↠Kapitel 39↞

1K 109 5
                                        


15. August 2016

Niall

Los Angeles schenkte mir ein stilles Willkommen, als ich, nach mehr als sieben Monaten, wieder den Schlüssel in meine Haustür steckte.

Der vertraute Flur lag dunkel vor mir, doch ein seltsames Gefühl durchströmte meine Brust. Irgendwas zwischen extremer Erschöpfung, Erleichterung und auch ein bisschen Wehmut, gepaart mit dem seltsam fremdvertrauten Geruch, den man nur als Zuhause beschreiben kann. Zuhause. Zuhause war vielleicht das falsche Wort. Zuhause war immer noch Mullingar, aber für jetzt fühlte sich L.A. einfach richtig an. Irgendwie hatte ich fürs Erste alleine sein wollen. Schon komisch, nach mehr als einem halben Jahr alleine sein noch mehr alleine sein zu wollen, ich weiß. Aber wenn du die Sonne am anderen Ende der Welt hast untergehen sehen, verändert sich irgendwie etwas in dir. Es ist wie ein Geheimnis, zwischen dir und der Welt. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich wollte, dass diese Magie ein klein wenig länger in mir nachklang. Die Momente, in denen ich alleine gewesen war- mich manchmal sogar wie der einzige Mensch auf der Erde gefühlt hatte, waren gleichzeitig seltsam therapeutisch für mich gewesen. Ich war einfach nur Niall gewesen. Ich hatte mir von Zeit zu Zeit sogar einbilden können, wieder sechzehn zu sein und es gibt kaum ein besseres Gefühl auf der Welt, als sich jung und unbesiegbar zu fühlen. Thailand hatte mir ein Geschenk bereitet und mir einen Teil meiner Jugend zurückgegeben und ich fand es nur richtig, dieses Geschenk ein wenig länger in Ehren zu halten.

Mit einem lauten Plumps befreite ich mich von meinem Backpack, der schwer auf meinen Schultern lastete, meine Schlüssel landeten auf ihrem Platz in der kleinen Klangschale auf der Kommode neben der Eingangstüre. Mein Appartement lag immer noch in völliger Dunkelheit vor mir, aber ich ließ mir Zeit. Ich genoss die Stille und den Geruch, der langsam schwächer wurde. Vorsichtig strichen meine Finger über die verputzte Wand, auf der Suche nach dem Lichtschalter. Im Nachhinein wünschte ich mir beinahe, ich hätte ihn niemals gefunden und wäre einfach in vollkommener Schwärze in mein Bett gerochen. Wirklich. Denn was sich mir offenbarte, als die Deckenlampe aufflackerte, war das Chaos schlechthin. Zuerst war ich überzeugt davon, dass es sich bei diesem Flur unmöglich um meine Wohnung handeln konnte. Nein. Unmöglich. Das hier war nicht meine Wohnung. Aber dort an der Wand hing die Garderobe mit meinem Wintermantel. Darunter meine Schuhe. Und der Spiegel, den meine Mutter mir geschenkt hatte. Eine Postkarte von Jamie, die Gitarre an der Wand. Zwangsläufig musste es also doch die richtige Wohnung sein (natürlich, es war ja auch mein Schlüssel, mit dem ich reingekommen war).

Und doch, eine unverkennbare Spur der Verwüstung zog sich durch meine vier Wände. Eine zertrampelte Kette Lampignons, Luftschlangen, Konfetti und Pappbecher stapelten sich auf dem Fußboden und hinterließen eine leidenschaftliche Spur bis ins Wohnzimmer. Meine Couch, von der ich schwören könnte, sie war vorher beige gewesen, hatte nun irgendwelche seltsamen Flecken, aber das schlimmste war die Küche. Hier vermehrte sich die Anzahl der roten Pappbecher ums hundertfache, Essensreste waren über die komplette Anrichte und den Boden verteilt und das Spülbecken stank verdächtig nach Erbrochenem. Alkoholflaschen krönten das Ganze Desaster. Mit offenem Mund schlurfte ich durch meine Wohnung, die nicht meine war und rechnete damit, jeden Moment auf die Partywütige Menge zu stoßen, die meine vier Wände derart verwüstet hatte, doch das Haus blieb gespenstisch still.

„Ich bring diesen Idioten um.", murmelte ich fassungslos, als mir langsam dämmerte, dass dies hier nur auf Harrys Mist gewachsen sein konnte. Dieser hatte sich über die letzte Woche verdächtig oft nach meinem Rückflug erkundigt und auf meine Drohungen, mir ja keine Willkommensparty zu schmeißen, mit kühler Ignoranz reagiert. Mistkerl.

Was mich selbst überraschte, war der Stich, den mir die verpasste Party verlieh. Im Endeffekt hatte ich, anstatt einer Überraschung eine leere, schmutzige Wohnung, die sich seltsam benutzt anfühlte. Sie war der Schauplatz eines Vergnügens geworden, das keines mehr war und dass meine Freunde ganz ohne Scham so hemmungslos in meinem Haus feierten- ob ich nun dabei war oder nicht, war irgendwie schmerzhaft festzustellen.

Pretty Little TalksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt