Kapitel 6

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Die Straßen waren überraschend voll, was ein Vorankommen nicht gerade einfach machte. Doch ich hatte den Vorteil, dass ich in letzter Zeit viel trainiert hatte. So konnte ich mich geschickt durch die Menge schieben und fiel auch nicht gleich um, wenn ich hart angerempelt wurde. Den Überblick konnte ich dabei jedoch nicht behalten, weshalb ich beschloss mir genau den zu verschaffen. Am Ende rannte ich sonst noch direkt in den Gewehrlauf eines Friedenswächters ohne auch nur einmal den Gedanken gehabt zu haben, etwas zutun.

Ich schob mich in eine Gasse, als die ersten Schüsse ertönten. Dieses Mal folgte jedoch kurz darauf noch eine Erschütterung, die ich nicht sicher zuordnen konnte, weshalb ich mir wie damals mit Finnick ein Gebäude suchte, von dem aus ich einen guten Überblick bekommen würde. Klar hatte ich eine Vermutung, was der Knall und die Erschütterung bedeuten konnte, doch ich wollte einfach nicht daran glauben.

Ich fand ein ziemlich hohes Haus, dessen Türen offen standen und ging einfach hinein. Es war bewohnt, jedoch scheinbar schnell verlassen worden. Mir war das egal, ich wollte nur zu einem der oberen Fenster gelangen. Es war nicht schwer und ich erreichte eines, von dem aus ich ziemlich viel erkennen konnte. Dass ich dabei in einem Kinderzimmer stand ignorierte ich. Ich wollte nicht wissen, was mit dieser Familie passiert war.

Unten rannten immer noch Menschen umher, in ihren Händen hatten sie Waffen. Das merkwürdige jedoch war, dass sie keine weißen Uniformen trugen. Friedenswächter waren zwar auch hier und hielten ihre Gewehre, doch auch die Bürger aus Distrikt 4 mussten nun an Waffen gekommen sein. Der Rebell den ich vor kurzem gesprochen hatte, würde sicherlich im Grabe grinsen. Endlich waren wir nicht mehr so unterlegen.

Rauch stieg an mehreren Stellen auf, mehr konnte ich jedoch nicht erkennen, weshalb ich den Raum wieder verließ und nach unten rannte. Anschließend schloss ich mich wieder den Strom der Menge an, doch leider musste ich feststellen, dass ich nicht wirklich etwas tun konnte. Nicht so unvorbereitet und ziellos umher rennend. Unnütz wollte ich dennoch nicht bleiben, weshalb ich mich auf die Suche nach verletzten machte. Lange brauchte ich dafür nicht zu suchen.

"Hallo, ich bin Elina. Wo wurdest du getroffen?", brüllte ich über den Lärm hinweg einen Jungen an, der etwa mein Alter haben musste. Er lehnte mit schmerzverzerrtem Gesicht an der Wand und hielt sein Bein. Seine Hose war blutdurchtränkt.

Eigentlich war meine Frage da überflüssig, doch ich wollte wissen, ob es die Einzige Verletzung war.

"Oberschenkel. Ich kann nicht mehr laufen.", antwortete er und sah mich an. "Ich bin Pius."

"Ich werde dir helfen, in Ordnung? Versuch aufzustehen und dich bei mir abzustützen. Meinst du das geht?"

Pius wirkte nicht sehr zuversichtlich, nickte jedoch trotzdem und hievte sich hoch, auch wenn er dabei die Zähne fest zusammenbeißen musste. Doch er schaffte es und stand, weshalb ich schnell an seine Seite schlüpfte, sodass er den Arm um meine Schulter legen konnte. So versuchten wir dann weg zu kommen, was in unserem Tempo nicht gerade einfach war. Vor allem nicht, weil uns immer noch Menschen entgegen kamen. Zu unserem Pech jetzt Friedenswächter.

"Stehen bleiben!", brüllte einer, danach waren auch schon Gewehrläufe auf uns gerichtet, während andere in die Richtung schossen, in der die Flüchtigen oder Rebellen gerannt waren.

"Wir stehen doch.", murmelte ich leise, jedoch unglaublich angespannt und mit nun doch aufkommender Angst.

"Festnehmen.", ordnete der Mann in seiner Uniform nun an, weshalb ich instinktiv einen Schritt zurück wich.

"Wir sind keine Rebellen. Wir waren nur auf den Weg ins Krankenhaus.", versuchte ich.

"Ihr seid hier, das reicht.", knurrte er und zwei kamen nun auf uns zu.

"Ich wohne da vorne!", versuchte mir Pius zu helfen, der immer schlechter stehen konnte. Langsam wurde er richtig schwer.

"Es sind zwei unbedeutende Kinder. Wir sollten weiter.", drängte ein anderer Friedenswächter. Kurz bekam er den Blick seines Befehlshabers zu spüren, doch scheinbar schien er der Aussage nichts entgegensetzen zu können, weshalb sie uns stehen ließen und ihren Kollegen folgten.

"Verdammt war das knapp.", seufzte ich und traute mich wieder richtig zu atmen. "Du wohnst nicht wirklich hier, oder?"

"Ich wohne am anderen Ende der Stadt.", erwiderte Pius und schmunzelte kurz, ehe sich sein Gesicht wieder schmerzlich verzog.

"Wir sollten weiter.", beschloss ich deshalb und er nickte, weshalb wir uns wieder auf den Weg machten.

„Wo genau... willst du hin?", presste Pius nach einer Weile hervor. Einer Weile, in der wir nicht wirklich viele Meter hinter uns gelassen hatten.

„Ich ändere gerade den Plan.", teilte ich ihm mit und hielt gleichzeitig nach einem Haus Ausschau. Es brachte nichts, wenn wir noch weiter gingen, wir würden unser Ziel sowieso nicht erreichen. Und ich konnte ihn nicht so einfach auf der Straße liegen lassen. Das einzige was mir also blieb war der Versuch an einem Haus zu klingeln. Vielleicht fand sich jemand der uns half.

Ich half Pius noch zu einer Hauswand zu humpeln, wo er sich anlehnen konnte, während ich zum nächsten Haus lief und gegen die Tür hämmerte.

„Hallo? Ich habe einen Verletzten bei mir, wir brauchen Hilfe.", rief ich, damit die Bewohner sofort wussten, dass ich kein Friedenswächter war. Es half, da sich die Tür kurz darauf öffnete.

Eine ältere Frau streckte den Kopf heraus und fand mit ihrem Blick dann Pius. Sie überlegte nicht lange.

„Bring ihn rein und dann verschwinde. Ich kann hier kein Aufsehen gebrauchen."

Ich nickte und beschloss der alten Frau nicht zu widersprechen. Immerhin half sie Pius, so konnte ich mich wieder auf den Weg machen. Warum sie es tat war mir egal, auch wenn ich eine kleine Vermutung hatte. Sie war alt, kannte vielleicht noch ein Leben vor den Spielen. Vielleicht wollte sie, dass es endlich wieder zu so einem Leben kam. Ein Leben indem man nicht jedes Jahr Angst haben musste, sein Leben oder das seiner Kinder zu verlieren.

Ich half Pius, der wieder auf den Boden gesunken war, erneut nach oben und brachte ihn dann zu, wie sie sich vorgestellt hatte, Miss Gason. Ich versprach ihm, morgen mal nach ihm zu sehen, danach verschwand ich brav wieder nach draußen.

Es fühlte sich gut an zu wissen, gerade vielleicht sogar ein Leben gerettet zu haben, weshalb ich sofort lauschte, aus welcher Richtung die Schüsse kamen. Danach rannte ich wieder los.

Elina Green - Wenn Hoffnung alles ist, was bleibt IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt