Forrest/ Wald ( Verzögerter Tumor Teil 3 )

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  PoV GLP


Nachdenklich ging ich durch den Wald und kickte beim Laufen kleine Steinchen vor mir her.
Es war Herbst und die Bäume verloren langsam ihr buntes Kleid. Die Blätter starben ab und segelten um mich herum zu Boden.
Es zeigten sich die ersten kahlen Stellen im undurchdringlichen Blätterdach. Wie bei Dario.
Er lag nun im Krankenhaus, nachdem sich sein Zustand weiter verschlechtert hatte. Das konnte nicht wahr sein, durfte es einfach nicht!
Wütend auf diese ungerechte Welt, trat ich einen weiteren Stein weg und sah zufrieden zu, wie er in einem weiten Bogen davonflog und im Unterholz verschwand.
Normalerweise ging ich nie spazieren, doch heute brauchte ich einen freien Kopf, musste mein Zimmer einfach mal verlassen. Nachdenken.
Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, hatte ich mich bewusst für den Wald entschieden.
Eines von Darios alten Videos hatte er im Wald aufgenommen, ein Infovideo für die Gamescom. Es war uralt und doch etwas besonderes.
Zumindest für mich.
Es war um die Zeit entstanden, als wir uns kennengelernt hatten und obwohl es albern war, fühlte ich mich ihm hier näher.
Ich konnte mir fast vorstellen, wie er mir jetzt entgegenkommen würde, so unbesorgt, wie er immer gewesen war, bevor...


Nun stand ich also vor der Entscheidung. Sollte ich Dario seinen Wunsch erfüllen? Nach Köln fahren, ihn im Krankenhaus besuchen?
Er wusste, wieviel er mir damit abverlangte, also schien es ihm wirklich wichtig zu sein, wenn er mich dennoch darum bat.
Wusste er mehr, als er zugeben wollte? Man sagte ja, dass manche Menschen spürten, wenn es ihre Zeit war...zu gehen.
In Gedanken verloren, setzte ich mich auf eine Bank, ließ das Gespräch noch einmal Revue passieren.
"Manu...Ich- ich habe noch eine Bitte an dich...", hatte er im TS geflüstert, nachdem er mir die neuen Umstände geschildert hatte.
"Was immer du willst", hatte ich sofort gemurmelt. Vielleicht etwas voreilig, doch ich wollte ihm wirklich alles erfüllen, was er sich wünschte, zumindest im finanziellen Bereich.
Doch das war nicht das, was ihm vorschwebte.
"Du...bist mein bester Freund. Seit Jahren. Du...warst-warst immer an meiner Seite-", er schluchzte, fing sich aber wieder und fuhr stockend fort:
"und...ich-ich möchte wenigstens einmal...bevor ich sterbe...meinen besten Freund...umarmt haben. Um mich für alles...zu bedanken."
Ich hatte ihn gehört, wie er zittrig geatmet hatte, viel zu schnell und viel zu flach.
Was hätte ich tun sollen? In diesem Moment war ich völlig überfordert gewesen.
Er verlangte das Unmögliche von mir.
"Dario- das...das ist nicht-nicht so einfach...Lass-Lass mich bitte darüber...darüber nachdenken..."


Nun saß ich also hier, ganze alleine, irgendwo mitten im Wald und dachte darüber nach.
Doch was hielt mich eigentlich davon ab?
Ja, ich hatte Angst vor seiner Ablehnung, vor seinem Anblick, davor, von irgendjemandem erkannt zu werden.
Aber was bedeutete das, im Vergleich zu diesem Herzenswunsch von Dario? Seinem vielleicht letzten Wunsch?
Könnte ich es mir jemals verzeihen, es nicht getan zu haben?
Mit einem Ruck stand ich auf. Ich konnte ihm diesen Wunsch nicht ausschlagen, sonst würde es ich mir niemals verzeihen können.
Zufrieden verließ ich den Wald, der mir geholfen hatte, die einzig richtige Entscheidung zu treffen.
Ich würde nach Köln fahren, würde Dario besuchen und ihm seinen Wunsch erfüllen.
In der Hoffnung, dass es nicht sein letzter war...

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