+ Kapitel 1.2: Fallen dir Wunder ein? +

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„Fallen dir Wunder ein? Denk an alles, was du kannst." (Sebastian Hackel – Soll die Welt sich)

Es war gutes Wetter draußen. So wie gestern auch schon. So ein Wetter zum Draußen sein, zum das Leben genießen, zum Sonne tanken. Und das, obwohl es wirklich erst Anfang Februar war und letzte Woche noch ziemlich viel Schnee den Tagesablauf bestimmte.
Mit einem Lächeln auf den Lippen lag mein Blick immer noch auf dem Wasser. Ich liebte es, wenn sich die Sonnenstrahlen auf den wiegenden Wellen brachen und verschiedenste Lichterspiele kreierten. Der Frühling war einfach die beste Jahreszeit!
Eigentlich hatte ich heute eingeplant, den gesamten Tag deprimiert vor meiner Masterarbeit zu sitzen, ganz wichtige Bücher zu wälzen, zu schreiben und mal ein wenig voran zu kommen... Aber als es dann wirklich so weit war, war ich geflohen. Sachen an und rauf aufs Board. Es war genau so wie die letzten Tage gewesen. Und so schnell würde sich das wahrscheinlich auch nicht ändern.
Dennoch hatte ich kein allzu schlechtes Gewissen, hier draußen an der Spree zu sitzen. Ich hatte in den letzten Wochen sowieso viel zu viel Stress gehabt und es tat mir gut, mal nichts zu tun. Einfach nur in der Sonne sitzen, ein wenig Musik hören und hoffen, nicht all zu viel nachdenken zu müssen. Kopfschüttelnd versuchte ich gar nicht erst damit anzufangen und fing an mich umzusehen. Es war für diese Uhrzeit erstaunlich leer, ein paar Jogger liefen vorbei, Mütter mit Kinderwägen, aber wenige Jugendliche. Die einzige Person, die in etwa meiner Altersgruppe entsprach war ... Thea? Jedenfalls sah es ziemlich verdächtig nach der Frau von gestern aus. Sie hatte die Augen geschlossen, Block in der einen, Zeichenkohle in der anderen Hand. Und sie hatte einen Hut über ihrer blonden Zottelmähne, einen riesigen, überdimensionierten, viel zu großen Hut. Es erinnerte mich ein wenig an Frühstück bei Tiffany. Wie hieß die Schauspielerin noch? Audrey Hepburn? Nach so einem Hut sah es jedenfalls aus.
Motivierter stand ich auf. Wenn ich sie schon wieder sah, konnte ich mich auch nochmal vernünftig bedanken. Dafür war ich letztens viel zu perplex gewesen.
„Hey", wollte ich ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken, als ich direkt vor ihr stand, und die junge Frau öffnete die Augen. Ihre eben noch entspannte Miene verdüsterte sich.
„Was willst du?", erwiderte sie und sah mich abwartend an. Sie schien nicht so gut auf mich zu sprechen zu sein. Okay?
„Ich, äh", begann ich ziemlich verwirrt und wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte.
Thea seufzte nur und strich sich ein paar ihrer längeren Strähnen aus dem Gesicht.
„Entschuldige. Aber du bist selbst schuld", murmelte sie leise und versuchte sich wieder ein wenig zu entspannen. Ich hatte sie wohl ziemlich überrumpelt.
„Was habe ich denn getan?", wollte ich so nur wissen und schaute sie einfach nur an. Überfordert. Ich wollte doch nur nett sein, ich wollte mich doch nur bedanken, ich wollte doch nur...
„Ich wusste nicht, dass das halbe Internet zu deinen Freunden gehört. Ist klar", murmelte sie sauer.
„Das verletzt dich?", fragte ich so nur und verstand nicht wirklich, was hier vor sich ging.
„Ich hab gesagt, dass du es deinen Freunden zeigen darfst. Ich möchte nicht, dass bestimmte Werke von mir in der Öffentlichkeit landen, die da nicht hingehören", fing sie an. Innerlich seufzte ich. Das klang ziemlich eingebildet. „Bilder können so viel kaputt machen, einen Ruf zerstören, weil es nicht ins Repertoire des Künstlers passt", Thea versuchte mich anzuschauen, kniff aber ihre Augen zusammen, als die Sonne sie blendete. „Ich hätte es dir wohl deutlicher machen sollen."
Und dann lag kurzes Schweigen über uns. Sie versuchte mich zu mustern, was ihr aufgrund der Sonnenstrahlen nicht so gut gelang. Und ich versuchte ihre Aussage einzufangen und zu verstehen. Doch es gelang mir ebenfalls nicht.
„Also kennst du mich doch?", wechselte ich dann irgendwann das Thema. Letztens hatte sie gesagt, sie würde mich nicht kennen. Also war das wohl auch nur gelogen...
„Ich kenn dich auch nicht. Ein paar meiner Kommilitonen haben mich drauf angesprochen, dass eine Kohlezeichnung von mir auf der Seite von ... wie hießt du gleich? Irgendwas mit Floid", hilflos versuchte sie auf meinen Namen zu kommen.
„LeFloid", warf ich helfend ein und sie nickte.
„Genau, dass meine Zeichnung auf der Seite von LeFloid gepostet wurde. Und seit wann ich mit Kohle zeichnen würde. Das würde ja gar nicht zu mir passen", erklärte sie, zuckte dann aber mit den Schultern. „Aber ist auch egal, dann ist Kohlezeichnung jetzt auch in meinem Repertoire. Ich hätte vielleicht nicht so überreagieren sollen, denn eigentlich kannst du nichts dafür... Aber sag mal, was ist das eigentlich, ‚LeFloid', was stellt das dar? Ich hab nicht genau zugehört, als man mir versucht hatte, das zu erklären, ich war mehr damit beschäftigt, mich in Rage zu denken", grinste sie mich an und legte dann erst mal ihre Zeichensachen beiseite.
„Ich mach Videos, auf YouTube", fasste ich es ziemlich grob zusammen und sie legte den Kopf schief, zog ihren Hut in eine lichtabschirmendere Position.
„Macht es dir viel Spaß?", wollte sie wissen und ich nickte nur. „Es tut mir übrigens wirklich leid, dass ich dich so angemeckert habe, aber seitdem ich hier sitze, habe ich noch nichts zu Papier gebracht", deutete sie auf ihren Block. Tatsächlich. Kein einziger Strich, nichts.
„Seit wann sitzt du denn hier?", kam es mir über die Lippen und ich versuchte mir ein einigermaßen vernünftiges Bild von ihr zu machen. Es war schwer, bei unserer ersten Begegnung war sie so nett und zuvorkommend gewesen, eben ziemlich zickig, und jetzt wieder so gesprächig. Es war verwirrend.
„Ich weiß es nicht genau. Seit 10 Uhr, oder so?", zuckte sie mit den Schultern.
„Das sind fast fünf Stunden?", stellte ich mit einem Blick auf die Uhr erstaunt fest. Es war mittlerweile 14.43 Uhr.
„Echt? Krass. Hat sich nicht so angefühlt. Vielleicht sollte ich für heute aufhören und mal was Vernünftiges machen", lächelte sie und fing an, ihre Sachen wegzuräumen.
„Was ist in deinen Augen was Vernünftiges?"
„Ich sollte vielleicht was trinken. Oder was essen. Vergess ich öfter mal", lachte sie, als sie ihre Tasche schulterte. „Ich bin ziemlich vergesslich, wenn ich male."
„Kann ich dich auf nen Kaffee einladen?", kam es mir dann wie automatisch über die Lippen und überraschte mich selbst ziemlich damit. „So als Widergutmachung für das Bild", setzte ich schnell hinzu und Thea zuckte mit den Schultern.
„Wenn du willst", erwiderte sie und versuchte aufzustehen. Wirklich gelingen tat es ihr nicht, denn sie schwankte leicht, bevor sie sich wieder fing. Sah nicht ganz so gesund aus.
„Memo an mich selbst: Wasser mitnehmen", murmelte sie leise, wahrscheinlich ohne dass ich das mitbekommen sollte, und atmete tief durch. Ich jedoch hatte da meine Flasche schon aus meinem Rucksack gezogen und sie ihr hingehalten. Und ohne ein Wort hatte sie sich das Wasser genommen und einen großen Schluck getrunken. Dann zückte sie ihre Sonnenbrille, setzte sie sich auf und schaute abwartend zu mir.
„Wo lang?", wollte sie wissen und ich deutete mit meinem Kopf in die richtige Richtung. Schweigend liefen wir nebeneinander her.
Sie war eine merkwürdige Person.

Das Blumenmädchen (LeFloid)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt