„You told me, yeah, you told me, you'd give this restless heart a home. But where does it belong?" (Niila - Restless Heart)
Mit schnellen Schritten lief ich die Treppenstufen meines Treppenhauses hinauf und achtete nicht mal richtig darauf, wo ich hin lief und dass ich einen der Nachbarn fast umgerannt hätte. Es war einfach nicht wichtig. Es war nicht wichtig, was die anderen im Moment von mir dachten, als ich versuchte den Schlüssel mit zitternden Händen ins Schlüsselloch zu bekommen, es aber Ewigkeiten dauerte. Es war nicht wichtig, wie ich mit schwirrendem Kopf in die Wohnung stolperte und meine Mitbewohnerin umrannte. Alles war nicht mehr wichtig.
„Was ist mit dir denn los?", wollte Jen von mir wissen, als sie mich auffing, sodass ich nicht einfach umkippte, und ich schüttelte einfach nur den Kopf, während die Tränen einfach so über meine Wangen liefen. „Hey, Ina, komm her", meinte sie dann und zog mich in eine ihrer bärigen Umarmungen. Das, was ich jetzt gerade am meisten brauchte.
„Er...", schluchzte ich auf und merkte, wie Jennifer mich in die Küche schob und mich erstmal setzen ließ, bevor ich nachher noch ein weiteres Mal umkippte. Ich war schon zu oft vor ihren Augen zusammen geklappt...
„Was hat er getan? Soll ich ihn für dich beseitigen?", fragte sie mich emotionslos und ich schüttelte nur den Kopf, bevor ich blind vor Tränen in meiner Tasche wühlte und das Schmuckkästchen hevorholte, um es auf den Tisch zu stellen. „Was ist das?", wollte sie dann wissen und ich schob es in ihre Richtung. „Oh mein Gott...", murmelte sie dann, als sie sich das Drama angeschaut hatte.
„Er wollte mich fragen, damals. Er wollte mich endlich fragen", schluchzte ich und rollte mich auf dem Stuhl zusammen. Ich hatte damals nicht viel geweint, ich weinte generell nicht viel, aber die Tatsache, dass da mein potentieller, ehemaliger Verlobungsring lag, brachte mich innerlich um und ließ mich so vieles hinterfragen. Vor allem eine Frage ließ mich nicht mehr los: Hatte ich mich damals falsch entschieden?
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Schnell fuhren wir über die holprige Landstraße. Der Wagen hob und senkte sich beständig, während ich wegen der Geschwindigkeit immer weiter in den Sitz gedrückt wurde.
Es war ziemlich warm für diese Uhrzeit, es war generell zu warm in diesem Land, aber gerade war es angenehm. Leichter Fahrtwind wehte durch die offenen Fenster, Eindrücke prasselten auf mich ein und gaben mir die Energie, weiter zu machen. Es tat gut, hier draußen zu sein und nicht im Hotelzimmer zu verstauben.
Mein Baarkeeper hatte mich einfach geschnappt, kurz vor Mitternacht, überraschend mitgenommen und mir nicht mal gesagt, wo wir hinfuhren. Und nun saßen wir hier, unter dem hellen Mondlicht, und ich lächelte seit Langem mal wieder ehrlich.
Und nun saßen wir hier, in diesen kleinen, einsamen Bucht. Bei Vollmond.
„Ich muss dich irgendwann noch zeichnen", meinte ich und blickte den jungen Mann neben mir nicht an, sondern schaute zum Mond hinauf. Ich liebte das Licht des Mondes. Vor allem, wenn es so hell und strahlend war.
„Dann mal los", erwiderte mein Puerto Ricaner nur und ich sah ihn erstaunt an, griff dann aber nach meiner Tasche und nach meinem Zeichenblock.
„Kannst du mich vielleicht nicht anschauen? Aber reden darfst du", setzte ich hinzu und er dreht sich von mir weg, schaute raus aufs Meer. Ich liebte solche Posen.
Wir saßen hier auf seiner Motorhaube, ich im Schneidersitz, er mit seinen Ellbogen aufgestützt und den Oberkörper nach hinten gelehnt. Er war ziemlich gutaussehend, durchtrainiert, braun gebrannt, mit dunklem Haar, braunen Augen. Er war attraktiv, keine Frage. Und das Mondlich stand ihm.
„Was machst du mit dem Bild?"
„Ich weiß nicht. Vielleicht schenke ich es dir. Ich brauche es nicht, drüben in Deutschland", meint ich nachdenklich. „Weißt du, ein Bild ist eine Reise. Vielleicht ein Anfang, aber auch ein Ende. Je nach Situation ist ein Bild immer etwas anderes. Ich habe viele neue Bekanntschaften geschlossen und Bilder darüber gemalt. Ich hab viele Bilder über Prozesse in meinem Leben. Und viele Bilder über all das, was irgendwann endete. Du wirst glaub ich so ein Endzeit-Bild. ... Das klang jetzt ziemlich melodramatisch", meeinte ich und grinste schief.
Es war schön hier. Ich fühlte mich sehr wohl und ich redete viel, mehr als sonst. Etwas, was ich in den letzten Tagen zu wenig getan hatte. Zu viele Taten, zu wenig drüber nachgedacht und noch viel weniger drüber gesprochen...
„Was hat dich so kaputt gemacht, Thea?", fragte mein Barkeeper mich dann und ich seufzte. Eigentlich ging es ihn nicht an, aber...
„Verluste. Endzeiten. Endzeitbilder. Alles zu oft. Und zu schwerwiegend... Und ich bin dir ehrlich gesagt gerade ziemlich dankbar, dass du da bist. Dass du da bist und mir das Gefühl gibt's, nicht alleine zu sein", versuchte ich ihm zu erklären und es wunderte mich selbst ein wenig, dass ich so ehrlich zu ihm war.
„Du bist nicht alleine, du hast deine Eltern", wollte er mir widersprechen, aber ich schüttelte den Kopf.
„Das sind zwar meine Eltern, aber ich bin trotzdem alleine, wenn ich bei ihnen bin", fuhr ich fort und beobachtete ihn genau. Das Mondlicht fiel auf seine braungebrannte Haut und mir fiel jetzt erst so richtig auf, wie hübsch er doch eigentlich war. Nicht nur attraktiv sexy, sondern auch wirklich hübsch. „Ich werde bald gehen", kam es über meine Lippen und ich überraschte mich selbst damit.
„Schaffst du das schon?", fragte mein Barkeeper genau die richtige Frage und sah kurz zu mir. Um sich zu vergewissern, dass es mir gut ging.
„Ich muss. Und ich werde", war alles, was ich antwortete und das Schweigen legte sich wieder über uns. Es war ein angenehmes Schweigen.
Nach vielen Minuten der Stille legte ich meinen Block auf die Motorhaube und er sah sich das Werk an. Das Bild war nachdenklich, aber recht positiv eingestellt. Ich hatte eigentlich etwas Düsteres geplant gehabt, aber meine Hände hatten das nicht gewollt.
„Du wirst dich aber von mir verabschieden, wenn du gehst? Oder wirst du wortlos verschwinden?", hörte ich ihn dann fragen und ich seufzte.
„Ich weiß nicht", war wieder nur alles, was ich sagte. „Gehen wir ins Wasser?"
„Schläfst du mir mit?", erwiderte er und ich lachte leise auf.
„Hier? In einer Bucht? Unter dem Sternenhimmel? Das ist ne Spur zu romantisch - und zu sandig", schüttelte ich den Kopf und zog mir mein Kleid über den Kopf. Es war ein Hauch von nichts, durchsichtiger Stoff, geschmückt von tausenden Blüten. Ich mochte dieses Kleid sehr, aber trug es so selten. Dafür war das Wetter in Deutschland einfach zu düster und leer. „Und lass es bleiben. Ich bin eher gestern als morgen gegangen und es wäre kein betrunkener Gelegenheitssex. Du würdest dich da reinsteigern. Und das möchte ich nicht", versuchte ich mich dann zu erklären und schlüpfte aus meiner Unterwäsche. Ich hatte keinen Bikini mitgenommen, da ich nicht gewusst hatte, wohin mich diese kurze Reise führen sollte, und war im nächsten Moment auf dem Weg zum Wasser. Es war nicht kalt, aber auch nicht warm. Es war einfach nur Wasser, unendlich weit, unendlich tiefgründig.
„Wie heißt er?", wollte mein Barkeeper dann wissen, während er mir folgte. „Also die Person, die dir das Herz gebrochen hat."
„Philipp. Aber er hat es nicht mit Absicht getan, es ist schon lange her. Und Florian. Er wusste genau, was er da tat, ohne zu wissen, was er da wirklich tat", versuchte ich meine Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen. Es war so schwer.
Meine salzigen Tränen vermischten sich mit dem salzigen Meerwasser und verschwanden. Ungesehen. In die Dunkelheit. Und mein Herz, das schlug. Stärker als es die letzten Tage je geschlagen hatte. Schmerzhaft, aber echt.
Ich fühlte mich so fern von dem ganzen Chaos. Das Wasser durchnässte meine viel zu kurzen Haare und ich schwor mir, dass sie bald wieder länger werden würden. Das hatte ich mir fest vorgenommen.
Seufzend betrachtete ich meine Begleitung. Ich fühlte mich so vollkommen fehl am Platz. Das, was ich hier tat, tat mir so unglaublich gut. Aber es war so unglaublich falsch.
Wegrennen war nicht ich. Ich verschloss mich, ich überarbeitete mich, aber ich war nie wirklich geflüchtet. Ich war noch nie untergetaucht und hatte ein vollkommen anderes Leben gelebt, nie so wie hier. Denn hier war ich nicht Thea, hier war ich nicht die Künstlerin, die Kreative, die Verrückte. Hier war ich einfach nur die englischsprechende Frau aus Deutschland. Mit meinem puertoricanischen Barkeeper. In einer abgelegenen Bucht. Dort, wo ich nicht hin gehörte.
„Bringst du mich zum Hotel und dann zum Flughafen?", fragte ich gedankenverloren und erschrak mich. Meine Stimme klang anders als die letzten Tage. So rau, so stark, so anders. So richtig.
Ich hatte mich entscheidend entschieden.
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Das Blumenmädchen (LeFloid)
FanficFlo hatte mehr als genug um die Ohren: Die Masterarbeit machte ihm das Leben schwer, YouTube musste laufen, auch wenn er keine Lust hatte, und in der Liebe schien er wohl auch kein Glück mehr zu haben. Nie wieder. Nicht nach allem, was er Ina angeta...