Kapitel 28

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„Wie ist es in Distrikt 4 so?", flüsterte Tiro und sah mich erwartungsvoll an. Er wollte scheinbar eine Geschichte hören. Eine Geschichte die uns beide wach hielt.

„Schön. Zumindest war es das, bevor die Regeln verschärft, die Maßnahmen gegen die Bewohner verstärkt und Menschen gehängt wurden.", antwortete ich leise.

„So war es bei uns auch.", seufzte er. „Aber das meine ich nicht. Beschreib mir das Meer! Wie fühlt sich Sand an? Schmeckt das Wasser wirklich nach Salz?"

Ich musste bei seinen Fragen lächeln, begann dann aber sie alle zu beantworten. Anschließend stellte ich ihm ein paar Fragen zu seinem Leben und wie es sein konnte, dass er ohne Familie unterwegs war.

„Meine Mutter ist krank und kann nicht mehr laufen. Da mein Vater sie nicht alleine lassen wollte ist er geblieben. Ich aber musste ihnen versprechen zu fliehen, damit ich eine Chance auf ein Leben habe.", begann er zu erzählen. „Lucan kam mit mir. Er war mein Nachbar und bester Freund. Sein Vater ist tot und seine Mutter hat sich den Rebellen angeschlossen, wollte aber nicht dass er kämpft. Er sollte Elise und ihre kleine Schwester in Sicherheit bringen. Sie sind seine Cousinen, weißt du? Er hatte es versprochen und deshalb hat er es getan."

„Warte, Elise hat eine kleine Schwester? Aber wo ist sie dann?", fragte ich nach, auch wenn mir in diesem Moment die Antwort kam. Sie konnte kaum noch am Leben sein, wenn sie nicht hier war.

„Wir waren noch keinen Tag unterwegs, da begannen Mutationen uns zu jagen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch Ero und seine Tochter Annie bei uns. Er hat bei seiner Flucht einem Friedenswächter eine Pistole abnehmen können womit er drei Mutationen erschießen konnte. Eine erwischte dann aber seine Tochter, woraufhin er unvorsichtig geworden ist. Ich weiß nicht mehr was genau passiert ist, es ging alles so schnell, doch am Ende waren alle Mutationen tot. Aber auch Ero, Annie und Emmi.", erzählte er und blickte dann traurig zu Boden. Aus einem Bedürfnis heraus legte ich meine Hand kurz auf seinen Oberschenkel um ihm zu zeigen, wie leid es mir tat. Schnell zog ich meine Hand dann aber auch schon wieder zurück. Ja es war traurig und ja, ich wollte Mitgefühl zeigen, doch die Schulter wäre wohl besser geeignet gewesen. Leider war die außer meiner Reichweite gewesen und jetzt wusste ich nicht, ob ich mich unpassend verhalten hatte. Doch Tiro lächelte und nickte mir dankbar zu.

„Redet Elise deshalb nie?", fragte ich nach einigen Minuten. Seit wir zusammen waren hatte sie kein einziges Wort gesagt. Und sie hatte auch nicht gelächelt oder mir nur zu genickt. Sie hatte sich ohne ein Wort schlafen gelegt und war von uns auch nicht für die Wache eingeteilt worden.

„Sie hat geschrien, als sie Emmi sah. Es war kein schöner Anblick musst du wissen. Seitdem hat sie kein Wort mehr gesprochen.", bestätigte Tiro meine Vermutung.

Ich nickte, danach schwiegen wir wieder eine Weile. Solange bis er erneut das Wort ergriff und mir eine Frage stellte.

„Was ist mit deiner Familie passiert?"

Ich spürte wie sich sofort ein Kloß in meinem Hals bildete. Zu meiner Familie hatten nicht nur meine Eltern gehört sondern auch Finnick, Sarah, Damir und Annie aber auch Darian. Sam gehörte auch irgendwie dazu und sie alle hatte ich zurücklassen müssen. Einige für immer, andere, so hoffte ich, nur vorrübergehend. Trotzdem spürte ich wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.

„Oh tut mir leid! Ich wollte nicht... also... vergiss meine Frage einfach, okay?", stammelte Tiro sofort, doch ich schüttelte den Kopf. Er war so ehrlich und offen zu mir gewesen, da wäre es ungerecht gegenüber ihm gewesen, wenn ich geschwiegen hätte. Außerdem musste ich einfach mal darüber sprechen und deshalb erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Am Ende legte er seine Hand auf meinen Oberschenkel.

Ich lächelte ihn nun an und beschloss den Jungen zu mögen. Auch wenn ich ihn kaum kannte und auch wenn ich nicht wusste, ob ich ihm vertrauen konnte. Und genau als ich diesen Entschluss traf, knurrte etwas in unserer Nähe.

Tiro und sprangen gleichzeitig auf und blickten uns um, wobei er sein Messer fest umklammert hielt. Sofort griff ich nach meinem Bogen. Ich hätte mich niemals auf sie einlassen dürfen! Bestimmt waren ihnen die Mutationen gefolgt und sie hatten sie dadurch direkt zu uns gebracht!

„Siehst du etwas?", fragte er mich, während er mit dem Fuß gegen Lucan trat. Der setzte sich verwirrt auf, doch als er uns sah war er sofort hellwach. Er weckte die anderen und alle stellten wir uns in einem Kreis zusammen. Bereit uns zu verteidigen.

Erneut ertönte das Knurren, dieses Mal noch näher, was Elise wimmern ließ. Lucan schob sie daraufhin in unsere Mitte, was vermutlich auch besser so war. Sie stellte unsere Schwachstelle dar und die Kreatur, was immer es auch war, würde uns so leichter angreifen können.

„Ich glaube das sind die Dinger, die uns schon mal angegriffen haben.", vermutete Tiro und entsetzt sah ich ihn an. Ich hatte Recht, sie hatten sie hierher geführt. Und wenn es dieselben Dinger waren dann hatten wir kaum eine Chance. Nicht ohne ein Leben einbüßen zu müssen.

Ich zog einen Pfeil aus meinem Köcher und spannte dann meinen Bogen, während ich weiterhin die Gegend mit meinen Augen absuchte. Es dauerte nicht lange und mein Blick traf auf zwei rotglühende Augen. Schnell schoss ich ab, da ich gar nicht erst wissen wollte zu wem sie gehörten. Ein kreischen war zu hören, danach ein dumpfer Aufprall.

„Du hast es getroffen!", rief Kila, die ihr Schwert erhoben hatte. Im nächsten Moment kam es auch schon zum Einsatz und etwas das aussah wie eine überdimensionale Ratte glitt tot zu Boden.

„Leute, ich habe eine gute Nachricht.", meinte da Tiro plötzlich.

„Was? War das die letzte?", fragte ich sofort.

„Nein, aber es sind nicht die Viecher, die uns schon mal angegriffen haben.", erklärte er.

„Und warum habe ich das Gefühl, dass gleich noch die schlechte Nachricht kommt?", wollte Lucan wissen und griff nach ein paar großen Steinen am Boden.

„Es sind keine Echsen mit rasiermesserscharfen Zähnen. Aber die schlechte Nachricht ist", begann Tiro dann wirklich, „dass da noch fünf solche Augenpaare leuchten."

Elina Green - Wenn Hoffnung alles ist, was bleibt IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt