Kapitel 4

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Tobias' Sicht:

Ich war gerade mit Tischdecken fertig und wollte die anderen aus dem Wohnzimmer holen, als ich fast mit Markus zusammenstieß. Als ich ihn sah, stockte mir der Atem. Markus' Augen waren voller Traurigkeit und er sah richtig niedergeschlagen aus. Bevor ich ihn fragen konnte was los sei, sagte er zu mir: „Katharina braucht dich jetzt, sie ist noch draußen!" Scheiße, was war bei denen bloß los. Erst liegen sie sich in den Armen und jetzt ist hier alles andere als gut. Und Markus ist ja eher ein zäher Brocken und zeigt kaum seine Gefühle und wenn er schon so mitgenommen aussieht, wie geht es dann wohl meiner Schwester? Ich schaute Markus schockiert und verwirrt an, bekam jedoch nur einen sehr traurigen Blick von ihm. Ich ging an ihm vorbei Richtung Tür und drehte mich nochmal zu Markus um, der langsam in das Esszimmer schwankte. Ich widmete mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe und lief die Tür hinaus. Katharina saß wie ein Häufchen Elend auf einer Treppenstufe und hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben. Ich setzte mich neben sie und legte einen Arm um sie, damit sie wusste, dass ich da war. Sie hob den Kopf und schaute mir in die Augen.

Diesen Moment werde ich nicht so schnell wieder vergessen, denn so traurig und hilflos hatte ich meine Schwester noch nie erlebt; selbst bei Andreas' Tod nicht. Ich nahm sie in den Arm um sie zu trösten, doch sie fing noch mehr an zu weinen und zu zittern. Kein Wunder, sie war mittlerweile eine halbe Stunde draußen und es hatte angefangen zu schneien. Die Jacke die sie trug, war auch nur für einen kurzen Aufenthalt im Kalten gedacht. Also flüsterte ich ihr ins Ohr: „Komm, ich bringe dich erstmal rein. Du musst dich aufwärmen. Am besten ruhst du dich auch erstmal aus und schläfst eine Runde. Wir haben noch einige Gästezimmer frei." Katharina nickte und ließ sich von mir in eins der Zimmer tragen. „Du schläfst jetzt und dann schicke ich dir Emilie hoch." Leise verließ ich ihr Zimmer und fragte mich, was wohl zwischen Markus und Katharina vorgefallen war. Während ich mir die absurdesten Szenen ausdachte, ging ich zurück in unser Esszimmer.

Dort saßen schon alle und waren in kleine Gespräche verwickelt, da sie mit dem Essen noch auf alle warten wollten, genauer gesagt auf Katharina und mich. „Da seid ihr ja endlich", sagt Emilie bis ihr plötzlich auffiel, dass Katharina nicht bei mir ist. „Wo ist denn Katharina?", wollte Emilie daraufhin wissen. „Ihr geht es nicht so gut", sagte ich und schaute kurz zu Markus, der trostlos am Tisch neben Ben saß und sein Glas anstarrte, und sprach weiter: „Ich habe sie in ein Gästezimmer gebracht und jetzt schläft sie erstmal. Ich habe ihr gesagt, dass du später nochmal bei ihr vorbei schaust, Emilie." Mittlerweile schauten mich alle Anwesenden verwundert an – alle außer Markus – denn die anderen waren so etwas von Katharina nicht gewöhnt. Katharina trat immer als starke, selbstständige Frau auf, die nichts so schnell aus der Bahn wirft. Emilie nickte etwas gedankenverloren. Zum Glück stellen mir die anderen keine Fragen, sondern widmen sich gleich dem Essen.

Das Essen war vorzüglich, Emilie hatte sich mal wieder selbst übertroffen. Man sah jedem an, dass ihm das Essen schmeckt und alle hauten richtig rein. Nur Markus nicht. Er saß mit gesenktem Kopf am Tisch und stocherte in seinem Essen herum. Er war auch der einzige, der sich nicht an den Gesprächen beteiligte und still war. Während des Essens beobachtete ich Markus mehrmals und mir wurde klar, dass zwischen meiner Schwester und ihm so einiges schief gelaufen war. Es war ein Wunder, dass er nicht die ganze Stimmung mit runter zog und dass ihn jeder in Ruhe ließ, denn Ruhe war das, was Markus jetzt wirklich brauchte. „Schmeckt es dir nicht, Markus?", fragte Emilie plötzlich, aber so leise, dass nur ich und Markus es noch hören konnten. Markus blickte auf, schaute uns an, schaute seinen vollen Teller an und ließ den Blick über die fast leeren Teller der Anderen schweifen. Dann blickte er wieder zu Emilie: „Doch es ist sehr lecker. Aber...ich habe gerade nicht so großen Hunger..." Sein Blick, mit dem er uns anschaute, war so leer und so voller Traurigkeit und Enttäuschung, dass er mir sofort Leid tat. Ich wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihn in den Arm genommen, doch ich wusste wie wichtig Emilie Tischmanieren waren und auch, dass Markus nicht die ganz Aufmerksamkeit auf sich haben wollte; also ließ ich es bleiben.


Die Bergretter - Lieber Nähe als Distanz?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt