+ Kapitel 2.3: Fängst du mich wieder ein? +

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„Willst du mein Fallschirm sein? Fängst du mich wieder ein?" (Max Giesinger – Fallschirm)


‚Was soll ick anziehn?', schrieb ich Thea, als ich seufzend vor meinem Kleiderschrank stand und mich einmal durch meine etwas schickere Kleidung gewühlt hatte. Und ich sagte es nur ungern, aber ich hatte nichts zum Anziehen. Auch, wenn der Schrank eigentlich voll war...
‚Etwas, das hier zu passt', antwortete sie kurze Zeit später und schickte ein Bild hinzu. Ich musste es mir dreimal anschauen und siebzehnmal Luft holen, bevor ich wirklich glauben konnte, was ich da sah. Heilige Scheiße.
‚WO SOLL ICH NOCHMAL MIT?!', antwortete ich und ließ mich auf mein Bett sinken. Mein Blick ruhte weiterhin auf ihrem Foto. Thea. In dem Kleid, das sie anziehen würde. In diesem Kleid, das einfach viel zu over the top war. Ihr Kleid war zwar lang, aber der seitliche Schlitz ließ ziemlich viel Bein durchblitzen. Der Ausschnitt war tief, der Schnitt gewagt. Und dieses Bordeaux zu ihren komplett hellen Haaren war einfach zu viel...
‚Ach, nur zur Berlinale. Aber auch nur ein Tag, danach dann noch zur ner Party, nichts Wildes also', antwortete die Künstlerin mir und ich ließ mich schockiert nach hinten aufs Bett fallen.
Die Berlinale? Die fucking Berlinale? Das war doch nicht ihr Ernst. Das konnte doch nicht ihr fucking ernst sein...
‚Das sagst du mir erst JETZT?! Ich hab absolut nichts Passendes zum Anziehen. ... Und ist das Kleid nicht etwas ... to much? Ich meine, es ist die ... Berlinale?!', schrieb ich ihr perplex zurück und mein Blick ging verzweifelt in Richtung Anzug. Ich hatte zwei Stück, ja, aber wirklich perfekt waren sie jetzt nicht. Vor allem nicht nach den vielen Einsätzen in irgendwelchen Videos. Mit diesen Teilen würde ich mich so unglaublich blamieren...
‚Hey, ich hab nen Ruf aufrecht zu erhalten, Flo. Man erwartet so etwas von mir. Immer ein wenig too much, immer ein wenig daneben. Du hast meinen Blumenkranz noch nicht gesehen, der auf mein Haupt gesetzt wird. Der Designer meinte, ich würde meinem Namen alle Ehre machen. Dieser Abend wird so crazy, wie man es von der verrückten Künstlerin und Millionärstochter, die ich bin, erwartet. ... Brauchst du Hilfe beim Anzug?', erklärte sie mir und ich seufzte schon wieder.
‚Das Ganze passt ja auch zu dir. ... Und ja, bitte', gab ich mich geschlagen und schüttelte immer wieder nur den Kopf. Die Berlinale. Ich auf der Berlinale...
‚Du kannst mich morgen um 11 Uhr abholen', war Theas letzte Antwort, während ich immer noch kurz davor war, zu hyperventilieren. Ich, ein neuer Anzug und die Berlinale. Was sollte da schon schief gehen?



„OH MEIN GOTT!", hörte ich das Kreischen und zuckte zusammen. Bitte nicht. Bitte, bitte nicht. Nicht jetzt.
„LEFLOID!", hörte ich ein weiteres Kreischen und seufzte. Ja natürlich. Es war ja klar.
Entschuldigend schaute ich die Menschen hier im Abteil an, wandte meinen Blick dann den zwei jungen Mädchen zu. Sie waren aufgeregt, hatten rote Wangen, redeten schnell. Wie alt waren die beiden wohl? Wenn ich schätzen müsste, hätte ich auf halb so alt wie ich getippt, aber irgendwie war das heutzutage immer schlechter einzuschätzen.
„Können wir ein Autogramm haben?", fragten die beiden nur und ich nickte. Nett wie immer. Und ich erfüllte hier wohl auch gerade ziemlich große Sehnsüchte. Foto mit mir, Autogramm mit Widmung, ein Gespräch. Wahrscheinlich hatten die beiden nicht damit gerechnet, dass sie das wirklich alles mal kriegen würden.
So war eigentlich alles wie immer, wenn ich auf Fans traf. Nein, es war wie immer, mit dem Unterschied, dass ich mich irgendwie unwohl in der Situation fühlte. Ja, ich fühlte mich unwohl, es war komisch, dass Thea mich so sah. Es war allgemein komisch, wenn ich mit Menschen unterwegs war, die keine YouTuber waren. Die Blicke waren komisch, das Verhalten meiner Begleitung meist ebenso. Und so versuchte ich mich immer so schnell es ging aus den Fängen meiner Zuschauer zu ziehen, hörte teilweise nicht richtig zu, war kein guter YouTube-Star. War eigentlich überhaupt gar kein Star...
„Nimm's cool", war jedoch Theas einziger Kommentar, als wir die S-Bahn verließen und die kleinen Mädchen hinter uns ließen. Ich seufzte nur.
„Das sagt sich so einfach, irritiert dich das nicht?", erwiderte ich und fuhr mir durch meine Haare, die ich dann wieder mit meiner Cap bedeckte.
„Hey, ich stand schon öfter im Blitzlichtgewitter. Ich werde zwar nicht auf der Straße angequatscht, jedenfalls höchstselten, ich meine, ich bin kein Star, ich bin Künstlerin, aber es ist eben so, wie es ist Florian. Du scheinst ein Star zu sein, du scheinst so berühmt zu sein. Und du wusstest, dass es so kommen würde, sonst hättest du nicht weiter gemacht. Sonst würdest du einfach aufhören, wenn du das beim besten Willen nicht willst. Also musst du dich damit arrangieren, auch wenn es schwer fällt. Man kann sonst nicht in der Öffentlichkeit stehen", erwiderte sie nur und ich blieb stumm. Ich wusste, dass sie recht hatte, auch wenn ich es nicht wollte.
„Warum fällt es mir nur so schwer?", wollte ich dann wissen und sah auf meine Schuhe. „Ich meine, ich mach das seit so vielen Jahren, es wird einfach nicht besser."
„Weil du es nicht annimmst, Florian. Du akzeptierst es nicht, du siehst dich nicht als Star, deswegen kannst du damit auch nicht gut umgehen. Du willst nicht", erwiderte sie nur und sah mich an. „Weißt du, mir ist das auch immer ziemlich schwer gefallen. Meine Eltern haben mich oft zu Galen mitgeschleppt, wollten mich daran gewöhnen, ich fand's immer schrecklich. Bis ich das erste Mal alleine auf eine Gala sollte. Da stand ich komplett im Mittelpunkt, für einen kurzen Augenblick würden die Augen alle auf mich gerichtet sein, obwohl ich in meinem Leben noch nichts geschafft hatte. Nur, weil ich die Tochter meiner Eltern war, wurde ich verglorifiziert. Und ich hab es einfach akzeptiert und das Beste draus gemacht. Weil Dinge einfach so sind, wie sie sind. Für mich ist das Leben so und ich habe es so gut ausgenutzt, wie es ging. Meine Eltern waren glücklich, die Presse war glücklich, und mir hat es ein breiteres Publikum geschaffen. Mittlerweile werde ich nicht nur als Tochter eingeladen, sondern auch als Kunstkennerin, als Künstlerin. So wie auf die Berlinale. Ich bin wer. Und man will mich, nicht die Tochter meiner Eltern. Auch wenn es nicht so angefangen hat, ist es jetzt trotzdem so. Und schau, bei dir ist es doch auch so, Leute wertschätzen das, was du tust. Und du solltest froh sein, dass es so und nicht anders ist. Auch wenn es schwer ist, sich daran zu gewöhnen", erklärte sie und seufzte dann. „Bei mir ist das Ganze mittlerweile mein Leben geworden. Mit den Kameras spielen, mit den Reportern flirten, neue Trends ins Gespräch bringen. Wenn ich irgendwo auftauche, mit meinen verrückten Kleidern, wenn ich mal wieder total aus der Rolle falle, wenn ich dann irgendetwas sage, Menschen erwähne, Empfehlungen ausspreche... du weißt nicht, was das alles auslösen kann. Wenn du am Freitag mitkommst... bessere Promo für dein Abospecial und deine Person kannst du in der Kunst- und Filmbranche nicht haben. Und bessere Promo kann ich auch nicht haben, wenn ich ehrlich bin. DU bist auch ein ziemliches Prestigeobjekt. Mein Bekanntheitsgrad wird größer, deiner auch... Und bitte versteh das nicht falsch, Florian. Ich mache das Ganze nicht, um dich auszunutzen", fiel sie sich quasi selbst ins Wort und ich sah sie von der Seite her an, sie zögerte.
„Weswegen machst du das dann?", fragte ich, sie schaute auf den Boden, auf ihre Hände, dann glitt ihr Blick zu mir. Ihr Lächeln, das eben noch nicht da gewesen war, kehrte auf ihr Gesicht zurück.
„Weil es dir gut tun wird. Weil es mir gut tun wird. Und weil ich glaube, dass wir beide ne verdammt geile Zeit zusammen haben werde."

Das Blumenmädchen (LeFloid)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt