↠Special 2, Silvester //Part 2↞

2K 180 50
                                        


Jamie:


Hals über Kopf stürzte ich auf die Damentoilette zu, den Ort meiner Rettung. Den vermutlich einzigen Ort, an den ich mich in Ruhe verkriechen konnte. Ohne auf meine Umgebung zu achten, boxte ich mich rücksichtslos durch die partywütige Menge, die auf der Tanzfläche die letzten Stunden dieses Jahres genoss. Ich hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, aber ich kämpfte mit all meiner Willenskraft dagegen an. Ich würde ihnen erst ihren Lauf lassen, wenn ich sicher sein konnte, alleine zu sein.

Schmerz war eine Sache, die ich schon immer bevorzugt hatte, alleine für mich auszumachen. Ich brauchte niemanden, der Händchen hielt. Ich schämte mich sogar für die Momente, in denen ich vor anderen zugeben musste, verletzt zu sein.

Also verbarrikadierte ich mich auf dem Klo- gerade noch rechtzeitig- bevor die Tränen haltlos überschwappten und mit ihnen eine Welle aus Scham über mich hereinbrach. Plötzlich fühlte ich alles. Alles, was ich vorher so mühsam zurückgehalten hatte.

Dabei hatte der Abend doch so vielversprechend begonnen. Ich hatte mich auf meinen besten Freund gefreut, ich hatte mit Cas getanzt und die Bar mit Lucas ausgestattet, Val beim Dekorieren geholfen und mich einfach auf den Beginn des neuen Jahres gefreut, in das ich gemeinsam mit den wichtigsten Menschen in meinem Leben starten würde. Und jetzt, nur wenige Stunden vor Mitternacht war alles zur absoluten Katastrophe ausgeartet. Und das nur wegen eines Kusses und einer mehr als peinlichen Begegnung mit Zac. Es war nicht einmal das Schlimmste gewesen, ihn zu sehen und damit Lucas, Zac und Niall vereint zu haben. Nein, das Schlimmste war ihre Reaktion gewesen- vor allem Nialls. Ich hatte mich auf einmal wie ein Kind gefühlt, das einem Haufen Erwachsener dabei zusieht, wie sie es herumschubsen. Ich war machtlos und wehrlos gewesen und ich hatte Niall vertraut. Ich war sicher gewesen, dass er wie immer eine Lösung für die unangenehme Situation finden würde. Doch statt eines lockeren Spruchs hatte er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und hätte ich es nicht besser gewusst, hatte er einfach nur eifersüchtig gewirkt. Aber das war lächerlich, nicht?

Wieso sollte Niall eifersüchtig sein?

Angepisst, ja. Vielleicht sogar gekränkt, weil Zac mit seinen blöden Sprüchen wirklich unter die Gürtellinie gezielt hatte, aber eifersüchtig... Völlig ausgeschlossen. Stöhnend ließ ich den Kopf gegen die Toilettentür sinken und schloss die Augen. Der Kuss prickelte immer noch auf meinen Lippen und wenn ich mit den Fingern darüberstrich bildete ich mir ein, Niall würde mich immer noch berühren.

Bei dem Gedanken daran, riss ich die Augen wieder auf und war kurz erschrocken über mich selbst. Meine Reaktion, ihm eine zu Knallen, war ein absoluter Kurzschluss gewesen. Ich hatte mich schon die ganze Zeit über unwohl gefühlt- beobachtet und bewertet. Ich hatte mir nur gewünscht, mich in Nialls ruhige Art fallen zu lassen. Ihn all den Mist regeln zu lassen und mich darauf verlassen, dass er, wie immer, weiterwusste. Ich hatte ihm die Führung überlassen und er hatte das Schiff einfach auf den nächsten Eisberg zugesteuert. Und das mit Absicht! Er hatte mich nur noch mehr blamiert. Also war meine Retourkutsche doch berechtigt, nicht?

Ich wusste es nicht. Je mehr ich darüber nachdachte, desto peinlicher war mir die überstürzte Handlung. Es hatte nur bestätigt, wie klein und deplatziert ich mir vorkam. Es hatten den Männern eine Macht gegeben, die ich ihnen niemals über das Geschehen hatte geben wollen. Labte sich die Männerwelt nicht gerade daran? Den Unsicherheiten des weiblichen Geschlechts? Plötzlich ertappte ich mich dabei, wie ich mir wünschte, Niall wäre mir gefolgt. Und dann verfluchte ich mich für diesen Gedanken.

Ich verfluchte mich für alles. Wieso hatte ich Lucas eingeladen? Wieso hatte Val diese Party geschmissen und wieso hatte sich Zac gerade heute hierher verirrt? Das Schicksal musste mich wirklich hassen, um all diese Zufälle an nur einem Abend so perfekt ineinander greifen zu lassen... Und dann war da noch dieser dämliche Kuss, um den meine aufgewühlten Gedanken immer wieder kreisten. Immer wieder dieser Kuss und dieses uralte Gefühl der Angst und der Verwirrung.

Pretty Little TalksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt