+ Kapitel 1.1: The Devil +

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„It's the devil that's tryna hold me down." (Halsey – Hold me down)


„Hold back the tears
Oh, when she tells you that it's over
After all these years, after all of these years "
Tom Klose – Rise


Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack...
Seufzend legte ich meinen Kopf in meine Hände und versuchte dieses unbeschreiblich nervige Ticken auszublenden, das doch noch nicht einmal da sein dürfte. Die Uhr dürfte nicht leben, ich hatte die Batterien rausgenommen und die Zeiger bewegten sich nicht, dennoch schallte dieses nervige Ticken immerwährend durch die Küche.
Ich mied dieses Zimmer in letzter Zeit ziemlich oft. Mehr als drei Sekunden konnte ich hier nicht drin verbringen. Und das reichte auch meist: Mate aus dem Kühlschrank in meine rechte Hand, Essen auf's Backblech und in den Ofen, dann war ich wieder draußen.
Manchmal aber, da saß ich einfach nur auf einem der beiden Küchenstühle, starrte das Ziffernblatt an und fragte mich, ob ich nun doch verrückt geworden war und anfing zu halluzinieren. Ich war zu keinem Ergebnis gekommen...
Warum ich die Uhr nicht einfach wegwarf? Sie hart auf dem Boden aufprallen ließ? Sie zerschmettern ließ und danach für immer aus meinem Leben verbannte? Ich konnte nicht. Ina hatte so lange dafür gekämpft, dieses unglaublich hässliche und nervtötende Ding in die Küche hängen zu dürfen, dass ich es nicht übers Herz brachte, sie einfach rauszuschmeißen. Nicht, wenn es eines der wenigen Sachen war, die von ihr geblieben waren.
Müde rieb ich mir über mein Gesicht und stand dann auf. Ich hatte keine Zeit, müde zu werden, sodass ich mir wie automatisch irgendein Getränk mit viel Koffein aus dem Kühlschrank nahm – was ich da gleich trinken würde, war mir relativ egal – und mit einem erneuten Seufzen die Küche verließ, die Küchentür laut hinter mir zuschlagend.
Mein Handy vibrierte schon zum siebten Mal in meiner Hosentasche und ich hatte es noch nicht über mich gebracht, drauf zu schauen. Es waren wahrscheinlich eh nur die üblichen Frage.
Wann hast du mal wieder Zeit?
Boarden?
Drehen?
Am besten in Kombination mit: Hilf mal!?
Auch wenn das letzte keine richtige Frage war, las ich diese Zeilen viel zu oft in letzter Zeit. Und ein Blick auf den Display verriet, dass es dieses Mal genau so war.
Robin: ‚Zeit?'
Frodo: ‚Heute noch boarden?'
Fabi: ‚Hilfste beim Drehen?'
Dazu die üblichen anderen Sprüche.
Felix, der sich Sorgen machte: ‚Flo, wenn du irgendwas brauchst, kannste gerne zu uns rüber kommen!'
Marti, der einen Link geschickt hatte: ‚Soooo geil!!!'
Frodo, der langsam ungeduldig wurde: ‚Flo? Biste da? Ich kann auch vorbei kommen?'
Und Fabi, der mich mit einem Video überzeugen wollte, zu kommen: ‚Wir brauchen deine Hilfe!'
Alles Nachrichten, die ich in den letzten zwei Stunden, in denen ich einfach nur in der Küche gesessen hatte, bekommen hatte.
Kopfschüttelnd schrieb ich allen zurück:
An Robin: ‚Sorry, gerade schlecht. Wann anders?'
An Frodo: ‚Heute nicht, Frodse, bin gerade etwas im Stress. Wir sehen uns morgen beim Drehen!'
An Fabi: ‚Sorry, Leute, muss das Video für heute noch Drehen.'
An Felix: ‚Danke, aber im Moment läuft's ganz gut.' – Auch wenn es eine fette Lüge war...
An Marti: ‚;P'
Reichte fürs Erste. Ich hoffte, dass sie mich in näherer Zukunft in Ruhe lassen würden.
Und jetzt musste ich wirklich mal anfangen zu drehen...


Es war früh, sieben Uhr, und ich konnte schon lange nicht mehr schlafen. Ich hatte immer noch die hetzenden und bettelnden Kommentare im Kopf, wo denn die News blieben. Verstehen konnte ich es irgendwie, das Video gestern kam mit so einer krassen Verspätung, dass ich mich mal wieder selbst darüber ärgerte, aber ich hatte es einfach nicht früher geschafft. Zwischendurch hatte ich sowieso schon die Idee, das Video gar nicht zu posten, bis ich mir ins Gedächtnis gerufen hatte, dass ich es der Army schuldete und ich, nur weil es mir mal wieder nicht so gut ging, nicht kneifen konnte. Es war immerhin mein Job...
So stand ich nun aber vollkommen fertig um sieben Uhr in der Frühe mit einer Tasse Kaffee in der Hand in meinem Flur und wusste nichts mit mir anzufangen. Ich hätte was Drehen können oder Skripten, aber nach dem Kampf gestern war das wahrscheinlich nicht so ne gute Idee. Ich hätte an meiner Masterarbeit arbeiten können, aber auch das ließ ich lieber bleiben, ich wollte das schöne Thema nicht komplett versauen. Und um bei Frodo aufzukreuzen war es auch noch zu früh bzw. musste er wahrscheinlich auch noch in die Uni. Und ansonsten hatte ich nichts zu tun.
„Was soll's", murmelte ich schließlich, stellte meine nun leere Tasse irgendwo ab und zog mir meine Schuhe über die Füße. Wenn ich jetzt nicht raus ging, würde ich wahrscheinlich nachher nur wieder in der Küche landen und Trübsal blasen. Und das brauchte ich heute gar nicht, ich brauchte gute Laune und Elan, wenn ich den Dreh mit Frodo nachher einigermaßen unbeschadet durchstehen wollte... „Geld, Handy, Schlüssel...", ging ich dann durch, ob ich alles hatte, um im nächsten Moment fluchtartig die Wohnung zu verlassen, mein Longboard fest in der Hand, auf direktem Weg zu meinem Lieblingsbäcker.

Das Blumenmädchen (LeFloid)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt