9.- Vergangenheit und Gegenwart

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"Wieso hast du mir das nicht gesagt?" fragte ich verwundert, doch Dean zuckte mit den Schultern und wischte sich die Tränen weg. "Es ist schon so lange her und ich wollte dich nicht damit belasten."
"Hast du ja toll hinbekommen." gab ich zurück. "Damit das du mir nichts gesagt hast, ist es eher noch schlimmer geworden."
"Das...das wollte ich nicht. Es tut mir leid, Xenia. Wirklich. Ich ruiniere hier alles."
"Hm. Hättest du früher drüber nachdenken sollen." Dean nickte verständnisvoll, doch von seinen Augen konnte ich eindeutig ablesen, welchen Schmerz er empfand und im nächsten Moment fühlte ich mich schuldig dafür. Meine Worte sollten nicht noch schroff sein, jetzt, wo er so verletzlich war.
"Nein. Mir tut es leid." entschuldigte ich mich. "Ich denke, es ist besser, wenn wir gehen." Seufzend legte ich das Geld fürs Essen auf den Tisch und stand auf.

Zurück im Hotelzimmer packten wir schweigend unsere Koffer und checkten aus. Auch auf der Rückfahrt nach hause war alles still und ich traute mich nicht, das Radio anzudrehen. Allein Batman auf der Rückbank lief untenschlossen hin und her und versuchte einen schönen Platz zu finden. Dean starrte ausdruckslos nach vorne auf die Straße und irgendwie machte mir das Angst. Er war sonst nicht so schweigsam. Natürlich war heute ein trauriger Tag für ihn, doch seine Schwester war ja nicht erst gestern gestorben.
Er fuhr gerade zu einer Tankstelle ab und stellte den Motor aus, als ich ihn an der Hand fest hielt, bevor er aussteigen konnte. "Dean, bitte. Was ist los? Seit wann redest du nichts mehr mit mir?"
Er gab mir immer noch keine Antwort, seine blauen Augen schauten mich einfach an. "Dean. Ich habe dich was gefragt."
"Und ich hab deine Frage auch gehört."
"Ja, und? Was ist deine Antwort? Sprich mit mir. Oder ich fahr alleine nach hause wenn du aussteigst und du kannst laufen." Dean ließ sich wieder auf seinen Sitz fallen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. "Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was mit mir ist."
"Es ist wegen mir." bemerkte ich.
"Nein. Xenia, Gott. Nein. Ich habe nur so ein ganz komisches Gefühl. Es ist nicht das ich unbedingt traurig bin... Ich... Ich fühle mich einfach...taub. Ich weiß nicht was ich sagen sollte. Da sind einfach lose Gedanken in meinem Kopf und ich kann sie nicht ordnen."
Seine Stirn sank auf das Lenkrad und er atmete tief durch. Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf den Rücken. "Ist schon gut. Das geht allen mal so. Du vermisst deine Schwester und das ist vollkommen okay."
"Nein. Ich bestrafe dich damit." sagte er.
"Tust du nicht. Nur weil du ein Problem hast, bestrafst du mich nicht. Und weißt du was? Wir tauschen jetzt die Plätze und dann fahren wir zu deinem Bruder. Ihr zwei könnt am besten über ihren Verlust sprechen."
Mit diesen Worten stieg ich aus.

Als ich bezahlt hatte, setzte ich mich vor das Steuer und nachdem ich jetzt endlich wusste, was mit ihm los war, fuhr ich auf schnellstem Weg zu Brett. Ich drehte das Radio an und Dean begann zu schmunzeln. "Geht doch." meinte ich zufrieden.
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"Hey jo, was macht ihr denn hier?" fragte Brett, als er uns die Tür öffnete. Es war bereits Abend, als wir bei ihm angekommen waren und er trug schon seinen Schlafanzug. Wenn man das so nennen konnte. Eher eine alte Adidas - Trainingshose, die schon bessere Tage gesehen hatte. Seine blonden, langen Haare standen wie eh und je wild in alle Richtungen und in einer Hand hielt er ein großes Baguette, aus dem eine unidentifizierbare Soße tropfte.
"Wir wollten einfach mal vorbei schauen." antwortete ich. "Lässt du uns denn rein?"
"Ehm.. Ja klar. Aber es ist nicht aufgeräumt und so... "
"War es das denn überhaupt schon mal?" konterte mein Freund und trat an seinem Bruder vorbei in die Wohnung. Brett begann zu lachen und wir folgten ihm ins Wohnzimmer. Seine Wohnung war nicht besonders groß und auch nicht luxuriös oder sonst was. Das einzige was mir ins Auge stach, war die rote Holzkommode.
"Die ist schön." staunte ich und fuhr mit meinen Fingern die Maserungen nach.
"Ja. Die hab ich selbst gemacht." erklärte Brett und schüttelte notdürftig die Kissen auf seinem Sofa auf. Mit schnellen Handgriffen räumte er die leeren Bierdosen und die dreckigen Teller vom Tisch. "Nehmt doch Platz? Wollt ihr was trinken? Oder was essen?"
"Ich würde was essen." sagte Dean und ließ sich auf die Couch fallen, doch ich lehnte dankend ab.
Der Fernseher lief und als Brett mit einem weiteren Baguette wieder kam, setzte er sich neben seinen Bruder.
"So. Was verschlägt euch jetzt wirklich zu mir? Ich glaube euch das nicht so ganz, dass ihr einfach mal den alten Brett besuchen wolltet."
Dean hob die obere Hälfte des Baguettes an, doch als er den Belag sah, der aus zerkrümelten Chips, Lachs und dieser ekelhaften grünen Soße bestand, schob er den Teller mit einem angewiderten Gesichtsausdruck von sich weg und ich musste mein Lachen unterdrücken.
"Es ist wegen Ivy, nicht wahr?" fragte Brett. Dean nickte. "Ja, irgendwie schon. Xenia hat vorgeschlagen zu dir zu fahren."
"Ich glaube das war richtig so. Wir haben sonst jeden Todestag von ihr zusammen verbracht." antwortete Brett. "Ich vermisse sie. Sehr. Es ist meine Schuld, dass sie jetzt nicht bei uns ist. Ich hätte mich niemals auf diesen Jackson einlassen dürfen."
"Du wolltest nur das Beste für sie. Hätte Vater damals eine bessere Bezahlung bekommen, wäre vieles anders gelaufen."
"Vater." Bretts Augen verengten sich. "Wenn ich den in die Finger kriege."
"Lass es, Brett. Du weißt wie oft wir schon über dieses Thema gesprochen haben. Es bringt nichts."

Lost & Found (DeanO'Gorman ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt