19.- Verloren

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Ein kalter Hauch streifte meine Wange. Ich biss die Zähne zusammen, bevor ich langsam meine Augen öffnete. Vor mir war alles weiß und ich blinzelte ein paar mal, bis sich das gleißende Licht in Umrisse und Formen verwandelte, die mit jedem Wimpernschlag deutlicher wurden. Ein paar Meter vor mir stand ein kleiner Tisch mit hellgrüner Tischdecke, ein dazu passender Stuhl und an der Wand hing ein Bild. Irgendwo her kannte ich es. Es war eine Frau mit rotem Regenschirm abgebildet. Auf meinem Nachtisch stand ein großer Blumenstrauß aus Margarithen und mein Blick wanderte zu dem offen Fenster und dem Himmel, der von grauen Wolken bedeckt war. Sie sahen ganz weich aus und kleine, feine Tropfen fielen von ihnen auf die saubere Scheibe.
Die große Tür am anderen Ende des Raumes ging auf und zwei Männer kamen herein. "Xenia?" Der Kleinere mit honigblonden Haaren stürmte auf mein Bett zu. In seinen blauen Augen glänzten Tränen. "Sie ist wach!" Der andere Mann, braune Haare und dunkelblaue Jacke, blieb mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck im Türrahmen stehen. "Ich gehe einen Arzt holen!" rief er und verschwand wieder. Der Blonde griff meine Hand und lächelte mir zu. "Was... Warum einen Arzt?" fragte ich. "Wo...wo bin ich?"
Sein Lächeln verschwand. "Du bist im Krankenhaus, Xenia. Brett und du, ihr hattet einen schweren Autounfall und er... Er... Brett ist tot." Er schluckte und eine Tränen rann seine Wange hinunter. Ich runzelte die Stirn. "Wer ist denn Brett? Und was für ein Autounfall?!" Langsam stieg Panik in mir auf. Was zum Teufel machte ich hier und was wollte dieser Typ mir erzählen?! Ich zog meine Hand aus seinem Griff und rutschte etwas von ihm weg. "Xenia, was ist denn los mit dir?"
"Ich kenne dich doch gar nicht!" schrie ich und wäre fast aus meinem Bett gefallen, so sehr wollte ich von ihm weg. Er machte mir Angst. Ich sah in sein Gesicht und wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Denn da war nichts mehr in mir. Ich war verloren.

Auch er wich zurück, stand vom Bett auf und ging rückwärts ein paar Schritte von mir weg, bis er sich mit dem Rücken an den Schrank drückte. In dem Moment ging die Tür auf und ich schreckte hoch. "Miss Rosenmann. Guten Tag." Ein hochgewachsener Typ in weißem Artzkittel und eben so weißen Zähnen lief zu mir. Fast schwarze Haare und dunkle Augen. Er trug eine hellblaue, verwaschene Jeans, die schon kaputt gelaufen war, da sie etwas zu lang war. Er hatte die sicherlich schon seit 20 Jahren und ebenso alte, graue Chucks. Unter seinem Arm hatte er ein Brett geklemmt. Er streckte mir eine Hand hin. "Ich bin Dr Mayer."
Etwas verunsichert nahm ich seine Hand und schüttelte sie kurz. "Können Sie bitte den Mann aus dem Zimmer schicken?" fragte ich leise und warf dem Blonden einen verängstigten Blick zu. Mayer folgte ihm. "Mr O'Gorman, ich denke es ist besser, wenn Sie nachher nochmal rein schauen." Der nickte und lief schnellen Schrittes weg. Mayer nahm auf einem Stuhl neben meinem Bett Platz und zog sein Klemmbrett hervor. "Wie geht es Ihnen?"
"Ich... Ich weiß um erhlich zu sein gar nicht, was los ist. Wo bin ich hier genau?"
"Miss Rosenmann, wir sind im St Elisabeth Krankenhaus in Wellington. Heute ist der 3. Juni, Sonntag." Ich schüttelte mit dem Kopf. "Warum bin ich in Wellington? Ich war doch in London..." Ich begriff gar nichts mehr. Mayer begann auf einem Blatt mitzuschreiben. "Ich muss Ihnen mitteilen, Miss, dass sie offensichtlich an Gedächtnisverlust leiden. Welcher Tag war gestern?" Ich überlegte kurz. Gestern war ich den Buckingham Palace besichtigen. Es war der fünfte Tag, den ich nun in London verbrachte. "Das müsste der 14. Juli 2015 gewesen sein."
"2015?" Mayer zog seine dichten Augenbrauen hoch. "Miss, wir haben bereits 2016. Ein Jahr." Ich schluckte. "Heißt das, ich habe die Erinnerung an ein ganzes Jahr verloren?"
Der Doktor nickte langsam. "Wir müssen jetzt langsam mit Ihnen machen. Sie dürfen sich auf keinen Fall überanstrengen oder versuchen, sich krampfhaft zu erinnern. Das wird nur Rückschläge für Sie in Petto haben. Haben Sie das verstanden?"
"Ja." Meine Stimme war gebrochen und ich sprach sehr leise. Es war mehr ein zartes Flüstern, das meinen Lippen entwich.
"Ihr Name ist Xenia Rosenmann. Sie wurden am 18. April 1989 geboren. Seit drei Monaten leben Sie in der Mosckowitz - Street in Wellington, Neuseeland, in einem Apartment. Ich denke, dass sollte erst mal reichen." Ich nickte ständig; versuchte jedes Wort, dass er sprach in mir aufzunehmen und zu verewiglichen. Ich wollte nichts davon loslassen. Es waren Teile meiner Erinnerung.
Doch schon wenig später begann mein Kopf zu brummen und ich schloss die Augen, da ein Schmerz durch meinen Körper fuhr. Zwar nur kurz, doch sehr stark. "Ist alles in Ordnung, Miss Rosenmann? Ich werde Ihnen ein Schmerzmittel verabreichen lassen."
"Geht schon." wank ich ab. Mayer stand auf und atmete laut aus. "Lassen Sie sich Zeit. Morgen früh werden wir weitere Untersuchungen durchführen. Ich bin zuversichtlich." Ganz so überzeugend klang er nicht, was meinen Puls ansteigen ließ. "Gleich gibt es Abendessen." meinte er und ging zu dem Fenster, um es zu schließen. Obwohl nun kein frischer Wind mehr durch das Zimmer wehte, war mir kalt. "Ich schaue morgen noch mal rein." Er drehte sich um, doch ich rief ihn zurück. "Dr Mayer!"
"Hm?"
"Könnten Sie vielleicht den zwei Männern sagen, dass sie nicht zu mir kommen sollen."
"Natürlich." Kurz bevor er die Tür schloss, sah er noch mal zu mir. "Nennen Sie mich Christian. Nicht Dr Mayer. Ich werde für Sie da sein, Miss Rosenmann. Sie brauchen keine Angst haben."
"Okay." flüsterte ich und unterdrückte die Tränen in meinen Augen. Kaum war die Tür geschlossen, drehte ich mich zum Fenster und sah hinaus. Die Tränen konnte ich jetzt nicht mehr zurückhalten und wenig liefen sie mein Gesicht hinunter wie die Regentropfen am Fenster. Unaufhörlich.

Lost & Found (DeanO'Gorman ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt