Hundertzwanzig Mal...

Poison/ Gift ( Kelay Teil 5 )

  PoV Kedos

Seit Tagen hatte ich fast nichts getan, außer auf meinem Bett zu liegen, und die Wand anzustarren.
Zumindestens glaubte ich, dass es Tage waren, ich hatte kein Zeitgefühl mehr...
Immer wieder konnte ich nur an zwei Dinge denken:
Die Umarmung, die so tröstend, so wunderschön gewesen war, und die Stimme, die alles zerstört hatte.
Die Stimme, die wie Gift in meinem Körper wohnte, und mich beständig zerstörte.
Kurz, für einen winzigen Moment, hatte ich so etwas wie Hoffnung gespürt,
einen Funken, der sofort verglüht war, und alles wieder in eisige Kälte verwandelt hatte...

Nun kämpfte ich wieder mit mir. Ich wollte ihn wiedersehen, wollte seine Stimme hören, seine Wärme spüren.
Doch ich durfte ihn nicht gefährden, wollte ihn nicht weiter enttäuschen.
Aber vielleicht bestand doch noch Hoffnung...
Mein Therapeut hatte behauptet, dass Dario mich auch wiedersehen wollte.
In meinen Augen war das unglaublich, besonders da sie letzte Begegnung auch eskaliert war...
Sollte ich mich weiter sperren? Oder durfte ich es mir leisten, es noch einmal zu versuchen?
Es hieß, jedes Gift hätte ein Gegengift...
Wenn das stimmte, war Dario das gegen meine Stimme, da war ich mir sicher. Aber würde es reichen?
Schließlich hatte es beim letzten Mal auch nicht funktioniert, zumindest nicht dauerhaft...

Doch irgendetwas hatte sich geändert, seit seinem Besuch. Ich spürte es...
Langsam richtete ich mich auf, ging zu meinem kleinen Kleiderschrank, griff in eine Jackentasche.
Vorsichtig entfaltete ich das kleine Papier, glättete es, las die drei Worte darauf. 'Ich liebe dich'.
Dario hatte es geschrieben, kurz vor dem Vorfall...
Wir hatten Streit gehabt, und er hatte die Notiz ohne mein Wissen dort hineingesteckt.
Erst auf dem Weg in die Anstalt hatte ich es entdeckt und zerknüllt. Nicht vor Wut auf ihn, sondern auf mich.
Auf das, was ich zerstört hatte...
Nun fuhr ich mit dem Finger über jeden einzelnen Buchstaben, stellte mir vor, wie Dario es geschrieben hatte.
Mein Herz schlug schneller, und eine unglaubliche Trauer und Sehnsucht überrollte mich.
Und dann, wie konnte es anders sein, meldete sich die Stimme wieder...

Ich wachte auf, blinzelte verwirrt. Wo war ich?
"Ah, sehr gut, sie sind wieder wach".
Mein Therapeut beugte sich kurz über mich, dann machte er sich ein paar Notizen.
"Wieso bin ich hier?", fragte ich mit heiserer Stimme, und sah mich um.
Ich lag auf einer Liege, in seinem Büro.
"Sie hatten wieder einen Anfall. Einen schlimmeren als die letzten Male, würde ich fast meinen...
Wir mussten sie ruhigstellen, und haben sie sicherheitshalber hierher gebracht, damit ich sie beobachten kann."
Prüfend musterte er mich, dann sprach er weiter.
"Wissen sie, eigentlich ist das ein gutes Zeichen. Sie beginnen, sich intensiver gegen die Stimme zu wehren.
Ich denke, ein erneuter Versuch des Kontakts wäre gut.
Diesmal mit ihrem Wissen, und in Anwesenheit von Sicherheitspersonal. Was sagen sie dazu?"
Ich blinzelte, dachte nach. Alles in mir schrie 'JA', doch ich zögerte.
Konnte ich das Dario wirklich zumuten?!

"Ihr Freund wäre bestimmt sehr glücklich darüber. Er ruft wieder jeden Tag an, und fragt nach ihnen",
bemerkte mein Gegenüber, als hätte er meine Gedanken erraten. Hatte er vermutlich auch...
Ich schluckte. "Na gut", flüsterte ich, schaute auf den Boden.
"Gut, dann wäre das geklärt. Ich werde ihn anrufen, und einen Termin ausmachen.
Bedingung ist allerdings, dass sie bis dahin wieder regelmäßig an den Therapieterminen teilnehmen.
Dann bereiten wir sie diesmal ordentlich auf den Kontakt vor."
Ich nickte nur schwach. Und spürte etwas in meinem Magen, was lange nicht mehr dort gewesen war.
Nervosität... Vorfreude...
Ich würde Dario wiedersehen. Es gab Hoffnung!
Vielleicht könnten wir doch gegen das Gift in meinem Körper ankommen, vielleicht war doch noch nicht alles verseucht...
Ich hoffte es so sehr...