Als ich klein war, bin ich das womöglich unaufgeklärteste Kind gewesen. Ich wusste nicht was Küssen ist, was Liebe ist und das 'Jungfrau' nicht nur ein Sternzeichen ist. Das man etwas anderes als heterosexuell sein kann, davon hatte ich nichts geahnt. Irgendwann wurde ich dann durch den Biologieunterricht in der Schule aufgeklärt. Aber über Homosexualität wurde nie erzählt. Dann kamen immer so kleine Beziehungen, obwohl man das nicht wirklich so nennen kann. Die Grundschule war zuende. Jetzt hieß es, selbstständiger zu sein.
Der Anfang war nicht schwer für mich. Ich hatte durchschnittliche Noten und war nicht unbeliebt. Dann ging es los. Ich weiß nicht, wie es anfing. Ich wurde gemobbt. Ich war eben nicht die schlankste oder sportlichste und ich war oft nicht in der Schule. Es ging einfach immer weiter. Ich litt unter den abfälligen Kommentaren und den Tritten, die ich bekam. Die Lehrer schienen nichts zu merken. Ich aß kaum noch und fing an, mich zu ritzen. Doch es hörte nicht auf.
In der sechsten Klasse hatte ich dann meine erste richtige Beziehung mit einem Jungen. Wir haben uns nie geküsst oder Händchen gehalten. Es war eher eine sehr gute Freundschaft. Mittlerweile hatte ich mich selbst aufgeklärt und war zu dem Schluss gekommen, dass ich definitiv nicht heterosexuell war. Ich fühlte mich schon immer mehr zu Mädchen hingezogen.
Ich erzählte meinen Eltern, dass ich gemobbt wurde. Es war mitten im Schuljahr, deshalb durfte ich nur die Klasse wechseln. Doch nichts hörte auf. Bis ich zwei Monate nicht zur Schule kam, weil ich versucht hatte, mich mit Schlaftabletten und Alkohol umzubringen. Ich war erst 12 Jahre alt. Drei Wochen lag ich im Koma, danach musste ich für fünf Wochen in eine psychiatrische Einrichtung. In der Zeit kam ein Mädchen aus meiner Klasse mich besuchen. Sie kam jeden Tag nach der Schule vorbei. Ich mochte sie wirklich.
Vielleicht hatte ich mich auch ein bisschen in sie verliebt. Als die zwei Monate um waren und ich wieder zur Schule durfte, hatte sie mich in einer Pause mit in den Schulgarten genommen. Sie gestand mir, dass sie sich in mich verliebt hatte. Ich empfand genau so, wie sie. Und sie war mein erster richtiger Kuss. Seit diesem wundervollen Tag, nach so schlimmen Erlebnissen, waren wir zusammen. Und wir sind es immer noch.
Ich könnte nicht glücklicher sein, denn sie sitzt gerade neben mir und klebt Bilder von einem gemeinsamen Urlaub in unser Fotobuch.
Und um das ganze noch ein bisschen kitschig abzurunden: Sie ist das Seil zu meinem Anker.
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How To Come To Terms With Yourself
Non-FictionDu wirst dir bewusst, dass du nicht hetero bist? Oder du weißt es schon? Oder vielleicht bist du einfach neugierig? ** Eine Art Ratgeber für alle, die Angst davor haben, sich einsam fühlen oder sich unsicher sind. ** Auch irgendwie eine Art Tagebuch...