Kapitel 5

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Wenn man auf Dinge wartete, die einem eine Freude machten, dann verging die Zeit überhaupt nicht. Waren es jedoch Dinge, deren Kommen man lieber in weite ferne rücken würde, so rasten sie nur so heran. Zumindest hatte ich genau dieses Gefühl beim Beginn der 75. Hungerspiele.

Die Trainingstage verflogen und schon stand das Interview an. Wieder saßen wir alle zusammen vor dem Fernseher, wobei es mir schlimmer vorkam, als bei der Zusammenfassung der Ernten. Finnick dort jetzt sehen zu müssen fühlte sich so schmerzlich an, einfach weil ich nicht wusste, ob es das letzte Mal sein würde, sollte er das Füllhorn nicht überleben.

Ich schüttelte den Kopf und verdrückte die Tränen, die hochkommen wollten. Die Schwäche durfte jetzt nicht durchkommen, nicht vor Annie. Für sie war alles noch viel schlimmer, vor allem da sie selbst schon einmal in dieser Situation gewesen war und wusste, wie sich die Tribute, und eben der Mann den sie liebte, fühlten musste.

Caesar begann die Show des heutigen Abends, doch ich hörte ihm nicht zu. Meine Aufmerksamkeit richtete sich erst auf den Bildschirm, als der erste Tribut, Cashmere aus Distrikt 1, auf der Bühne stand und mit dem ersten Interview begann. Was sie sagte überraschte mich jedoch, da sie deutlich machte, dass sie nicht einverstanden war, wieder in die Spiele zu müssen. Zwar sagte sie das nicht direkt, doch ich glaubte es aus ihren Worten heraus zu hören.

So ging es weiter, außer in Distrikt 2, was mich langsam immer positiver stimmte. Finnick trug ein Gedicht für Annie vor, welches ich gekonnt ausblendete. Stattdessen konzentrierte ich mich auf weitere versteckte Botschaften. Johanna Mason lieferte mir welche, zusammen mit ein paar Beschimpfungen, doch auch die Tribute aus Distrikt 11 griffen leicht den Präsidenten an.

Im Publikum wurde es unruhig, einige begannen zu weinen, andere forderten, dass das Programm geändert wurde. Dann kam Katniss Everdeen auf die Bühne. In einem Brautkleid. Da wurden die Stimmen beinahe doppelt so laut. Auch meine, da ich es unmöglich fand, dass sie das angezogen hatte. Immerhin hatte es das Kapitol ausgewählt und ich hätte ihnen sicher nicht diese Freude gemacht.

„Ja, das war auch mein Favorit.", meinte Sarah und ich schüttelte den Kopf über sie, verkniff mir jedoch jegliches Kommentar. Stattdessen lauschte ich den Worten von Katniss, die jedoch nicht sehr bedeutend waren. Was mich sprachlos werden ließ war etwas anderes.

Irgendwann war sie aufgestanden und hatte das Publikum gefragt, ob sie nicht auch dieses Jahr Cinnas fantastische Arbeit bestaunen wollten. Natürlich jubelten alle sofort und sie begann sich kurz darauf auch schon zu drehen.

Flammen loderten auf und ihr Kleid wurde schwarz, was uns drei aufschreien ließ. Doch ihr ging es gut, sie brannte nicht. Nur ihr Kleid hatte sich verändert und als sie ihre Arme hob sah sie aus, wie ein Spotttölpel. Das Symbol des Widerstandes.

„Cinna! Er hat das geplant, bestimmt!", rief Sarah.

„Vielleicht ist es ein Zeichen an die Rebellen? Dass sie nicht aufhören sollen?", überlegte ich hoffnungsvoll. Daran wollte ich zumindest glauben.

Das Publikum schien das nicht zu erkennen, sie jubelten und staunten über die Künste des Stylisten aus Distrikt 12, ehe sie Katniss von der Bühne verabschiedeten, damit der letzte Tribut sein Interview antreten konnte. Es war Peeta Mellark, der ebenfalls sein Hochzeitsoutfit zu tragen schien.

Kurz machte er noch ein paar Späße mit Caesar, der verzweifelt versuchte die Menge wieder zu beruhigen, ehe der Zeremonienmeister auch schon mit seiner ersten Frage begann.

„Erzählt mal, wie das war, Peeta, als du, nach allem, was du durchgemacht hattest, die Neuigkeit vom Jubel-Jubiläum erfuhrst."

„Es war ein Schock für mich. Eben noch hatte ich Katniss gesehen, so wunderschön in all den Hochzeitskleidern, und im nächsten Augenblick...", antwortete Peeta, doch er brach im Satz ab.

„Da wurde dir klar, dass es niemals eine Hochzeit geben wird?", half ihm Caesar, doch Peeta nahm es nicht an. Stattdessen schwieg er eine Zeit lang, ehe er zu einem Entschluss zu kommen schien.

„Caesar, meinst du, unsere Freunde hier können ein Geheimnis für sich behalten?"

„Geheimnis? Die ganze Welt schaut zu.", schnaubte Sarah und bekam von mir daraufhin einen Stoß in die Seite.

„Da bin ich mir ganz sicher."

„Wir sind bereits verheiratet.", verkündete Peeta.

„Aber... wie ist das möglich?", fragte Caesar und Peeta erklärte ihm, dass sie in Distrikt 12 eine kleine traditionelle Feier abgehalten hatten. Nichts interessantes, doch ich hatte das Gefühl, dass da noch etwas kommen sollte. Glücklicherweise sollte ich damit Recht behalten.

Ich bin froh, dass ihr beide wenigstens ein paar glückliche Monate miteinander hattet.", sagte Caesar, als ich merkte, wie sich Peetas Gesichtsausdruck veränderte.

„Ich bin nicht froh.", sagte er. „Mir wäre es lieber, wir hätten bis zur offiziellen Trauung gewartet."

„Aber selbst eine kurze Zeit ist doch besser als gar nichts, oder?", fragte der andere Mann überrascht.

„Vielleicht würde ich auch so denken, Caesar, wenn das Baby nicht wäre."

Meine Augen weiteten sich, während Sarah der Mund aufklappte.

„Sie ist schwanger?", fragte Annie über den Lärm des Publikums hinweg, während sich Tränen in ihren ebenfalls geweiteten Augen sammelten. Zum Glück nahm Sarah da auch schon ihre Hand.

„Sie müssen die Spiele abbrechen! Das darf doch nicht sein, oder? Sie töten dann zwei Menschen!", rief ich aufgebracht, genauso wie das ganze Publikum. Caesar versuchte sie vergeblich zu beruhigen, während Peeta die Bühne verließ. Er ging zu Katniss und nahm ihre Hand, während sie ihre Finger sofort mit seinen verschränkte. Dann jedoch griff sie nach Chaff, dem Tributen aus Distrikt 11 und plötzlich schien es wie eine Kettenreaktion abzulaufen. Alle Tribute fassten sich an den Händen und zeigten eine Einheit, die mir sofort eine Gänsehaut bereitete.

Das Kleid. Peetas Geständnis. Die Verbundenheit der Tribute. Das alles war ein Aufruf, ein Signal des Widerstandes. Und als nur wenige Minuten später die Sirenen losheulten wusste ich, dass es bis nach Distrikt 4 durchgedrungen war. Und dieses Mal würde ich nicht hier sitzen bleiben. Stattdessen sprang ich ohne ein Wort auf und lief nach draußen.

Ja, ich hatte Finnick ein Versprechen gegeben. Doch Annie war in Sicherheit, ich ließ sie nicht allein zurück. Und ich wollte einfach nicht tatenlos herum sitzen, während andere wieder um ihr Leben kämpften. Und wenn ich nur den Verletzten half. Aber ich wollte meinen Kindern später einmal nicht erzählen müssen, dass ich feige gewesen war. Vor allem hatte ich keine Angst. Auch nicht vor den Gewehren der Friedenswächter.

Elina Green - Wenn Hoffnung alles ist, was bleibt IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt