Kapitel 25

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„Ich führe nicht meinen eigenen Krieg sondern begleiche nur alte Rechnungen", behauptete sie, doch erst nach einigen Sekunden in denen sie scheinbar hatte überlegen müssen. Vielleicht brachte es etwas wenn ich sie weiter zum Nachdenken brachte.

„Kriege entstehen doch meist aus lang gehegtem Hass und somit alten Rechnungen. Und wenn du mir etwas antust um Damir zu treffen, wie rächst du dann deinen Bruder? Wird er dadurch wieder lebendig?", redete ich weiter, als mir plötzlich ein weiterer Gedanke kam. "Und Damir ist nicht hier, er würde es also gar nicht erfahren. Außerdem wärst du dann nicht anders als das Kapitol. Auch du würdest gegen jemanden vorgehen, der unschuldig ist, nur um dich an jemanden zu rächen. Wie die Hungerspiele mit den Kindern als Strafe für die Eltern und Menschen der ersten Rebellion."

Diese Worte saßen, da ich zusehen konnte, wie sich ihre Miene immer wieder veränderte. Worte kamen ihr scheinbar keine mehr in den Sinn, da sie bestimmt einige Minuten lang schwieg, ehe sie sich abwandte, durch den Raum lief und mit sich selber sprach.

Diese Frau war beinahe vollkommen zerstört. Zerstört vom Schmerz, dem Kummer und dem Hass. Und von was sie ihr während der Gefangenschaft angetan hatten. Vermutlich hätte ich kein Mitleid haben dürfen, immerhin wollte sie Damir töten und hatte jetzt im Sinn auch mir wegen ihm wehzutun, doch trotzdem verspürte ich es. Sie tat mir leid.

„Meine beste Freundin ist tot. Sie wurde von Friedenswächtern erschossen, als sie Annie Cresta abgeholt haben. Sie stand im Weg, wie so viele andere Menschen auch. Doch das Kapitol nimmt sich was es will, egal welche Hindernisse dort sind und egal ob Menschenleben davon betroffen sind. Jahr für Jahr müssen Kinder sterben, weil sie demonstrieren wollen, wie mächtig sie sind. Das muss aufhören. Wir haben uns ihnen schon viel zu lange gebeugt. Das Kapitol ist unser Feind und wenn wir alle rächen wollen, die sie uns genommen haben, müssen wir uns darauf konzentrieren, endlich frei zu werden. Ein Krieg ist vollkommen ausreichend. Eigentlich sollte es doch gar keinen geben und wir Menschen sollten friedlich zusammenleben können. Doch wie schon vor Jahrhunderten gibt es immer wieder Menschen, die die alleinige Macht haben wollen. Vielleicht schaffen wir es ja dieses Mal, unabhängig zu werden und friedvoll miteinander zu leben. Und das auch zu erhalten.", sprach ich weiter, da ich mich durch meine Worte selbst irgendwie beflügelte. Und ich musste hier raus und Sam finden. Und dann wirklich für die Freiheit kämpfen und nicht nur in meinem Selbstmitleid baden und daran denken, wie einfacher es wäre vielleicht doch zu sterben. Ein dummer Gedanke, der in schwachen Momenten kommt. Meistens merkt man erst zu spät wie gerne man doch leben möchte. In meinem Fall hoffe ich, dass es noch nicht zu spät ist das zu denken.

„Du erinnerst mich aber an ihn. Und er erinnert mich an meinen Bruder. Wie er hat sterben müssen.", brachte sie mühsam hervor.

„Ich werde gehen. Werde an meiner eigenen Front kämpfen. Du an deiner.", schlug ich deshalb schnell vor. „Wie viele Bomben haben sie abgeworfen? Wie viele Menschen sind gestorben? Du bist ihre Anführerin und du wärst es nicht, wenn sie dir nicht vertrauen und an dich glauben würden. Also tu das für die Menschen aus Distrikt 7."

Ihr Blick traf meinen und wieder konnte ich in ihrem Gesicht die unterschiedlichsten Regungen beobachten. Sie dachte erneut nach, überlegte vermutlich wie wahr meine Worte waren. Irgendwann aber nickte sie und am liebsten hätte ich laut geseufzt. Es wurde nie eine Waffe auf mich gerichtet, doch ihre Worte, ihr Blick und ihre Haltung hatten ausgereicht um mir zu zeigen, wie gefährlich sie war. Wozu sie bereit war. Diese kleine Geste war vermutlich ein halbes Wunder deshalb. Wenn ich Glück hatte, durfte ich mein Leben also noch eine Weile behalten.

„Du wirst den Distrikt verlassen. Heute noch. Der Feind ist das Kapitol.", sagte sie und nun nickte ich.

„Aber ich gehe nicht allein. Ich gehe mit Sam.", forderte ich, wobei sich sofort ein Kloß in meinem Hals bildete. Wieso hatte sie nicht gleich gesagt, dass wir gehen mussten? Sie musste doch wissen, dass wir uns nicht trennen würden. Wieso also hatte sie den Satz so formuliert?

„Gegen ihn habe ich nichts. Er ist ein guter Kämpfer denke ich und zu vielem bereit, um die Freiheit der Distrikte durchzusetzen. Ich werde ihn also nicht zum Gehen zwingen, außer er entscheidet sich aus freien Stücken dazu.", erwiderte sie und nun seufzte ich doch laut, vor Erleichterung.

„Wo ist er?"

„Drei Zimmer weiter.", sagte sie und kam dann näher, wobei mein Herz sofort anfing schneller zu schlagen. Diese Frau machte mir eindeutig Angst, doch sie kam nur um den Gurt um meine Hüfte zu lösen. Schnell zog ich mir noch den Schlauch aus dem Arm ehe sie auch noch danach greifen konnte und stand dann auf, wobei die ersten Schritte doch noch sehr wacklig waren. Trotzdem schaffte ich es irgendwie in das Zimmer, in dem Sam lag. Auch aus seinem Arm ragte ein Schlauch, doch im Gegenteil zu mir hatte er einen dicken Verband um seine Brust. Irgendetwas musste ihn bei der Explosion verletzt haben.

„Sam?", flüsterte ich leise und mit unglaublicher Sorge in der Stimme. Trotzdem hatte er mich gehört und öffnete langsam seine Augen. Als er mich erkannte breitete sich sofort ein Lächeln in seinem Gesicht aus.

„Elina! Dir geht es gut! Ich hatte mir solche Sorgen gemacht, sie wollten mir nicht sagen wie es dir geht oder wo du bist.", rief er und versuchte sich aufzusetzen, doch sofort zwang in der Schmerz wieder zurück.

Ich spürte wie mir heiß und dann wieder eiskalt wurde und ich musste ein paar Mal nach Luft schnappen, als ich die Situation erfasste. Er würde nicht weg können. Nicht jetzt und auch nicht in ein paar Stunden. Nicht mit dieser Verletzung, die sich ohne Medikamente und ärztlicher Versorgung bestimmt entzünden würde. Wenn ich sein Leben also nicht riskieren wollte, würde ich ohne ihn gehen müssen.

Elina Green - Wenn Hoffnung alles ist, was bleibt IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt