Kapitel 05 ~ Hinter uns

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Mit stechenden Schmerzen in den Gelenken und im Rücken erwachte ich noch vor dem Morgengrauen. Legolas schien sich die ganze Nacht nicht bewegt zu haben und saß noch immer direkt neben mir, den Blick weit in die Ferne gerichtet und sehr wahrscheinlich all seine Sinne ausgestreckt, um etwaige Feinde sofort ausfindig zu machen.

„Du bist wach." , murmelte er, ohne seinen Blick auf mich zu richten.

„Bin ich." , erwiderte ich und setzte mich ein wenig auf, um mich etwas zu strecken.

„Wie spät ist es?" , fragte ich und richtete meinen Blick in die selbe Richtung wie der Elb. Der Himmel war noch von der dunklen Nacht verschluckt und am Horizont zeichneten sich tiefschwarz die Nebelberge zackig ab, wie Zähne, die bloß darauf zu warten schienen endlich etwas Fleisch zum Zerreißen zu bekommen. Nicht zum ersten Mal schauderte es mich.

„Kurz vor Morgengrauen. Die Sonne wird bald aufgehen und uns Licht spenden."

Legolas hatte seinen Satz kaum zu ende gesprochen, da reckte sich bereits der erste Sonnenstrahl hinter uns und warf ein immer heller werdendes Schattenspiel auf das, nun nicht mehr ganz so schaurig wirkende, Nebelgebirge.

„Im Sonnenschein wirkt alles gleich sehr viel freundlicher." , merkte ich an und begann nun im morgendlichen Licht ein paar Bissen von dem Lembasbrot zu essen, damit wir unsere Reise bald fortsetzen konnten.

„So wirkt es, doch das Land bleibt das Gleich. Eile dich. Ich will den übernächsten Sonnenaufgang hinter diesen Bergen bewundern." , sagte Legolas und sprang leichtfüßig auf, um unser Gepäck einzusammeln. Schnell stopfte ich noch einen Bissen von dem Wegbrot in meinen Mund, trank etwas Wasser und versuchte, so gut es eben ging, mich ein wenig zu waschen. Dann schulterte ich meinen Bogen, nahm dem Elben etwas von dem Gepäck ab und es ging weiter, Richtung Berge.

Wie am Vortag liefen wir zumeist schweigend nebeneinander her, immer darauf bedacht, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich im Schatten Angmars auf uns zu ziehen. Die Mittagsrast verging schnell und noch lange vor dem Abend hatten wir die ersten Ausläufer des Nebelgebirges erreicht.

„Wir waren schneller als ich annahm." , meinte Legolas und sah sich um. Vor uns erhoben sich nun endlich die massigen Berge in ihrer vollen Größe, doch so glücklich ich auch war, dass wir unser erstes Etappenziel erreicht hatten, so sehr ängstigte es mich auch vor den nächsten.

„Ruh dich einen Moment aus. Wir werden heute noch ein Stück weit gehen." , sagte Legolas und ließ sich in das letzte, weiche Gras nieder, welches vor dem steinigen Gebirgspfad wuchs. Sofort tat ich es ihm gleich und genoss die kurze Erholung für meine Gliedmaßen.

„Wie weit ist der Weg durch die Berge?" , wollte ich wissen.

„Nicht sehr weit von der Strecke, doch beschwerlich ist er." , antwortete Legolas und beäugte mich etwas skeptisch, doch ich nickte bloß.

„Darf ich dich etwas fragen, Elanor?" , der Elb senkte seinen Blick etwas.

„Aber gern." , antwortete ich, gespannt darauf, was er wissen wollte.

„Wenn du die Waldelben doch eigentlich nicht leiden kannst, warum hast du mir geholfen, als die Orks mich am Langquell angriffen?"

Nun musste ich unweigerlich schmunzeln. „Das fragst du mich jetzt?"

„Ja, das frage ich jetzt. Zuvor gab es für mich keinerlei Gelegenheit diese Frage zu stellen."

„Ich habe dir geholfen, weil ich Orks noch sehr viel weniger leiden kann als die Elben. Orks sind widerliche Kreaturen, die nur so zum Spaß töten und Leid verbreiten. Elben dagegen sind meist gutmütig und gerecht. Jedenfalls sagen das die Geschichten die ich gehört habe. Du bist natürlich das komplette Gegenteil von Gutmütig, sonst würdest du mich nicht durch die Ettenöden und die Trollhöhen jagen wollen." , erwiderte ich schmunzelnd und entlockte auch dem Elben ein kurzes Lächeln.

„Du wirst mir noch dankbar sein, für den Weg den wir einschlagen, doch lass mich noch eine Frage stellen. Warum wolltest du so dringend mitkommen? Ich stelle mir diese Frage, seitdem wir aufgebrochen sind. Es ergibt für mich keinerlei Sinn. Du hast dort in diesem Dorf ein sicheres Leben, alle scheinen dich zu mögen und zu akzeptieren. Ihr könntet sogar zurück nach Minas Tirith gehen, doch du entscheidest dich für einen solchen Weg." , Legolas erweckte tatsächlich den Eindruck, als habe er länger über diese Fragen nachgedacht. Auch ich musste kurz über die Antwort nachdenken, die ich ihm gab.

„Vielleicht bin ich einfach nicht dafür gemacht, um in Sicherheit zu leben. Vielleicht brauche ich öfter mal etwas Neues, Aufregendes. Ist wohl das Blut der Dúnedain in mir, welches zum Vorschein kommt. Als Minas Tirith damals angegriffen wurde und meine Eltern starben, habe ich mich unwissend, wohl von einem scheinbar normalen Leben verabschiedet. Für mich war immer klar, dass ich eines Tages fort gehen wollte, doch es ergab sich einfach keine Gelegenheit, bis du kamst."

Wieder lächelte Legolas kurz.

„Es war wohl ein Wink des Schicksals, dass wir aufeinander trafen und uns gegenseitig helfen konnten. Lass uns aufbrechen. Mädchen des Westens. Der Weg wird beschwerlich für dich sein und ich weiß nicht, wie weit du gehen kannst."

Elegant wie es nur einem der Eldar vorbehalten war, stand Legolas auf und noch bevor ich mich aufraffen konnte, bot er mir seine Hand an, um mir aufzuhelfen. Dankend nahm ich an und ließ mich von dem Elben auf die Füße ziehen. Für den Hauch einer Sekunde blickte ich direkt in die leuchtend blauen Augen und erstarrte. Ein schwacher Geruch von Zedern und Gras kam mir entgegen und plötzlich war mir seine Berührung und die Nähe unangenehm.

„Alles in Ordnung?" , fragte Legolas, der noch immer meine Hand hielt.

„Natürlich!" , schnappte ich und ließ sofort los. „Lass uns gehen." Etwas verwirrt über mich selbst wagte ich es, voran zu gehen, doch Legolas schloss sofort zu mir auf und wir betraten gemeinsam den kleinen, ersten Berg des Gebirges, welches es zu überqueren galt.

Zu unserer Linken plätscherte die junge Langquell beinahe fröhlich herab, verlor sich dann aber in den weiteren Bergen, die wir umgingen. Vor uns lag ein langer Pfad, über die tieferen Nebelberge. Steine und Geröll erschwerte den Aufstieg und ließ mich noch häufig hinter Legolas zurückbleiben, der jedoch stets auf mich wartete und um meinetwillen kleine Pausen einlegte.

„Heute Nacht werden wir hier rasten und den Rest des Passes mit Glück Morgen hinter uns bringen." , sagte er schließlich, als es bereits dämmerte und mir die Luft wegblieb. Hoch und weit waren wir gegangen und nun fühlte es sich an, als könne ich niemals mehr einen Fuß vor den anderen setzen.

„Wie sicher ist es in diesem Abschnitt der Nebelberge?" , wollte ich wissen, nachdem wir unser Lager aufgebaut und ein kleines Feuer entzündet hatten.

„So sicher, wie im Rest dieser Berge. Wir müssen auf der Hut sein." , raunte Legolas. Immer wieder sah er sich um und machte mich somit unglaublich nervös.

„Ich werde hier nicht eine Sekunde lang schlafen können." , meinte ich, nachdem ich mich an einen Fels lehnte. Spannung lag in der Luft, ich konnte es deutlich fühlen und auch Legolas war zu ruhig in den letzten Minuten gewesen.

„Vielleicht wäre es auch besser, nicht zu schlafen." , flüsterte der Elb mit auf den Lippen gelegtem Finger und sofort setzte ich mich auf, um zu horchen. In weiter Ferne, so schien es, trommelte etwas auf den steinigen Boden.

„Was ist das?" , flüsterte ich kaum hörbar.

„Orks. Sie kommen aus Angmar in die Berge." , flüsterte Legolas und noch immer stand er stocksteif da und horchte. Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten, vergingen und ich traute mich nicht einmal zu atmen, während der Elb so angestrengt lauschte.

Plötzlich weiteten sich seine Augen etwas und er sah mich erschrocken an. Dieser Blick ließ mich das Schlimmste vermuten.

„Sie sind hinter uns! Los! Pack alles zusammen. Wir müssen fort!"



Elanor - Mädchen des Westens [Mittelerde FF] Aktuell pausiertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt