↠Kapitel 3↞

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↠Drei Tage danach↞


Jamie:

Zurück in Washington musste ich leider feststellen, dass mein Leben im Moment tatsächlich nicht gerade das Gelbe vom Ei war. Obwohl ich gnädigerweise in meinem Elternhaus wieder mein altes Zimmer beziehen durfte, wirkte es auf einmal sehr fremd und ungemütlich mit den vielen Umzugskartons, die sich achtlos auf dem Fußboden stapelten. Sie ließen den ganzen Ort unbelebt erscheinen. Fremd und deutlich kleiner, als ich ihn in Erinnerung hatte.

Mum und Dad hatten zwar nichts gesagt, aber ich hatte ihre Enttäuschung auch so nachempfinden können. Ich kam mir wie ein Versager vor. Ohne Wohnung, ohne Beziehung, ohne festes Einkommen.

Meine Schwester Val war dagegen auf dem Höhepunkt ihres Lebens. Erfolgreich als angehende Therapeutin mit Bestnoten an der Uni und hervorragenden Zukunftsprognosen, glücklich verlobt mit meiner besten Freundin Cassandra und absolut verliebt auf rosa Wolken schwebend. Ich dagegen war der ewige Griesgram- das schwarze Schaf dieser Familie.

Nicht, dass ich Val ihr Glück nicht gönnte, aber ich kam mir einfach noch deplatzierter vor, wenn ich ansah, wie sicher sie über die Richtung ihres Lebens war. Vor allem, weil sie mir mit ihren ständigen Anrufen das Gefühl gab, meinerseits auf Hilfe angewiesen zu sein.

Seufzend stieg ich über die Kartons, die ich einfach nicht übers Herz brachte auszupacken und bahnte mir so meinen Weg zu dem riesigen Wandspiegel, der die kahle, weiße Wand meines Zimmers zierte. Das Bewerbungsschreiben der „Washington Post" war mein einziger momentaner Lichtblick. Sie hatten mich wirklich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen- der einzige Grund, dass ich überhaupt wieder Zuhause war, wie ich mir eingestand. Ich versuchte, die Nervosität zu ignorieren, die in meinem Bauch pulsierte und trug mit leicht zittriger Hand den roten Lippenstift auf, der sich so herrlich mit dem orangerot meiner Haare stach. Dann musste ich gezwungenermaßen doch einige der Kartons öffnen, um meine Abschlusszeugnisse und die Bewerbungsunterlagen herauszukramen. Es brauchte einige Versuche, bis ich schließlich die Kiste fand, in der sich Bücher und Papierkram stapelten. Eilig durchsuchte ich die losen Zettel und Ordner, mit dem mehr als frustrierenden Ergenbis, dass ich die gesuchten Gegenstände nicht finden konnte. Genervt öffnete ich also auch alle anderen Umzugskisten, wurde dort allerdings ebenfalls nicht fündig.

Gestresst wählte ich als letzten Ausweg also die Nummer meiner kleinen Schwester. Valerie würde schon wissen, wo sie den Kram aus dem alten Schrank meiner Wohnung hingepackt hatte...

Ich ließ sie gar nicht erst antworten, als ich sie abnehmen hörte: „Val.", zischte ich.

„Am anderen Ende der Leitung.", bestätigte sie gut gelaunt.

„Val. In welchem Karton sind meine Zeugnisse?"

Nachdenkliches Schweigen erfüllte für einige Sekunden die Leitung. „Sind sie nicht... bei den Unterlagen?"

„Nein.", erwiederte ich und spürte, wie mir langsam heiß wurde. „Sie waren in dem dunkelbraunen Schrank im Wohnzimmer, unten in der Schublade."

„Du hattest da drin Unterlagen?!", ich hörte den Schock aus der Stimme meiner Schwester und beinahe hätte ich gelacht. Aber nur beinahe. Wenn es hierbei nicht um meine ganze verdammte Zukunft gehen würde...

Ich versuchte, gefasst zu klingen, als ich antwortete: „Okay, ich werde kurz in der Wohnung vorbeifahren, bevor ich zum Gespräch gehe."

„Jamie, es tut mir wirklich wahnsinnig leid. Möchtest du, dass ich dich begleite? Ich kann kurz hochgehen und für dich dein Zeugnis holen und du... wartest solange im Auto."

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