Kapitel 18

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Ich setzte einen Fuß vor den anderen und hatte dennoch das Gefühl, nicht voran zu kommen. Schreie waren um mich herum zu hören und wechselten sich mit dem lauten Klang von Schüssen ab. Flammen loderten aus einigen Häusern empor doch ich wagte es nicht genauer hin zu blicken. Ich hatte Angst, dass ich vielleicht die Personen kannte, die dort wohnten.

„Gleich haben wir es geschafft.", brüllte mir Sam über den Lärm hinweg zu, doch ich war nicht fähig zu antworten. Vielleicht hatte ich nicht nur meine beste Freundin verloren, sondern auch meine Stimme. Ich hatte wirklich auf ganzer Linie versagt.

Meine Eltern waren tot, Sarah ebenfalls. Annie war entführt worden und was mit Darian passiert war stand in den Sternen. Finnick würde so enttäuscht von mir sein, wenn er zurück nach Distrikt 4 kam. Abrupt blieb ich stehen.

„Ich kann nicht gehen.", krächzte ich. Meine Stimme hatte ich also noch nicht verloren.

„Was? Natürlich kannst du!", antwortete Sam sofort, ehe er mich anschließend gleich weiterziehen wollte. Doch ich stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen und schaffte es damit wirklich ihn aufzuhalten.

„Nein. Finnick kommt zurück. Zusammen mit Damir. Ich kann da nicht einfach weg sein. Sie werden mich suchen und ich muss ihnen doch erklären, warum Annie weg und Sarah tot ist.", erklärte ich ihm und Tränen schossen erneut in meine Augen.

„Finnick kommt nicht zurück.", behauptete Sam ruhig, was mein Herz sofort einen Schlag aussetzen ließ. Finnick konnte nicht auch tot sein!

„Was? Nein! Finnick lebt. Und er kommt. Er kommt zurück. Und ich muss dann hier sein. Er wird sich sorgen, er wird Annie suchen, ich muss hier sein.", stammelte ich verzweifelt und versuchte mich loszureißen. Doch sein Griff war zu fest.

„Er lebt Elina, aber er wird nicht zurück nach Distrikt 4 kommen! Sie haben ihn aus der Arena rausgeholt, er konnte fliehen! Zusammen mit der Everdeen und Beetee. Deshalb wurden wir ja losgeschickt, um Annie zu holen. Weil Finnick auf den Weg nach Distrikt 13 ist. Sie brauchen ein Druckmittel."

„Distrikt 13?", fragte ich verwirrt und blickte ihn an. Vielleicht verlor nicht ich den Verstand, sondern er. Distrikt 13 gab es nicht mehr, er wurde während des Krieges vollkommen zerstört.

„Ich werde es dir erklären, aber nicht hier. Lass uns weiter, bitte.", drängte Sam.

„Und was ist mit Damir?"

„Das weiß ich nicht. Aber wir werden es herausfinden und ihn dann auch nach Distrikt 13 holen. Irgendwie schaffen wir das, doch zuerst müssen wir selbst dorthin."

Distrikt 13. Finnick. Damir würden wir nachholen.

Ich nickte, woraufhin er erleichtert seufzte und mir einen Kuss auf die Stirn drückte. Danach rannten wir weiter, doch er zog mich mehr mit, als dass ich selbst lief.

Wir kamen nicht wirklich schnell voran, da wir uns immer wieder in Gassen verstecken mussten, um nicht von irgendwelchen Friedenswächter entdeckt zu werden. Wie wir es dann zum Strand schafften wusste ich nicht, doch irgendwann hatte ich Sand unter meinen Stiefeln.

Sam zog mich zu einem Felsen, wo er plötzlich einen Rucksack sowie zwei Pistolen und ein weiteres Gewehr hervorzog. Anschließend reichte er mir einen Bogen und einen Köcher voller Pfeile, was ich nur anstarren konnte.

„Was soll ich damit?", fragte ich verwirrt, als er mir auch noch einen Pistole um die Hüfte schnallte.

„Du kannst nicht mit einer Pistole umgehen. Deshalb ist die nur für den Notfall. Mit Pfeil und Bogen bist du allerdings richtig gut und damit lässt es sich viel besser, leichter und vor allem leiser jagen als mit meinem Gewehr.", erklärte er mir und legte mir auch das um, nachdem ich keine Anstalten machte, es zutun.

Ich und jagen. Gut, dass Damir das gerade nicht hören konnte.

„Wo soll ich denn was jagen?", fragte ich und blickte auf das Meer, wo die Schwanzflossen der Mutationen gefährlich im Mondschein schimmerten.

„Im Wald natürlich. Jetzt komm.", sagte er und nahm meine Hand wieder in seine. Danach rannten wir weiter.

Ich hatte keine Ahnung wohin wir nun liefen, doch ich traute mich auch nicht zu fragen. Nicht da nun Schüsse direkt hinter uns zu hören waren und Schreie jetzt auch den Strand erfüllten. Schmerzerfüllte Schreie, zusammen mit dem Geräuschen, die eindeutig aus dem Meer kamen.

Ich warf einen Blick über meine Schulter und schrie, als ich sah wie Menschen im Wasser schwammen. Mehrere lieferten sich einen Todeskampf mit den Mutationen, der bereits verloren war, als sie das Meer betreten hatten.

„Was tun sie denn da? Sind sie verrückt?", kreischte ich und konnte nicht anders als immer noch auf die Szene zu starren.

„Sie sind verzweifelt und wollen fliehen.", antwortete Sam ausdruckslos.

„Wir sind auch verzweifelt, aber wir gehen nicht ins Wasser, oder?", fragte ich sofort panisch und blickte nun doch wieder auf den Mann der meine Hand so fest hielt, als hinge sein Leben davon ab.

„Nein, wir kennen einen anderen Weg."

Er kannte einen anderen Weg, ich hatte absolut keine Ahnung. Sam jedoch schon, da er immer weiter rannte, bis vor uns der Zaun auftauchte. Der Zaun, der immer unter Strom stand und uns im Distrikt hielt. Genau wie die Mutationen. Und er war auch genauso tödlich.

Wir erreichten ihn und das Summen verkündete, dass er wirklich unter Strom stand. Sackgasse.

„Na los, macht schon.", murmelte Sam ungeduldig und blickte von seiner Uhr über seine Schulter und wieder zurück. Es dauerte noch ungefähr fünf Minuten in denen er diesen Vorgang immer wieder wiederholte, bis jemand sein Drängen erhörte und das Summen mit einem Schlag verstummte.

„Sie haben den Strom abgestellt.", erklärte er mir, ehe er meine Hand losließ und eine Zange aus seinem Rucksack kramte. Anschließend schnitt er uns einfach ein Loch in den Zaun, sodass wir hindurch klettern konnten. Sam wollte dann sofort weiter, doch ich konnte nicht anders als stehen zu bleiben und hinter mich zu blicken.

Ich war tatsächlich außerhalb von Distrikt 4. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich meine Heimat, mein Zuhause, verlassen.

Mein Blick wanderte bei dem Gedanken zum Meer und eine Sehnsucht machte sich in breit. Ich wusste nicht woher das Gefühl plötzlich kam, doch irgendetwas sagte mir, dass ich es vermutlich nie wiedersehen sehen würde.

Elina Green - Wenn Hoffnung alles ist, was bleibt IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt