+ Kapitel 3.3: Noch nie zuvor +

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„Lass uns all die Dinge sein, die wir noch nie zuvor waren" (Madeline Juno - Ich dein und du mein)

‚Hey Florian, wie geht es...'
Grummelnd drückte ich auf die Löschentaste und ließ nur die ersten Worte stehen.
‚Hey Florian, was machst du...'
‚Hey Florian, kann ich...'
‚Hey Florian, ...'
Seufzend starrte ich auf den Bildschirm. Ich wusste einfach nicht, was ich schreiben sollte. Es war eine schwachsinnige Idee, auf Jen zu hören - das war es meistens - und dennoch konnte ich nicht einfach abbrechen. Ich wusste, so eine einfache, simple Nachricht, hatte so ungeheuer viel Schlagkraft. Es würde viel entscheiden - mich wahrscheinlich nur noch weiter zerstören - und dennoch konnte ich nicht einfach abbrechen und mich in meinen schützenden Panzer zurückziehen. Irgendetwas in mir pochte darauf, endlich wieder von Florian zu hören. Was es auch immer war, was er zu sagen hatte. Und eigentlich war es auch ziemlich egal, was er antworten würde. Denn eins stand fest: Ich würde ihn mit einer läppischen Nachricht nicht wieder zurückbekommen. Mehr verlieren konnte ich aber eigentlich auch nicht, denn ihn hatte ich ja schon lange verloren.
Ich wusste gar nicht mehr, wie das alles angefangen, es war so ein mieser, schleichender Prozess gewesen, und ich hatte es erst gemerkt, als es schon längst zu spät war. Das Ende war unabdingbar gewesen, ich hätte es nicht verhindern können, und dennoch konnte ich nicht anders: Ich überlegte oft, wie es wäre, wenn ich unsere Beziehung noch irgendwie gerettet hätte. Wenn ich mich früher gemeldet hätte. Wenn...
Aber es brachte nichts, sich weiter in dem ‚Hätte, Wenn und Aber' zu bewegen. Was vorbei war, war vorbei, und es würde auch nicht so einfach wieder werden, nicht wegen so einer bescheuerten Nachricht. Und dennoch schrieb ich sie... Ich hasste Jen jetzt schon dafür, mir so einen Floh ins Ohr gesetzt zu haben.

‚Hallo Florian,
ich hoffe, es ist okay, wenn ich dir mal wieder schreibe. Ich habe dein neustes Video gesehen und finde, es ist eine super Idee. Hast du etwas dagegen, wenn ich auch komme? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen und es interessiert mich einfach. Wenn es nicht okay für dich ist, dann bleibe ich zuhause.
Ina'

Und obwohl ich wusste, dass ich es wahrscheinlich bereuen würde, konnte ich nicht anders und drückte auf Senden. Ich hatte die Nachricht einfach abgeschickt, meinen erneuten Untergang besiegelt, und dennoch war ich nicht traurig. Denn irgendwie hatte Jen Recht, irgendwann musste ich mich mit der Trennung auseinandersetzen, das wusste ich tief in meinem Inneren auch. Dennoch war es schwer, sehr schwer. Und vielleicht würde mir ein Gespräch ja helfen, über alles hinweg zu kommen. Oder mir würde es noch schlechter gehen, als es mir eh im Moment ging. Wer wusste das schon...


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„Ich weiß wirklich nicht, was uns gleich erwarten wird - und ich hoffe wirklich, es wird nichts all zu schlimm werden - aber es besteht immer die Möglichkeit, dass Leute hier sind. Also, mach dich auf alles gefasst, was du schon mal mit Fans erlebt hast. Und glaube mir, wir Künstler sind da teilweise wirklich etwas eigen", redete Thea auf mich ein, während sie dann eine der beiden großen Flügeltüren öffnete, vor die sie mich geschleppt hatte, und mich dann in den dunklen Saal ließ. Sie hatte mir noch nicht verraten, was das hier werden würde, aber ich ahnte schon, in was für eine Richtung das Ganze ging.
„Wow", murmelte ich dann aber, als ich meinen Blick schwenken ließ. Der Raum war verdammt groß. Und mit verdammt viel Kunst zugestellt. Bilder hingen an den Wänden, Skulpturen standen im Raum verstreut und vereinzelt verharrten einige Menschen vor diesen Kunstwerken, um sie ausgiebig zu betrachten.
„Die Ausstellung wird bald offiziell eröffnet, bisher kommen nur Studenten hier her. Komm, ich zeig dir mal die Sachen, die von mir sind", nahm sie meine Hand und zerrte mich begeistert hinter sich her. So, wie sie mich auch schon den ganzen Tag begeistert hinter sich her gezogen. Diese gute Laune war fantastisch. „Schau mal hier!", forderte sie mich dann auf und ich tat wie mir geheißen.
Thea war total in ihrem Element, sie redete und redete, wies mich auf bestimmte Kleinigkeiten hin und hörte gar nicht mehr auf.
„Die Bilder hätten hier eigentlich nie hängen sollen, es war nur ein witziger Zufall, als einer meiner Dozenten sich irgendwie an diese Bilder erinnert hatte und meinte, sie würden die Thematik dieser Ausstellung wunderbar ergänzen. Schau mal hier, da kann man genau erk....", redete sie weiter auf mich ein und sich immer weiter in Rage.
Und ich? Driftete irgendwann ab. Das, was sie da erzählte, würde ich so oder so nicht verstehen. Ich hatte keine Ahnung von Pinselführung, Maltechniken oder was sie sonst alles in dieses Bild gegeben hatte. Mir gefiel einfach nur, was ich da sah. Mir gefiel es, weil ich wusste, dass Thea immer alles in ihre Bilder legte, dass sie mit vollem Herzen dabei war, und dies auch mit ihren Werken vermitteln wollte. Wenn ich Thea aber nicht kennen würde, dann wäre es nur ein einfaches Bild, was vielleicht ganz nett anzusehen wäre, aber mehr würde es mir auch nicht geben...
„Jetzt komm schon, Flo! Nicht träumen!", riss mich die Vollblutkünstlerin aus meinen Gedanken und zog mich zu ihrem nächsten Meisterwerk. Und ich lief hinterher.

Das Blumenmädchen (LeFloid)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt