Familie kann man sich nicht aussuchen

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Ist jemand daran interessiert mir ein süßes Cover für dieses Buch zu basteln? Irgendwas mit Regenbögen?

Wenn ja, könnt ihr mir es gern bei kik schicken. Ich heiße da henny301296.

Ich würde mich freuen. c:

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Ich habe die Fahrt nach Hause dazu benötigt, um mich abzuregen, nicht in Tränen auszubrechen oder jemanden umzubringen.

Das hört sich vielleicht etwas dramatisch an, aber ich kann mit absoluter Gewissheit sagen, dass ich mich genauso gefühlt habe. Als könnt ich eine Orange mit bloßer Hand zerquetscht und ein Fenster einschlagen. Und das gleichzeitig.

Ich fühle mich oft so und sehr oft ist diese Wut nahezu unbegründet oder ausgelöst durch die kleinste, lächerlichste Kleinigkeit.

Vielleicht habe ich einfach nur einen Schaden, aber heute habe ich einen Grund dazu wütend zu sein.

Meine Oma ist 70 geworden und sie hat das Ganze in einer Gaststätte groß gefeiert. Das heißt, dass meine 10-jährige Cousine, mein 14-jähriger Cousin und ich den Altersdurchschnitt herunter gezogen haben.

Es waren nämlich wie zu erwarten eine Menge Renter da.

Es ist einfach so, dass ich mit alten Menschen Homophobie verbinde und schon das hat mich leicht angekotzt. Ich weiß nicht, es ist einfach so.

Ich saß in der Nähe meiner Mutter und einer Nachbarin meiner Großeltern und als die Vorspeise kam, war ich echt wütend. Das hatte allerdings einen anderen Grund. Und zwar bin ich Gluten intolerant. Oder eher gesagt, reagiere ich allergisch auf Weizenprodukte. (Die sind fast überall drin, das nervt, lol.)

Jedenfalls hat meine Oma netterweise dem Koch vorher, Wochen vorher, gesagt, dass ich kein Gluten abkann.

Doch dann sitze ich da vor der Suppe und ich weiß, dass ich das nicht essen kann, weil in den Klösen der Hochzeitssuppe ein gluten reiches Bindemittel ist.

Also bin ich zickig. Ich bin sehr meinungsstark und kann meistens meine Klappe nicht halten, also habe ich mich wie ein divahaftes Kleinkind mit einer Fresse hingesetzt, die mir jetzt, wenn ich darüber nachdenke, mehr als peinlich ist. Es war halt einfach frustrierend zu sehen, wie alle die leckere Suppe essen können und ich nicht. Außerdem hatte mir meine Großmutter vor dem Essen bereits gesagt, dass das einzige Gluten freie am Hauptgang die Kartoffeln seien.

Also bitche ich so vor mich hin, bis meine Mutter aufsteht, um sich ihr Antibiokitkum zu holen, welches sie nimmt, da sie vor kurzem irgend so einen Virus oder so hatte, ich hab keinen Plan von Medizin, lol.

Ich sitze weiterhin schmollend vor meinem leeren Teller, nerve meine Cousine und meinen Cousin damit, dass ich wütend und frustriert bin.

Schließlich kommt meine Mutter wieder und kurz darauf steht eine Spagelcremesuppe vor mir. Okay, es gibt besseres, aber yeah, Essen!

Meine Mutter sagt mir dann beiläufig, sie sei in die Küche gegangen, um dem Koch zu sagen, dass ich kein Gluten vertrage, woraufhin dieser die Suppe warm gemacht hätte.

Ich sehe sie an und sage sowas wie: "Du bist für mich extra in die Küche gegangen? Danke." Ich wusste nämlich, dass meine Mutter das eigentlich nicht machen wollte, da der Koch genug zu tun hatte mit einem 70. Geburtstag und zwei Konfirmationen an einem Tag.

Meine Mutter nickt nur und isst und die Nachbarin sieht mein erstauntes Gesicht und vermiest mir wieder die Stimmung, indem sie meint: "Das ist so als würde sich dein Freund für dich prügeln."

Ja, ich habe die ganze Suppenscheiße nur wegen dieses Satzes erzählt.

Mein Freund. Ich hätte fast in meine Suppe gekotzt. Ich werde nie einen Freund haben, aber das weiß die Nachbarin meiner Oma ja nicht.

Ein bisschen von der Suppe platscht auf das Polster meines Stuhls, ich wische es mit meiner Serviette weg, während ich halb laut murmele: "Dazu wird es nie kommen."

Und ja, ich hätte gewollt, dass sie gefragt hätte wieso ich das sage, aber sie aß nur weiter und ich saß da mit den Worten "dein Freund" im Kopf.

Wirklich, ich habe mir diesen Morgen mal wieder vorgenommen mich vor meiner Verwandtschaft, wenigstens vor ein paar zu outen, aber der Mut verließ mich und wurde durch die innrere Wut ersetzt.

Beim Hauptgang, der glücklicherweise nicht nur aus Kartoffeln bestand, da der Koch es jetzt gerafft hatte, kam der nächste "Knüller".

Mein Vater erzählte meiner Mutter etwas und obwohl ich wirklich sehr gute Ohren habe, konnte ich es nicht verstehen. Ich sah nur das erschrockende Gesicht meiner Mutter und ihren schüttelnden Kopf.

Ich fragte nach, neugierig wie ich nun mal bin, was denn los sei und dann erzählte mir mein Vater: "Ich habe deiner Mutter gerade erzählt, dass Bernd jetzt mit einem jungen Mann zusammen wohnt. Also in einer WG, aber ich habe ihr aus Spaß gesagt, er hätte jetzt genug von Frauen und sie hat gleich Nein, nein gesagt." Er lachte.

Ich schaute ihn nur mit einer Grimasse an und sagte mit der besten arroganten und zickigen Stimme, die mir gegeben ist: "Und was wäre jetzt so schlimm, wenn er schwul ist? Ich finde solche Reaktionen mehr als widerwertig und bescheuert."

Ich mache das immer. Wenn mein Vater etwas homophobes sagt, mache ich hin gleich dafür an.

Mein Vater müsste düster im Unterbewusstsein noch wissen, dass ich lesbisch bin. Und er weiß auch, dass ich Larry Shipper bin und somit auch mit Schwulen mehr als gar kein Problem habe.

Den Rest des Essens tratsche ich mit meiner Cousine und meinem Cousin, wir spielten mit Kronkorken (uns war furchtbar langweilig), ich unterhielt mich mit der Nachbarin, die Grundschullehrerin ist (was ich ja auch werden will) und ich glaube ich habe zwanzig Mal die Uhrzeit gecheckt.

Es wurde dann nachmittags und es gab Kuchen. (Für mich allerdings Gluten freie Muffins, die mir meine Oma gebacken hat.)

Schließlich wollte ich los und sah, dass mein Vater an einem anderen Tischende saß. Als ich zu ihm ging, hörte ich Gesprächsfetzen.

Irgendwas wie: "Dann ist er ja doch nicht von der süßen Seite!" und dann lachten alle.

Meine Oma sagt das immer. Weil sie quasi Angst vor den Worten schwul und homosexuell zu haben scheint, sagt sie, wenn sie sagen will, dass jemand schwul ist stattdessen "süß".

Zu sagen, dass ich das hasse, ist absolut untertrieben.

Mein Vater lachte dann natürlich von allem am lautesten und ich sagte ihm zickig, er solle sich beeilen, denn wir wollten los.

Ich war so unglaublich wütend und frustriert und kurz vor dem Heulen. Ich bin lesbisch und es sollte kein Geheimnis sein, aber meine scheiß Verwandten machen es zu einem. Wenn jemand etwas homophobes sagt, bin ich die einzige, die dagegen spricht und das ist fies und sollte nicht so sein. Wieso meinen Heteros immer wieder sich über uns lustig zu machen?! Und wieso hacken sie so oft auf schwulen Männern herum?! Können die nicht einmal was gegen Lesben sagen, damit ich in den Raum schreien kann, dass ich auf Mädchen stehe? Ich finde den Mut nicht und als ich im Auto saß, habe ich gezittert und das nicht nur vor Kälte.

Ich bin wütend auf mich selbst. Weil jeder Zeitpunkt der Falsche zu sein scheint und weil ich auf der einen Seite wissen will, wie sie reagieren, auf der anderen Seite aber die Gefahr besteht, sie ins Gesicht zu boxen, wenn es auch nur einen kleinen negativen Funken hat.

Fazit: Familien kann man sich nicht aussuchen und ich weiß, dass es weitaus schlimmere Familien gibt als meine, aber ich hasse meine Situation trotzdem und wollte euch mit meinem Tag voll jammern.

How To Come To Terms With YourselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt