41.- Ein Teil von Mir

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Langsam hob ich meinen Kopf. Sie war nun wirklich gegangen.
So hätte es wohl von Anfang an sein sollen. Seit dem Tag andem ich im Krankhaus meine Augen geöffnet hatte.

Allein. Ich war allein und würde es auch bleiben. Schmerzlich dachte ich an den Tag zurück, als Shay mir versprochen hatte, mich nie wieder zu verlassen. Wie sie mir versprochen hatte, mich niemals allein zu lassen.

Sie war es gewesen, die es jetzt getan hatte. War ich es Schuld? Hätte ich sie aufhalten sollen?

Und was war mit Aidan? Er wusste ebenfalls die ganze Zeit was los war. Er kannte die Wahrheit und hatte diese vor mir verheimlicht.

Was sollte ich jetzt tun? Wem konnte ich jetzt noch vertrauen, wo mich meine engsten Freunde hintergangen hatten? Womit hatte ich das verdient? War der Unfall nicht Bestrafung genug gewesen?
Meine Trauer verwandelte sich langsam in Wut und mit Schwung trat ich gegen den Fuß von Shays Bett.

Dabei fiel mir zum ersten Mal auf, dass auf dem Bett etwas lag.
Hatte sie das etwa vergessen? Mit Tränen in den Augen stand ich auf und sah es mir genauer an.
Tatsächlich lag auf der Decke ein zusammengefaltetes Papier und ein paar trockene Blumen. Ich hob es vorsichtig hoch und setzte mich auf das Bett. Meine Hand zitterte noch immer, als ich das Blatt auseinander faltete. Es war Shays geschwungene Handschrift, die das leicht vergilbte Papier zierte. Ein weiterer Tagebucheintrag.

Freitag, 4.6
Liebes Tagebuch,

Es musste ein alter Eintrag sein. Bestimmt schon zehn Jahre her, seit sie den Stift geführt hatte. Ich fragte mich, warum sie genau diesen Eintrag dabei gehabt hatte. Warum sie genau diesen mir hinterlassen hatte.

Ich habe endlich das Gefühl, dass es wieder Sommer wird. Und das nicht, weil es warm ist oder weil die Sonne scheint. Sondern weil mit Xenia Sommer ist. Wenn ich mit ihr zusammen bin, ist immer Sommer. Mit ihr habe ich so viel Spaß. Es ist echt unglaublich, dass eine Freundin mich so glücklich machen kann.
Ich habe es ihr noch nicht gesagt, aber sie ist die wichtigste Person in meinem Leben. Niemand bedeutet mir mehr, als sie.

Ich legte das Blatt kurz zur Seite und schloss die Augen, da neue Tränen sich ihren Weg meine Wangen hinunter bahnten. Shays Eltern hatten sich getrennt und sie hatte bei ihrer Mutter gelebt, die sich mehr auf ihre Arbeit konzentriert hatte, als auf ihre Tochter.

Ich versuche immer zu lachen. Den ganzen Tag. Leute auch glücklich zu machen, weil ich weiß wie es sich anfühlt, wenn man traurig ist.
Aber wenn ich mit Xenia zusammen bin, dann muss ich nicht versuchen zu lachen. Dann lache ich. Und dann ist mein Lachen echt.
Ich hoffe, dass das für immer so bleiben wird. Ich weiß nämlich nicht, was ich ohne sie machen soll.

Wir waren heute unten am Fluss und haben Blumen gepflückt und daraus Ketten und so einen Kram gemacht. Ich glaube die Blumen werde ich mein ganzes Leben aufheben. Damit ich mich mein ganzes Leben daran erinnern kann, das ich die beste Freundin auf der ganzen Welt habe. Damit ich niemals vergesse, was sie mir alles gegeben hat und wie viel Spaß wir hatten. Wie schön das Leben mit ihr ist. Obwohl sie mehr ist, als nur meine Freundin. Sie ist meine Schwester. Und Schwestern bleiben doch auch für immer zusammen, oder?
"Oh Gott." Ein Stich in meinem Herzen.
Als würde es nicht schon genug schmerzen. Meine Finger fuhren ganz sanft über die getrockneten Blüten, die auf meinem Schoß lagen. Es waren die Blumen vom Fluss.

Das hatte sie mir also hinterlassen. Eine wunderschöne, glückliche Erinnerung.
Vielleicht hatte ihr früheres Ich ja Recht gehabt. Schwestern würden für immer zusammen bleiben.

Sie würde für immer ein Teil von mir bleiben.

Ich atmete tief durch und ging in die Küche, um ein kaltes Glas Wasser zu trinken. Die letzten zwei Stunden musste ich sacken lassen.
Draußen war es mittlerweile dunkel geworden und ich saß am offenen Fenster am Küchentisch und starrte in die Stadt. Niemand schien dort zu sein. Die ganze Welt schien verlassen zu sein.
Eine Gänsehaut überzog meine Haut, doch das war mir egal.
Mir war sowieso schon zu kalt.
Und dagegen konnte ich nichts tun. Diese Kälte war in mir gefangen.
-
Ich war fast die ganze Nacht wach gewesen und hatte über Shay und mich gegrübelt. Ob ich sie nicht einfach anrufen sollte und sie beten, zurück zu kommen. Gegen zwei Uhr hatte ich ihre Nummer sogar gewählt, es jedoch nicht geschafft auf den Hörer zu drücken. Etwas hielt mich davon ab.
Die Enttäuschung saß zu tief. Zu fest verankert war der Schmerz, den sie ausgelöst hatte.
Den Tagebucheintrag hatte ich gefühlte hunderte Male gelesen und konnte einfach nicht glauben, dass das Mädchen, das diese Sachen einmal geschrieben hatte, immer noch das Mädchen war, dass mir mein Glück mit Dean verbieten wollte. Was war nur schief gegangen? Was hatten wir falsch gemacht?

Lost & Found (DeanO'Gorman ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt