte. Und zwar allein! Entgeistert sah er mich an.

„Nun gut. Dann gestatte mir eine Frage." , bat er und legte seinen Kopf leicht schief, während er mich musterte.

„In Ordnung. Eine Frage und dann muss ich weiter. Die Jagd ruft."

„Kennst du jemanden der den Namen Streicher trägt?" , fragte er mich und es klang, als hätte er diese Frage bereits einige Male gestellt.

„Kennen tue ich diesen Streicher nicht, aber ich habe von einem Waldläufer gehört, der wie ich von den Númenor abstammt und unter diesem Namen reist." , antwortete ich ihm nach einer kurzen Pause. Ich war mir noch nicht ganz sicher, ob ich diesem Elben trauen konnte, doch was sollte er mit dieser lauen Information schon großes anfangen?

„Wo ist er?" , fragte Legolas begierig.

„Das weiß ich nicht genau." , gab ich offen zu. „Warum suchst du nach diesem Mann?"

Kurz sah mich der Elb an. Argwohn schwang in seinem Blick mit, doch seine Mine war trotz dessen freundlich.

„Das ist eine lange Geschichte, die sich hier nicht erzählen lässt." , ahmte er mich nach und entlockte mir ein kurzes Lächeln. „Du bist eine der Dúnedain?" , fragte er weiter, bevor ich zum Antworten kam.

„Nicht direkt. Weit entfernte Vorfahren lebten auf Númenor. Ich habe wenig mit ihnen gemein denke ich."

„Das kann man nie wissen, Elanor." Wieder musterte er mich einen langen Moment lang. „Und nun drängt es mich noch mehr deinem Dorf einen Besuch abzustatten. Ich möchte deine Geschichte und die deiner Leute gerne hören und wenn es geht etwas über diesen Waldläufer herausfinden."

Etwas in seinen Augen sagte mir, dass ich diesem Elben vertrauen konnte und das er es ehrlich meinte. Er war keine Gefahr. Weder für mich, noch für mein Dorf. Ich nickte.

„In Ordnung. Du würdest das Dorf wahrscheinlich auch ohne meine Hilfe finden, aber ich führe dich hin. Und wenn ich mir sicher bin, dass ich dir vertrauen kann, erzähle ich dir was ich weiß." , willigte ich ein und wandte mich von ihm ab um voran zu gehen.

In Gedanken durchsuchte ich meinen Kopf nach Erinnerungen an diesen Streicher, doch es wollte mir nicht mehr einfallen. Kein Gesicht, keine Stimme kamen mir in den Sinn, keine greifbare Erinnerung an einen Mann. Ich war mir nicht einmal mehr sicher, woher ich das wusste, was ich über ihn zu wissen schien.

Es war ein kurzer Weg am Ufer des Flusses entlang, den ich gekommen war und den wir nun gingen. Legolas ging einige Schritte hinter mir. Immer wieder hörte ich, wie er leise keuchte, was eher elbenuntypisch war. Seine Verletzung schien schlimmer zu sein, als ich annahm.

Wir erreichten das kleine Dorf, welches aus etwa drei Dutzend Holzhütten bestand, noch vor der Mittagssonne.

„Ich wohne in einem der hinteren Häusern. Folge mir und wir versorgen erst einmal deine Wunde." , sagte ich und bekam zu meiner Überraschung keinen Widerstand. Keiner der Elben, die ich bisher kennengelernt hatte, hätte eine Verletzung so einfach zugegeben. Ich wagte einen kurzen Blick auf sein Bein. Die Hose und der Mantel hatten nichts abbekommen, doch wahrscheinlich war elbischer Stoff widerstandsfähiger als ihre Haut, oder Knochen. Legolas folgte mir und wir erreichten meine Hütte ohne Aufsehen zu erregen.



Elanor - Mädchen des Westens [Mittelerde FF] Aktuell pausiertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt