„You can have my heart, but you're not gonna leave with it." (Nina Nesbitt - Chewing Gum)
Die Tage zogen vorbei. Meine Eltern gewöhnten sich zu sehr an mich und auch wenn das ganz und gar nicht gut war, war es dennoch schön, so viel eingespannt zu werden. Ich hatte meine Probleme auf Pause gesetzt und versuchte mich weiterhin mit der Arbeit abzulenken. Es funktionierte für den Moment, es befreite mich. Und dennoch war es nicht richtig, dass ich mich nicht damit auseinander setzte.
Heute Morgen hatte mir die nervige Rezeptionistin gesagt, dass ich doch ein wenig dankbarer ausschauen sollte. Ich wusste nicht, warum sie immer mit mir reden wollte und warum ihr das Wohl meiner Eltern so am Herzen lag, aber sie hatte mich in eine größere Krise gestürzt, als ich es erwartet hatte.
Dankbar...
Ich sollte dankbar dafür sein, dass ich hier war? Dass ich Zeit mit meinen Eltern verbringen konnte? Dass ich raus gekommen war? Dass ich mich nicht einschließen konnte? Ich sollte dankbar dafür sein, eine Beschäftigung gefunden zu haben, Ablenkung?
Für einen Außenstehenden klang das vielleicht leicht, aber für mich war es genau das Gegenteil. Ich war nicht dankbar. Nicht dankbar dafür, mich selbst für eine gewisse Zeit ins Exil geschickt zu haben. Ich war nicht dankbar dafür, was Florian mir angetan hatte. Ich war nicht dankbar dafür, dass ich gegen Ina verloren hatte. Ich war nicht dankbar dafür, in ein paar Tagen zurück ins Chaos zu müssen. Ich war verdammt nochmal einfach nicht dankbar.
Und da ich nicht dankbar war, hatte ich mich heute auch einfach spontan abgekapselt, war durch die Gegend gefahren, hatte ein wenig gezeichnet und die Natur in mich aufgesogen. Viel abgelenkt hatte es mich nicht, aber ich hatte ein paar schöne Zeichnungen bekommen, ein paar schöne Blumen.
Gerade lief ich den gepflasterten Weg zum Hoteleingang hinauf und hatte geplant, mich den Rest des Tages dankbarer zu zeigen und meiner Mutter weiter unter die Arme zu greifen, doch blieb dann stehen. Da vorne vor dem Eingang stand er, mein Barkeeper, und blickte zu mir. Ein Lächeln zierte seine Lippen und seine Augen sahen mich erwartungsvoll an. Zu erwartungsvoll. Zu interessiert. Einfach viel zu viel.
Panisch ließ ich meinen Blick schweifen und suchte nach einem Ausweg. Ich wollte mich nicht mit ihm auseinander setzen. Ich wollte nicht mit ihm konfrontiert werden. Ich wollte nicht darüber diskutieren, wieso ich mich die letzten Tage nicht blicken lassen hatte.
Ich musste weg.
Zielstrebig lief ich in die komplett andere Richtung.
„Heiße Maschine", stellte ich fest, als ich bei einem jungen Mann und seinem Motorrad stehen blieb, der vor dem Hotel zu warten schien.
„Schneller als sie aussieht", erwiderte er in gebrochenem Englisch und ich nickte nur, kam einen Schritt auf ihn zu.
„Ich muss hier weg", meinte ich dann und sah dem Typen tief in die Augen. Erst realisierte er nicht, was ich von ihm wollte, dann aber warf er mir einen Helm zu und schwang sich auf seine Maschine, ich direkt hinter ihm.
Ich drehte meinem Barkeeper den Rücken zu, konfrontierte mich nicht mit ihm und war lief mal wieder weg. Und ich war dankbar dafür, dass das so gut funktionierte.
+
Ich war viel zu früh. Etwas, was bei mir eher selten vorkam. Aber nun stand ich hier, hatte noch über 20 Minuten Zeit und wusste nichts mit mir anzufangen. Das war doch alles ne scheiß Idee...
‚Ich hab dir gesagt, dass du zu früh los bist. Und du wirst nicht gehen, bis du mit ihr geredet hast!', blinkte eine Nachricht von Frodo auf meinem Handy auf und ich verdrehte die Augen. Er kannte mich wirklich zu gut.
Nervös knetete ich meine Hände und versuchte mich irgendwie abzulenken, doch das war komplett zum Scheitern verurteilt. Ich war zu aufgeregt, ich war viel zu nervös und mir wurde leicht übel. Und als ich sie irgendwann um die Ecke kommen sah, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
All der Sauerstoff in meinen Lungen entwich meinem Körper und ich musste nach Luft schnappen. Mein Herz krampfte sich zusammen und mir wurde schwindelig. Wie lange hatte ich sie nicht mehr gesehen... Sie hatte sich im letzten Jahr vom Äußerlichen nicht verändert, aber ihre Präsenz war eine andere.
Mit festem Schritt kam Ina auf mich zu, nur um dann direkt vor mir zum Stehen zu kommen. Ihre Lippen zierte kein Lächeln und auch sonst wirkte sie viel in sich gekehrter als sonst. Und ich wusste, dass ich daran schuld war.
„Hallo, Flo", meinte sie mit ihrer leisen, beruhigenden Stimme und sah mich einfach nur an.
„Hallo, Ina", erwiderte ich und dann standen wir da, einander entgegen, mit dem Blick auf den anderen fixiert. Niemand rührte sich, niemand tat etwas. Und die Minuten vergingen.
„Ich habe 30 Minuten Zeit", kam es Ina dann über die Lippen und ich nickte.
„Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?", fragte ich und dieses Mal nickte sie.
Ein steifer Einstieg ins Gespräch und ich war mir unsicher, wohin das Ganze führen würde.
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Das Blumenmädchen (LeFloid)
Fiksi PenggemarFlo hatte mehr als genug um die Ohren: Die Masterarbeit machte ihm das Leben schwer, YouTube musste laufen, auch wenn er keine Lust hatte, und in der Liebe schien er wohl auch kein Glück mehr zu haben. Nie wieder. Nicht nach allem, was er Ina angeta...